Big Brother auf dem Beifahrersitz

Moderne Autos sind fahrende Computer – und damit auch Spione auf Rädern. Denn wie bei Smartphones und Co. sammeln unsere Autos laufend Daten und schicken sie in die Cloud. Was die Autohersteller damit machen, ist unklar.
Die Vernetzung hat ihren Preis: Moderne Autos generieren laufend Daten über unser Leben und schicken diese in die Cloud der Hersteller. (Bild: Continental)

Wir werden permanent von unseren Autos ausspioniert. Was schon länger von Verbrauchermagazinen und Touring-Clubs in verschiedenen Tests ermittelt wurde, bestätigt nun eine Studie der Mozilla Foundation. Die amerikanische Non-Profit-Organisation zeigt darin auf, dass alle grossen Autohersteller regelrechte Datenkraken sind, die mit ihren Fahrzeugen massenhaft persönliche Informationen ihrer Kunden sammeln. Irritierend dabei: Es geht den Herstellern bei Weitem nicht nur um Daten, die sich auf das Autofahren beziehen – manche Marken sammeln sogar sehr persönliche Informationen, zum Beispiel zu Gewicht, Gesundheitszustand und sogar zu sexueller Aktivität der Autofahrer.

Die Mozilla-Experten untersuchten für ihre Studie 25 Automarken, die meisten von ihnen sind auch bei uns im Markt vertreten. Das ernüchternde Ergebnis des umfangreichen Tests: Kein einziger Autohersteller erfüllt die Mindeststandards für Datensicherheit der US-Stiftung, die vor allem für den gleichnamigen Open-Source-Internetbrowser bekannt ist. Und die Autohersteller hüllen sich bei diesem unangenehmen Thema gern in Schweigen – nur eine Marke stellte sich den Fragen der Forscher, alle ­anderen lassen sich beim Thema Datensammeln gar nicht in die Karten blicken. 

Widerstand ist zwecklos
Moderne Autos sammeln also Daten über uns, genauso wie es unsere Smartphones tun. Das sind die Telematikdaten, also wann und wie wir beschleunigen, bremsen, schalten oder lenken. Hinzu kommen via GPS die Position des Autos und die Geschwindigkeit. Doch über die Infotainmentsysteme und die damit gekoppelten Handys erhalten die Autohersteller ausserdem Zugang zu persönlichen Informationen, etwa zu unseren Kontaktdaten und Textnachrichten, sofern man beim Koppeln des Geräts diese Berechtigung erteilt. Theoretisch kann man dem als Nutzer zwar die Einwilligung verweigern – nur kann man dann sämtliche digitale Dienste nicht nutzen. Keine Koppelung per Bluetooth oder Apple Carplay beziehungsweise Android Auto, kein Telefonieren per Freisprechanlage, kein Musikstreaming via Spotify und ähnlichen Diensten – wer seine Daten nicht freiwillig hergibt, wird von der digitalen Welt ausgeschlossen.

Doch selbst wenn man das Einverständnis verweigert, zeichnet ein Auto munter Daten auf und verschickt sie an die Hersteller. Denn moderne Autos müssen zwingend mit dem ­automatischen Notrufsystem E-Call ausgestattet sein und haben deshalb immer ein Modem, eine SIM-Karte und ein Mikrofon integriert, was vielen Besitzern gar nicht bewusst ist. Inzwischen sind die Autos auch mit Kameras im Innenraum ausgestattet – und all die damit aufgezeichneten Daten werden laufend in die Cloud ­geschickt.

Ein Test des deutschen Automobilclubs ADAC hat ermittelt, welche Daten die Autohersteller dabei sammeln. Die getesteten Modelle übermittelten laufend ihre Position via GPS sowie Statusdaten wie Kilometerstand, Verbrauch oder Tankfüllung. In Kombination mit den Daten über die gefahrenen Strecken und die Betriebszeiten des Autos entsteht so ein ausführliches Nutzungsprofil. Hinzu kommen Daten, die Rückschlüsse auf den Fahrstil liefern, zum Beispiel die Gurtstraffungen bei starken Bremsungen oder die Drehzahl des Motors. Nicht zuletzt werden die Apps der Autohersteller, ihre Unternehmenswebsites und die Händlerkontakte ausgewertet, wie der Test der Mozilla Foundation gezeigt hat.

Wer digitale Dienste im Auto nutzt, muss dem Datentransfer zustimmen. Doch auch ablehnen bringt nicht viel. (Bild: Skoda)

Ein riesiges Geschäft
Wieso die Hersteller all diese Daten sammeln, liegt auf der Hand: Es ist ein riesiges Geschäft. Das ist auch für den deutschen Datenschützer Stefan Brink klar: «Für die Autohersteller ist die Datennutzung das zweite grosse Geschäftsfeld geworden.»

