«Verdichtung kann Probleme befeuern»

Die Badener Itoba GmbH hilft Siedlungen in der ganzen Schweiz, eine eigene Identität zu entwickeln. Muss es aber nicht, wie der Spezialist Ivo Richner weiss. Im Interview spricht er über den knappen Wohnraum und die Schweizer Wohntrends.
Der Trend geht in Richtung verdichtetes Bauen und Wohnen. (Bild: Archiv | PG)

Die Schweiz gilt als Land der Mieterinnen und Mieter. Doch welche Wohnkultur eignet sich denn nun besonders? Allein wohnen, gar in einer Genossenschaft oder doch lieber in einer bunten Wohngemeinschaft. Die Nationalräte Mike Egger (SVP), Franziska Ryser (Grüne) und Andri Silberschmidt (FDP) zum Beispiel teilen sich zu Sessionszeiten in Bern eine Wohnung. Öfter hört und liest man auch von Cluster-Wohnungen, und Tiny-Häuser scheinen ebenfalls im Trend zu liegen, und viele wählen bewusst ein Wohnen in einer gut funktionierenden Siedlung. Auf Letzteres hat sich eine Badener Firma spezialisiert. Die «Rundschau» will es genau wissen und fragt beim Geschäftsführer der Badener Itoba GmbH, Ivo Richner, nach.

Ivo Richner, Geschäftsführer der Badener Itoba GmbH. (Bild: zVg)

Ivo Richner, Sie beschäftigen sich in Ihrem beruflichen Umfeld mit Siedlungsentwicklung, Siedlungscoaching, Partizipationsprozessen und generationenverbindendem Wohnen. Was war die Motivation für Ihre Firmengründung?
Zwei der drei Gründer waren lange Zeit in der Quartierarbeit tätig. Gerade in Quartieren mit grösseren Siedlungen stellten wir fest, dass der Bezug zum direkten Wohnumfeld grösser ist als zum Quartier als Ganzes. Wir haben uns gefragt, weshalb das Zusammenleben oft nur auf Ebene Quartier, nicht aber auf Ebene Siedlung gefördert wird. Ergänzend dazu stellten wir fest, dass durch die Individualisierung die Anonymisierung in Siedlungen zugenommen hat. Um dieser Situa­tion entgegenzuwirken, haben wir unsere Firma gegründet.

Können Sie von einem aktuellen Beispiel berichten, bei dem Ihre Firma aktiv wurde?
Wir begleiten derzeit 14 Siedlungen in der Deutschschweiz, von ganz kleinen mit weniger als 30 Wohnungen bis zu Grosssiedlungen mit über 400 Wohnungen. Das können Siedlungen sein, die spezifische Probleme haben, wie beispielsweise Konflikte unter Mietenden, Probleme mit der Abfallentsorgung oder ein Imagepro­blem. Hingegen begleiten wir viele Siedlungen, die mit dem Einzug der Mietenden von Anfang an eine funktionierende Gemeinschaft aufzubauen versuchen. Oft geht es darum, dass sich Nachbarn einfach und schnell kennenlernen, sich vernetzen, sich gegenseitig unterstützen und so das Zugehörigkeitsgefühl gesteigert werden kann.

Wie sieht die Umsetzung dieses Konzepts konkret aus?
Ein schönes Beispiel ist eine Siedlung im Baselbiet. Diese begleiten wir seit etwa vier Jahren. Das Projekt wird Ende dieses Jahres abgeschlossen. Durch kleine Interventionen, wie Nachbarschaftsapéros zu Beginn des Prozesses, haben sich die Nachbarn zusehends gefunden. Im weiteren Verlauf wurden dann gemeinsam mit Mietenden grössere Projekte, wie ein partizipatives Fassadenbild, ein Flohmarkt oder der Bau eines Gemeinschaftsplatzes, initiiert und umgesetzt. Die Nachbarn haben Fassaden mit Hopfen bepflanzt, der mittlerweile zusammen mit einem lokalen Brauer zu einem Siedlungsbier verarbeitet wird. All diese Projekte stärkten die Identifikation mit der Siedlung so sehr, dass inzwischen ein Siedlungsverein entstanden ist, der die Angebote nach unserem Austritt weiterführt.

Diese Wohnsiedlung in Basel ist ein Musterbeispiel für erfolgreiches Community-Building durch Zusammenarbeit der Nachbarschaft. (Bild: zVg)

Gemäss swissinfo.ch ist die Einsamkeit in der Schweiz gross. Hierzulande fühlt sich jede dritte Person manchmal oder oft allein. Was sagt Ihnen das?
Wir beobachten vor allem, dass die Einsamkeit im höheren Alter eine grössere Rolle spielt. Um dem entgegenzuwirken, entstehen immer wieder neue Wohnkonzepte wie beispielsweise das generationenübergreifende Wohnen. Ich glaube aber auch, dass das Sich-allein-Fühlen Teil unseres Lebens ist und zu uns als Mensch gehört. Aus meiner Sicht ist entscheidend, über Anschluss- und Kontaktmöglichkeiten zu verfügen. Sind diese nicht vorhanden, müssen sie proaktiv initiiert werden. Eben beispielsweise durch Nachbarschaftstreffen oder Ähnliches.

