So paradox es klingen mag – und es ist sicher auch nicht neu: Das wichtigste Prinzip auf dieser Welt ist die Unvollkommenheit. Das gilt jedenfalls für uns Menschen. Flora und Fauna werden das wahrscheinlich ganz anders empfinden: Für sie ist alles richtig, so wie es ist, und weder Pflanzen noch Tiere kämen auf die eigentlich hirnverbrannte Idee, die Welt verbessern zu wollen. Das ist ganz allein unser menschliches «Privileg». Und dieses kommt wohl daher, dass wir in der Regel so ziemlich alles – mit Ausnahme der eigenen Person natürlich – für unvollkommen und damit notgedrungen für verbesserungsbedürftig halten. Und seit wir dieser Idee verfallen sind, gibt es den sogenannten Fortschritt. Mit anderen Worten: Wir entdecken ein mögliches Problem, suchen dafür eine Lösung, und aus den daraus wiederum neu entstehenden Problemen gibt es immer neue Fortschritte und somit automatisch weitere Probleme, sodass zeitlebens dafür gesorgt ist, dass uns die Arbeit nicht ausgeht.
Und weil das so ist, finde ich, sollten wir die Unvollkommenheit unbedingt hoch und heilig halten. Unvorstellbar, wenn das, was jetzt ist, der Endzustand wäre und wir nichts, aber auch gar nichts mehr tun könnten, was uns zumindest scheinbar weiterbringt. Irgendwie erinnert mich diese Horrorvorstellung an das Schlaraffenland, das spätestens ab dem zweiten Tag unerträglich wäre, weil wir keine unserer Leibspeisen mehr anschauen könnten.
Sorgen machen mir deshalb also nicht die unzähligen kleineren und grösseren Probleme, die es für uns Menschen fortlaufend zu meistern gibt. Ebenso habe ich nicht wirklich Angst davor, dass uns die Probleme früher oder später ausgehen könnten. Nein, was mir wirklich still und leise Kummer macht, ist, dass es vielleicht irgendwann dazu kommt, dass wir gewissermassen vollkommen unvollkommen sind. Das wäre dann aber wahrscheinlich unser Ende. Oder liege ich da vollkommen falsch?
ernst.bannwart@bluewin.ch