Studien gehen bis zum Jahr 2030 von einem Marktvolumen von 750 Milliarden Dollar aus. Denn unsere Daten sind für viele Unternehmen Gold wert: Wenn beispielsweise eine Versicherungsgesellschaft weiss, dass Herr Meier sehr viel und schnell fährt, dabei gern den Motor hochdreht und abrupt bremst, wird sein nächster Vertrag deutlich teurer sein als der für Frau Müller, die nur wenig und vorsichtig fährt und dabei sanft mit ihrem Auto umgeht. Ein weiteres Geschäftsfeld ist die Werbung: Da unsere Autodaten aufzeigen, wo wir gern essen, einkaufen oder in den Urlaub gehen, kann via Social Media noch gezieltere und personalisiertere Werbung geschaltet werden. 

Datenschützer und Automobilclubs wie der TCS fordern deshalb schon seit Jahren mehr Transparenz. «Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, die sicherstellt, dass Fahrzeugbesitzer selbstbestimmt über ihre Daten verfügen und die Freigabe an Dritte steuern», fordert Karsten Schulze vom ADAC. Dabei drängt die Zeit, denn bereits gibt es Infotainmentsysteme, die mit Spracheingabediensten wie Alexa von Amazon oder Google Assistant verknüpft sind – diese Systeme übermitteln sogar in die Daten-Cloud, was im Fahrzeuginnenraum gesprochen wird.

Auch Chat-GPT haben manche Hersteller in einigen Modellen bereits ins Infotainmentsystem integriert – hier werden ebenfalls munter Daten gesammelt. Und für die immer autonomer agierenden Fahrassistenten, für die die Autos mit der Umwelt kommunizieren müssen, ist eine konstante Datenübermittlung unabdingbar. Die Datenströme werden künftig also deutlich anwachsen.

Kommt bald die völlige Öffnung?
Eine solche gesetzliche Regelung, wie sie Karsten Schulze fordert, wurde nun beschlossen. Mit dem im vergangenen Dezember verabschiedeten EU Data Act will die Europäische Union den Umgang mit den persönlichen Daten neu regeln. Diese Regelung betrifft dann auch die Schweiz, denn sie gilt ebenso «für Schweizer Dateninhaber, die Daten Datenempfängern in der EU bereitstellen».

Mit dieser Datenverordnung werden Hersteller und Diensteanbieter verpflichtet, ihren Nutzern den Zugang zu ihren Daten sowie die Weiterverwendung von Daten zu ermög­lichen, die bei der Nutzung ihrer Produkte oder Dienstleistungen erzeugt werden. Zudem ermöglicht es die neue Regelung den Nutzern, ihre erzeugten Daten an Dritte weiterzugeben. Autobesitzer können also zum Beispiel künftig entscheiden, ob sie bestimmte Fahrzeugdaten an einen Garagisten, an eine Versicherungsgesellschaft oder, beim Weiterverkauf des Autos, an eine Privatperson weitergeben wollen.

Der EU Data Act gewährt den Zugang zu den Daten ausdrücklich dem «Nutzer» eines Geräts – im Falle des Autos ist das aber sehr oft eine ­Leasinggesellschaft. Tritt die neue Regelung in Kraft, können also auch grosse Konzerne die im Auto ermittelten Daten direkt einsehen. Das kann für den Kunden Vorteile haben – zum Beispiel, wenn ein Versicherer per Ferndiagnose den Autofahrer vor einem drohenden Schaden warnen kann.

Für die Unternehmen gibt es andere Vorteile. «Wir könnten individuell massgeschneiderte Tarife anbieten, bei denen umsichtige Autofahrer niedrigere Tarife zahlen müssen», sagt Frank Sommerfeld, Chef des Versicherers Allianz.

Umgekehrt bedeutet das jedoch: Die Versicherer offerieren weniger aufmerksamen Autofahrern deutlich höhere Tarife, eben weil ein modernes Auto stetig aufzeichnet, wie schnell jemand in Kurven fährt, ob die Geschwindigkeitsbeschränkungen eingehalten werden, wie sanft jemand beschleunigt, ob die Spur eingehalten oder wie abrupt gebremst wird.

Gemäss einer von der Allianz durchgeführten europaweiten Kundenumfrage seien die Autobesitzer aber grundsätzlich nicht mehr so skeptisch gegen die Dateneinsicht durch Dritte wie früher.

Demnach wäre jeder zweite Befragte bereit, für Versicherungsdienstleistungen seine Daten zur Verfügung zu stellen. Auch dass der Versicherer die im Auto ermittelten Daten für bessere Services wie automatische Unfallerkennung, Pannenhilfe oder Telematiktarife nutzt, findet eine Mehrheit der Befragten gut.

Wahre Albträume auf Rädern
Viele der Befragten bezweifeln allerdings, dass die im Fahrzeug erhobenen Daten dann nur anlassbezogen genutzt werden. Und jeder zweite befragte Autofahrer fürchtet sich vor Hacking-Angriffen, Datendiebstahl und Datenmissbrauch durch unbefugte Personen. Doch selbst wenn die Verwendung unserer Daten für uns durchaus vorteilhaft sein kann – weshalb die Autohersteller auch persönlichste Informationen über uns sammeln, ist damit längst nicht erklärt.

Gemäss den Experten der ­Mozilla Foundation sind moderne Autos punkto Datenschutz wahre Albträume auf Rädern: Wenn man heute in einem Auto sitze, so schlussfolgern die Forscher der Stiftung, dann sei das ungefähr so, als würde man dem Autohersteller sein Handy überlassen.