Wie hat sich das Wohnen in den ­letzten Jahren generell verändert? Früher kaufte man sich ein Häuschen, gründete eine Familie und blieb dort. Wie richten sich die Schweizerinnen und Schweizer heute ihr Wohnen ein, und gibt es überhaupt ein Idealbild?
Ein Idealbild gibt es nicht. Wohnbedürfnisse sind sehr individuell, und darauf sollte Rücksicht genommen werden. Was wir feststellen können, ist, dass der Wohnraum knapper wird. Dementsprechend gibt es einen Trend zu weniger Wohnfläche pro Person, und verdichtetes Bauen ist in aller Munde. Dieser Umstand fördert zudem innovative Konzepte wie beispielsweise Tiny-Häuser.

Wie wirkt sich dieser Trend auf die Wohnsituation hierzulande aus?
Verdichtung befeuert Probleme, die im Zusammenleben entstehen können. Je mehr Menschen auf wenig Raum leben, desto höher ist das Konfliktpotenzial. In diesem Zusammenhang stellen wir fest, dass die Themen soziale Nachhaltigkeit und Community-Building einen höheren Stellenwert in der Immobilienwelt erhalten. Aus meiner Sicht ist es ausserdem wichtig, dass das Thema Wohnen noch mehr auf die politische Agenda kommt. Einerseits hinsichtlich der Förderung von günstigem Wohnraum, andererseits, um Problemen in der Mietpolitik entgegenzuwirken.

Welche Probleme meinen Sie?
Viele Menschen wechseln beispielsweise nicht die Wohnung, obwohl sie zu viel Platz haben. Das, weil sie bei einem Wechsel in eine kleinere Wohnung aufgrund der langfristigen Mietverträge gleich viel für deutlich weniger Wohnraum bezahlen würden. Das kann zu einem Mangel von bezahlbaren, grossen Wohnungen führen. Hier gäbe es sicher Hebel, bei denen angesetzt werden könnte. Das gilt ebenso für das Schaffen von Anreizen für sozial nachhaltiges Bauen.

Wie wird sich in Zukunft das ­Wohnen entwickeln – gibt es eine Tendenz?
Ich bin überzeugt, dass der Wohnraum pro Person noch knapper wird und deshalb neue und innovative Wohnformen mehr und mehr gefragt sein werden. Weiter glaube ich, dass der sozialen Nachhaltigkeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und die nachbarschaftlichen Kontakte wieder mehr Gewicht erhalten.

Ruhe und gute Anbindung sind gefragt

In der Schweizer Wohnlandschaft sind zunehmend Veränderungen wahrzunehmen. Eine Befragung zeigt neue Bedürfnisse der Bevölkerung. Wüest Partner, Zürich, führt mit Unterstützung des Hauseigentümerverbands Schweiz sowie dem Schweizerischen Verband der Immobilienwirtschaft regelmässig eine Haushaltbefragung durch. Diese beleuchtet die Wohnbedürfnisse und die Wohnzufriedenheit in der Schweiz. Schliesslich trägt die Form, wie und wo wir wohnen, massgeblich zur Lebensqualität bei. So ist zum Beispiel der Anteil der Befragten, denen es in ihrem Zuhause sehr gut gefällt, über die letzten Jahre leicht gesunken. Bei den Eigentümerinnen und Eigentümern setzte die Verschiebung von «sehr gut» zu «ziemlich gut» ab 2022 ein. Das dürfte unter anderem durch die höheren Hypothekarkosten und durch die gestiegenen Energiekosten ausgelöst worden sein.

Höhere Ansprüche an die Aufenthaltsqualität
Gegenüber der Erhebung von 2021 deutlich gestiegen ist die Bedeutung, die dem Komfort und vor allem der Lärmisolation von Wohnungen beigemessen wird. Während der Pandemie verbrachten viele Menschen mehr Zeit zu Hause als üblich, insbesondere tagsüber. Lärmbelastungen, sei es von Nachbarn, durch Bauarbeiten oder höheres Verkehrsaufkommen während der Rushhour, konnten dadurch deutlich stärker wahrgenommen werden. Diese Zunahme ist hauptsächlich bei Mietenden zu beobachten. Auch die Mobilitätsansprüche der Teilnehmenden wurden beleuchtet. In der diesjährigen Umfrage geben rund 88 Prozent der Befragten an, dass die öffentlichen Verkehrsmittel in der Nähe für sie von Bedeutung oder sogar ausschlaggebend seien. Während der Coronapandemie waren Mobilitätsfaktoren wie die Verfügbarkeit des öffentlichen Verkehrs in der Nähe oder beispielsweise die Länge des Arbeitswegs bei der Auswahl einer Wohnung weniger wichtig. Homeoffice ist zwar aus dem Arbeitsalltag vieler Erwerbstätiger nicht mehr wegzudenken, vielerorts dient es eher als Ergänzung zur klassischen Präsenzarbeit. Die Tatsache, dass wieder vermehrt im Büro vor Ort gearbeitet wird, dürfte dazu beitragen, dass Mobilitätskriterien abermals an Bedeutung gewonnen haben. So wird beispielsweise der Faktor «öffentliche Verkehrsmittel in der Nähe» wieder gleich gewertet wie vor der Pandemie.