Eine Sternstunde für die Literaturtage

Das Bangen um die Fortsetzung der Literaturtage hat ein Ende. Für die 40-Jahr-Jubiläumsausgabe hat sich ein neuer Vorstand gebildet.
Der neue Vorstand, von hinten: Karin Rey, Stefan Brechbühl und Marc Niedermann; vorne: Joris Widmer, Leo Geissmann und Nergis Kablan. (Bild: zVg | Agentur Zens Fotografie)

Die Literaturtage in Brugg blicken auf eine bald vierzigjährige Tradition zurück. Im Wechsel mit der Partnerstadt Rottweil als Austragungsort wurden sie bislang jedes zweite Jahr in Brugg durchgeführt. Doch kurz vor dem 40. Jubiläum des literarischen Festivals im nächsten Jahr stand das Fortbestehen des Kulturanlasses dramatisch auf der Kippe. Aufgrund von diversen Rücktritten aus dem Vorstand der Literaturkommission und Differenzen betreffend der künftigen Ausrichtung der Literaturtage war die Vorstandstätigkeit stagniert; die Programmgruppe der Brugger Literaturkommission hatte zuletzt nur noch aus dem Präsidenten Werner Bänziger bestanden.

Noch im Juni hatte Vizeamman Leo Geissmann, Ressortleiter Finanzen und Kultur der Stadt Brugg, gegenüber dem «General-Anzeiger» betont, es sei ihm ein Anliegen, dass die Literaturtage weiterhin bestünden. Ob sie im Jubiläumsjahr 2024 stattfinden würden, stand seit dem Sommer in den Sternen. Für Bänziger war klar gewesen, dass es in der Literaturkommission eine Neubesetzung der Programm- und Betriebsgruppe bräuchte und er das Zepter als Präsident abgeben wollte. In Inseraten suchte er nach motivierten Mitgliedern – offenbar mit Erfolg.

Neubesetzung um fünf vor zwölf
Nun zeigt sich ein Hoffnungsschimmer für die 40. Jubiläumsausgabe der Brugger Literaturtage und deren Zukunft. Um fünf vor zwölf hat sich eine neue Gruppe formiert, die den verwaisten Vorstand der Literaturtage neu besetzen und motiviert die Arbeit in der Programm- und Betriebsgruppe wieder aufnehmen will. 

Vom öffentlichen Aufruf des scheidenden Präsidenten Werner Bänziger fühlten sich nämlich Karin Rey (32) und Stefan Brechbühl (47), beide aus Windisch, angesprochen. Rey, die am Schweizerischen Literaturinstitut studierte und an der Oberstufe in Brugg unterrichtet, hat selbst noch nie an den Brugger Literaturtagen teilgenommen. Ebensowenig Brechbühl, der an der Höheren Fachhochschule (HFGS) in Aarau Sozialpädagogik lehrt und Schreiben als sein grösstes Hobby bezeichnet. Zusammen haben die beiden literaturaffinen Lehrpersonen schon Lesungen organisiert. Als sie hörten, dass der Vorstand der Literaturtage neu besetzt werden soll, meldeten sie sich bei Werner Bänziger. «Das war der Start», sagt Brechbühl lapidar. Die Entscheidung sei ziemlich spontan gefallen. «In meinem Lebenslauf steht, dass Organisieren mein Hobby ist, und die Berührungspunkte zur Literatur sind durch meine Ausbildung gegeben», zählt Rey ihre Kompetenzen auf. Als regelmässige Teilnehmerin von Lesungen habe sie zudem klare Vorstellungen davon, was eine gute Literaturveranstaltung ausmache. Diese Erkenntnisse nun praktisch und organisatorisch in der Brugger Literaturkommission umzusetzen, reize sie: «Es interessiert mich, das alles aus einer entgegengesetzten Perspektive anzugehen.»

Das Komitee will frisch starten
Beim ersten Treffen mit Leo Geissmann und Werner Bänziger wurde Brechbühl und Rey klar, dass das Organisationskomitee sich ganz neu bilden werde. «Diese erste Sitzung war ein reiner Austausch und zeigte uns auf, dass viel Gestaltungsraum vorhanden ist», berichtet Karin Rey. «Dass wir mehr Leute im Vorstand brauchen, stand schnell fest», sagt Brechbühl. An diesem ersten Gespräch artikulierten Rey und Brechbühl auch, unter welchen Umständen die Arbeit im Gremium attraktiv für sie wäre. 

