Mit Achtsamkeit gegen den Alltagsstress

Neben Yoga, das schon lang boomt, gewinnt die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion hierzulande zunehmend an Beliebtheit.
Im Merker-Areal in Baden kann man bei Bruno Amrein die Methode der Achtsamkeit lernen. (Bild: sim)

Entwickelt wurde das Konzept der Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) ursprünglich in den späten 1970er-Jahren von Jon Kabat-Zinn in den USA, der sich dafür überwiegend von Übungen der buddhistischen Richtungen Zen und Vipassana inspirieren liess. Neben vielen grundsätzlichen Erkenntnissen zur Gesundheit und Wirkungsweise der menschlichen Psyche gewann und entwickelte der Wissenschafter dabei vor allem ein achtwöchiges Programm, bei dem Interessierte in acht Sitzungen die Grundsätze der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion erlernen können. Seit Jahren wird die Methode in der Region präsenter und beliebter.

Digitaler Achtsamkeitscoach
Die Wellnesstherme Fortyseven in Baden liegt somit voll im Trend. Sie ­lancierte vor einigen Wochen den «Achtsamkeitscoach», der in Zusammenarbeit mit Mindfulness Swiss (dem MBSR-Verband der Schweiz) entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um einen digital begleiteten Rundgang durch die Therme. Die Gäste erhalten Tipps und erlernen Übungen, mit denen sich die Achtsamkeit im Alltag steigern lässt.

Dass viele Menschen unter zunehmendem beruflichem Druck leiden, weiss auch der Badener Achtsamkeitslehrer Bruno Amrein. Als langjähriger Journalist beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) machte er vor knapp zehn Jahren selbst diese Erfahrung: «Ich war lang beim SRF und habe meine Zeit und die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen wirklich geschätzt. Irgendwann merkte ich aber, dass ich zunehmend in einer Situation arbeitete, die mich stresste.» Relativ lang bemerkte Bruno Amrein diesen Prozess selbst nicht, bis sich chronische Stresssymptome einzustellen begannen. Wegen eines Auftritts von Jon Kabat-Zinn beim SRF und dank seiner Frau, die schon lang eine Yogaschule betreibt, wusste er von MBSR und beschloss, den Kurs selbst zu absolvieren. «Ich merkte, dass ich durch meine eigene innere Haltung erheblichen Einfluss auf mein Wohlbefinden nehmen kann.»

Achtsamkeit kann man neu im «Fortyseven» üben. (Bild: zVg | Svenja Peters)

Eine sinnvolle Tätigkeit
Weil ihm der Kurs enorm dabei half, seinen eigenen Stress in den Griff zu bekommen, liess Bruno Amrein die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion nicht mehr los. 2017 entschloss er sich zu einer berufsbegleitenden zweijährigen Weiterbildung zum Achtsamkeitslehrer, nicht ahnend, dass er sich zwei Jahre später ganz diesem Betätigungsfeld widmen würde. «Was mich von der MBSR überzeugte», so Amrein, «ist, dass das Programm bereits sehr gut erforscht ist. Es gibt inzwischen sehr viele Studien, welche die Effektivität der Methode belegen.» Nachdem er erfolgreich gelernt hatte, Achtsamkeit zu vermitteln, begann Bruno Amrein, selbst Workshops und Kurse anzubieten, und kurze Zeit später liess er sich beim SRF frühpensionieren, um sich ganz seinem neuen Engagement zu widmen. Ausschlaggebend für diesen Schritt war neben seiner persönlichen Erfahrung der Wunsch, den nächsten Lebensabschnitt einer Tätigkeit zu widmen, die bei Menschen und in der Gesellschaft eine positive Entwicklung anstösst.

Auch Unternehmen machen zunehmend von der Methode gebrauch, wenn auch wahrscheinlich primär aus Eigennutz, da man sich davon eine Produktivitätssteigerung verspricht. Achtsamkeit so einzusetzen, ist allerdings gerade nicht die Idee von achtsamkeitsbasierter Stressreduktion.

Im Moment ruhend
Produktivitätssteigerung durch gezielte Stressreduktion klingt sowohl einleuchtend als auch abstrakt. Wie kann man sich MBSR konkret vorstellen? Ziel des Programms ist es, sich normalerweise automatisch ablaufender mentaler Prozesse bewusst zu werden. Dadurch kann man die eigenen Gedanken und Gefühle wahrnehmen und sich gleichzeitig vor Augen führen, dass diese mit uns nicht identisch sind. Diese mentale Distanz zu sich selbst ermöglicht es, Entwicklungen wahrzunehmen, ohne diese automatisch zu werten, wodurch sich viel unnötiges Stressempfinden verhindern lässt. «Das Programm funktioniert, weil sich ein Unterschied erkennen lässt zwischen der Aufmerksamkeit, die ständig passiv abgesaugt wird, und der Aufmerksamkeit, die man bewusst lenkt. Gedankenspiralen werden in der Regel automatisch ausgelöst. Ein Problem wird das dann, wenn man seinen Gedanken unbewusst zu viel Gewicht beimisst», erklärt Bruno Amrein. Worauf man seine Aufmerksamkeit also letztlich richtet, ist nicht entscheidend. Es geht darum, sich über die eigene Geistestätigkeit so weit klar zu werden, um sich gegen die konstante Beanspruchung unserer Aufmerksamkeit im Alltag zur Wehr setzen zu können oder dieser bewusst nachzugeben.