Tarnung im Winter – nicht immer einfach

Viele Vögel sind auf eine gute Tarnung in ihrem gewohnten Lebensraum angewiesen. Im Winter kann dieser Schutz zum Problem werden.
Tiere können durch zu viel Schnee oder einen Mangel der weissen Pracht in Schwierigkeiten geraten. Wie die am Klingnauer Stausee überwinternde Rohrdommel, die wegen zugeschneiter Schilfflächen ihrer Tarnung beraubt wird. (Bild: BHE)

In der kalten Jahreszeit überwintern regelmässig Rohrdommeln am Klingnauer Stausee und im Gebiet des Flachsees bei Rottenschwil. Die grossen, zu den Reihern gehörenden Vögel sind perfekt an das Leben im Schilf angepasst und suchen sich deshalb grosse Schilfflächen als Überwinterungsplätze aus.

Das sind ähnliche Lebensräume, wie sie in ihren Brutgebieten in Nord- und Nordosteuropa besetzen. Das Gefieder der Rohrdommel ist gelb- oder goldbraun, auf dem Rücken hat sie schwarze Streifen. Durch ihre Zeichnung wirkt sie «schilfig» und ist trotz ihrer Grösse im winterlichen Röhricht bestens getarnt. Wenn die Rohrdommel bockstill am Schilfrand steht oder gar durch Schilfhalme verdeckt wird, ist sie selbst für geübte Vogelbeobachter nur schwer zu entdecken. Lediglich wenn sie sich bewegt, wird man auf sie aufmerksam, doch das tut sie so wenig wie möglich. Sie kann sehr lang unbeweglich lauern. Bloss wenn sich ein Beutetier nähert, das heisst ein Fisch, ein Krebstier oder ein Wasserinsekt, sticht sie blitzschnell mit dem Schnabel zu.

Mit ihrem Federkleid ist die Rohrdommel im winterlichen Schilf hervorragend getarnt. (Bild: BHE)

Schilf weg – Tarnung weg
Selten kommt es bei uns im Mittelland vor, dass es so viel schneit, dass sogar das Schilf vom Schnee niedergedrückt wird, wie es im Januar 2021 passierte. Damals präsentierten sich die grossen Schilfflächen am Klingnauer Stausee als einzige grosse Schneelandschaft. Ihrer Deckung und Tarnung beraubt, bewegte sich die Rohrdommel nur selten und sichtlich nervös über die offene weisse Schneefläche.

Obwohl sie mit ihrer Körperlänge von 80 Zentimetern ein stattlicher Vogel ist und nur wenige Feinde hat, hätte ihr beispielsweise ein hungriger Fuchs in dieser Situation gefährlich werden können. Und natürlich sucht sie instinktiv immer die Deckung im Schilf, weil sie in ihren Brutgebieten mit anderen grossen Beutegreifern, etwa dem Seeadler, rechnen muss.

Tarnspezialisten im Gebirge
Eine andere Vogelart, die stark auf Tarnung setzt, ist das Alpenschneehuhn. Es besiedelt im ganzen Alpenraum, in den Pyrenäen und im schottischen Hochland steiniges Gelände mit wenig Vegetation oberhalb der Baumgrenze. Es kommt aber auch in der baumlosen Tundra der skandinavischen Länder vor. Sein Federkleid passt sich laufend den Bedingungen an, die in den bevorzugten Höhenlagen zwischen 1900 und 2600 Metern über Meer herrschen. Im Sommer trägt es ein grau-schwarz und braun gemasertes Federkleid, das es optimal im Fels und im Geröll tarnt. Im Lauf des Spätsommers mausert sich das Alpenschneehuhn und wechselt zum Winterkleid. Ab ungefähr Mitte November präsentiert es sich komplett in Weiss.

Da sich in den letzten Jahren bis Anfang Januar oft keine geschlossene Schneedecke einstellte – die tief gelegenen Skiorte können ein Lied davon singen –, ist das Schneehuhn vor ein ähnliches Problem gestellt wie die Rohrdommel im Schnee, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Mit seinem schneeweissen Kleid fühlt es sich im grauen Fels wie «auf dem Präsentierteller» und ist beispielsweise für den Steinadler – einen seiner Hauptfeinde – aus grosser Höhe leicht erkennbar.

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Das weisse Winterkleid wird für das Alpenschneehuhn bei fehlender Schneedecke zum Problem.

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Im Sommerkleid ist das Schneehuhn im Fels und Geröll gut getarnt. (Bilder: BHE)

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Spezialisiert auf Kälte
Wenn der ersehnte Schnee kommt und die Temperatur weit unter null fällt, ist das Alpenschneehuhn in seinem Element. Diese Vogelart ist wie keine andere an die Kälte und die rauen Bedingungen im winterlichen Hochgebirge angepasst. Bei Temperaturen über 15 Grad Celsius fühlen sich Schneehühner mit ihrem gut isolierenden Federkleid nicht wohl; sie suchen dann Abkühlung an schattigeren Orten oder in grösserer Höhe. Mit den befiederten Zehen laufen sie wie mit Schneeschuhen über den Schnee. Ihre Nahrung besteht aus Knospen, Trieben, Blättern, Moosen und Gräsern, die sie auch im Winter meist an windexponierten Hängen noch unter der Schneedecke finden. Zum Übernachten oder wenn ein Schneesturm tobt, graben sie eine Mulde oder Höhle in den Schnee. Man sagt, dass ein Schneehuhn hierfür lediglich etwa 15 Sekunden benötigt. Obwohl der Schneefall zu Beginn dieses Winters nicht ausblieb, ist es leicht vorstellbar, dass die Spezialisierung auf die Verhältnisse im Hochgebirge längerfristig problematisch ist, da sich die Bedingungen für das Alpenschneehuhn durch die Klimakatastrophe verschlechtern.

Expertinnen und Ornithologen stellen fest, dass die Vögel ihre Lebensräume und Brutgebiete immer höher hinauf verlagern. Zwangsläufig nehmen dadurch die nutzbaren Flächen für Brut und Nahrungssuche drastisch ab – und höher als in die Gipfelregionen geht es nicht. Auch Wintersportaktivitäten, vornehmlich abseits vorgegebener Pisten, machen den Schneehühnern zu schaffen. Natürlich gibt es kaum etwas Schöneres als eine Schneeschuhtour durch tief verschneite Wildnis, aber man sollte dabei unbedingt die Sperrgebiete und Wildschutzzonen beachten.