«Die Brugger Literaturtage funktionieren grundsätzlich gut, und die Sitzung zeigte auf, dass es keine Erwartungshaltung gibt, die Literaturtage genau so weiterzuführen wie bis anhin», erzählt Rey. Das wirke sehr motivierend. «Klar, der Rahmen steht fest, denn Struktur und Budget sind als Parameter gesetzt», gibt Brechbühl zu. Auch die Prämisse, dass alle Autorinnen und Autoren die gleiche und nicht nach Renommee abgestufte Prämie erhalten, finden die beiden sinnvoll. «Dazu haben wir ja gesagt.» Dasselbe gelte auch für die Vorgabe, dass der Kulturanlass weiterhin gratis sein werde.

Dieser Punkt war im ehemaligen Vorstand kontrovers diskutiert worden. Die beiden neuen Vorstandsmitglieder sind einer Meinung: «Es gibt auch ohne Eintrittspreis ganz viele Möglichkeiten.» Es sei eine grosszügige Geste der Stadt Brugg, dass sie der Bevölkerung den Besuch der Literaturtage frei zur Verfügung stelle.

Fünf gleichwertige Mitglieder
Brechbühl und Rey erweiterten das Organisationskomitee durch drei weitere Mitglieder: Mit Joris Widmer (23) aus Windisch, der Deutsch und Geschichte in Basel studiert und in der Bibliothek Windisch und im Kulturhaus Odeon arbeitet, mit Marc Niedermann (27), freischaffender Autor und Gastro-Angestellter, und mit Nergis Kablan (50), die als Klassenassistentin im Kindergarten angestellt ist. Weiterhin ist Leo Geissmann für die Finanzen zuständig.

Kürzlich fand die Startsitzung statt. «Dabei haben wir die Rollen unter uns fünf verteilt und festgelegt, wer was macht – in alles Weitere stürzen wir uns einfach hinein», sagt Brechbühl über das energiegeladene Gremium, das bewusst kein Präsidium definiert hat. «Wir wünschen uns, dass wir als fünf gleichwertige Mitglieder mit einer gewissen Unverfrorenheit an diese Aufgabe herangehen», beschreibt Rey die Atmosphäre im jungen Vorstand und erachtet es als wichtig, dass man diskussionsoffen bleibe. «Wir wollen uns bei jeder Entscheidung fragen: Entspricht das dem, was wir mit den Literaturtagen nach aussen tragen wollen?», resümiert Rey.

Gut unterwegs in der Planung
Die mutige Initiative von Rey und Brechbühl ist ein Glücksfall für die Zukunftsfähigkeit der Brugger Literaturtage. «Das 40-jährige Jubiläum wird stattfinden», verspricht Brechbühl. «Wir sind zwar ziemlich spontan eingestiegen, trauen uns die Aufgabe aber zu», legt Rey nach. «In der Planung sind wir bereits gut und solide unterwegs.» Das Salzhaus werde mit grösster Wahrscheinlichkeit wieder das Zentrum der Literaturtage bilden. Was die Cateringpartner und das Rahmenprogramm für das dreitägige Literaturfestival vom 13. bis 15. September 2024 betreffe, müsse man zunächst die Basis und Bereitschaft für eine neue oder weitere Zusammenarbeit eruieren und Vorschläge ausarbeiten. «Wir sind grundsätzlich offen», versichert Brechbühl. Ausserdem spüre das junge Gremium den grundsätzlichen Rückhalt aus der Bevölkerung, hat Widmer festgestellt. Er zeigt sich deshalb zuversichtlich, dass sich freiwillige Helferinnen und Helfer, deren Unterstützung sehr willkommen sei, beim Vorstand melden werden. Auch einzelne Mitglieder des früheren Organisationskomitees hätten die Bereitschaft signalisiert, falls gewünscht beratend zur Seite zu stehen.

Ein authentisches Literaturfest
Das Entscheidende sei das Publikum. «Wir wollen neues Publikum ansprechen, auch ein jüngeres, und beispielsweise Schulklassen ins Salzhaus holen», erzählt Brechbühl von den Plänen fürs Literaturfest. «Uns schwebt keine Hochglanzveranstaltung vor, sondern wir möchten den Literaturtagen Echtheit verleihen.» Weiterhin solle es eine grosse Nähe zwischen den lesenden Autoren und Autorinnen und dem Publikum geben. «Begegnungen sind uns wichtig», ist sich der junge Vorstand einig. So wird es am Freitagabend zehnminütige Kurzlesungen geben, die dem Publikum einen ersten Eindruck über die Schriftstellerinnen und Schriftsteller vermitteln. Weitere Programmdetails wollen die fünf Mitglieder noch nicht verraten.