«Furchteinflössend und faszinierend»

Mundartpopstar Adrian Stern tritt auf der Tournee mit seinem kommenden Album «Bubble» in die Fussstapfen von Ed Sheeran. Der Lokalmatador spielt die neuen Lieder jetzt schon im Nordportal.

Weshalb gehen Sie zum ersten Mal solo auf Tournee?
Lust darauf bekam ich während der Open-Air-Saison, als ich die anderen Bands auf der Bühne sah und mich fragte, wie es wohl wäre, allein dort oben zu stehen. Der Gedanke war furchteinflössend, aber auch faszinierend und barg die Chance, als Künstler zu wachsen und ein besserer Musiker zu werden. Ich strebte jedoch keine maximale Reduktion an und habe deshalb kein Album mit akustischen Songs gemacht, sondern nur ein Album ohne Band. Es gibt auch live nicht nur Mikrofon und Gitarre, sondern teilweise den vollen Sound mit Bässen und Drums, die ich selbst spiele oder selbst loope.

Sind Sie von jemandem inspiriert, der allein zweimal das Stadion Letzigrund füllte?
Sie meinen Ed Sheeran? Ich finde, er wird total unterschätzt. Ich bewundere ihn für seine Fähigkeiten als Songschreiber und Interpret, und als Loop-Artist ist er grandios. Er macht es sehr simpel, aber mit maximaler Effizienz. Ich bin halt ein «Grätli»-Fan, deshalb ist es bei mir ein bisschen experimenteller.

Wann haben Sie Ihr erstes Solo­konzert überhaupt gegeben?
Das war 2002. Ich hatte gerade meinen ersten Plattenvertrag bekommen, als Sony BMG ein paar Demos von mir gehört hatte. Die Schweizer Labels waren damals alle auf der Suche nach dem nächsten Gölä. Ich kam mir wie ein Hochstapler vor, da ich noch gar kein Publikum hatte. Ich trat damals nur vor einigen Freunden und Bekannten auf – in Zürich in der Bäckeranlage und in Baden im Triebguet.

Mit welchen Gefühlen treten Sie nun im Nordportal auf?
Ich bin etwas nervös, weil ich in Baden wohne und hier aufgewachsen bin. Speziell ist zudem, dass ich hier für die Tournee geprobt habe und meine Frau während ihres Studiums dort gejobbt hat.

Weshalb trägt Ihr kommendes Album einen englischen Titel?
Ich hatte lang keinen Titel, aber einige nachdenkliche Lieder, die sich mit unserer Zeit und ihren Phänomenen beschäftigen. Um zu vermeiden, dass die Platte anstrengend oder deprimierend wirkt und die Leute abgeschreckt werden, rückte ich die Ballade «Alles chönnt au andersch sii» vom Anfang an den Schluss und suchte nach einem Wort, das alle Facetten der Platte repräsentiert, auch die Fröhlichkeit und die Farbenfreude. Ich glaube, dass ich die Kurve gekriegt habe. (Lacht.)

Woran denken Sie beim Wort Bubble?
Einerseits an die schillernden Seifenblasen, die jedem Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und voller Poesie sind, andererseits an das Modewort, bei dem ich an die Gefahr denke, die von Social Media ausgeht. Wenn alle nur noch in ihrer Onlinebubble verkehren, verstehen die Menschen die Vorgänge in ihrem Umfeld immer weniger und vereinsamen komplett.

Was für Erfahrungen haben Sie damit bereits gemacht?
Bei der intensiven Beschäftigung mit meinem musikalischen Equipment bin ich über Youtube in eine Community von Leuten geraten, die alle das Gleiche toll finden und glauben, es wäre das einzig Wichtige auf der Welt. Sie geben ausserdem ihr ganzes Geld dafür aus. Bubbles haben oft mit Konsum zu tun. Ich habe dazu ein Buch gelesen: «Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst». Jaron Lanier, der einst selbst an der Entstehung des World Wide Web mitgearbeitet hat, beschreibt, dass die Algorithmen so gestaltet sind, dass wir möglichst viel Zeit im Netz verbringen. Sie zeigen uns nicht nur schöne Dinge, sondern auch solche, die uns wehtun und frustrieren, damit wir uns noch mehr in die digitale Welt flüchten.

Welche Konsequenz haben Sie daraus gezogen?
Ich habe begonnen, mich dem zu entziehen. Ich versuche, möglichst wenig Zeit in den sozialen Medien zu verbringen und sie nur noch gezielt zu nutzen. Ich habe keine personalisierten Feeds mehr, die mich zum Konsum verleiten oder meine Meinung manipulieren.

Wie ist daraus der Album-Opener «Bubble Tea» entstanden?
Meine Töchter sind voll auf das Getränk abgefahren, als es trendy wurde. Ich weiss noch, was für ein Drama es war, als sie im Zürcher Hauptbahnhof unbedingt in den Bubble-Tea-Shop wollten. Zu diesem Song – und zu vielen anderen auf der Platte – wurde ich jedoch erst inspiriert, als ich in Baden unterwegs war. Als ich in der Weiten Gasse das Schild «Bubble Tea» entdeckte, fragte ich mich, was für ein Lied ich daraus machen würde. Nachdem ich «7 Täg offe» vor dem Pizzaservice an der Mellingerstrasse gesehen hatte, überlegte ich mir auf dem ganzen restlichen Weg zum Studio, was das hergibt.

Wie kamen Sie auf die Idee zu «Bade-Rio-Tokio»?
Ich sass im Bus von der Allmend zum Kappelerhof, als ich merkte, dass ich auf der SBB-App irrtümlich ein Billett der ersten Klasse gelöst hatte. Ich fand es lustig, dass so etwas Sinnloses möglich war, und freute mich, dass ich mich trotzdem gut fühlte. Das Resultat war dieser Song, der davon handelt, dass ich mit dem Bus irgendwohin fahre, abspace und happy bin. Für ein paar Rappen mehr. (Lacht.)

Weshalb landen Sie darin im Spreitenbacher Einkaufszentrum?
Ich mag Tage, an denen ich kein Programm habe. Dann fahre ich schon mal mit dem Velo nach Spreitenbach – nicht, weil ich etwas brauchte oder es eine speziell schöne Gegend wäre, sondern einfach, weil ich manchmal gern allein unterwegs bin und meine Gedanken schweifen lasse.

Bis zu Ihrem 50. Geburtstag ist es nur noch ein gutes Jahr. Wofür ist die Zeit bei Ihnen langsam reif?
Als ich das letzte Album mit einer kleinen Plattenfirma machte, realisierte ich, wie viel ich als Musiker selbst machen musste, was mir früher abgenommen worden war. Trotzdem wird erwartet, dass ich mich präsentiere, als stünden immer noch zehn Personen dahinter. Sich diesem Stress auszusetzen, kann es irgendwie nicht sein. Ich muss noch herausfinden, wie ich das in Zukunft handhaben möchte. Ausserdem will ich das Tempo – alle zwei Jahre ein neues Album – etwas herunterschrauben. Hier kommen bei mir jedoch stets Existenzängste auf. Schliesslich haben Mylen und ich zwei Kinder im Alter von neun und elf Jahren.

Sie haben das aktuelle Sina-Album mitproduziert. Wollen Sie noch mehr im Hintergrund arbeiten? Ganz ohne eigenes Hauptprojekt würde mir etwas fehlen, aber ich bin sehr offen für andere Tätigkeitsfelder. Nachdem ich schon Lieder zu zwei Kindermusicals beigesteuert hatte, von denen «D Schatzinsle» gerade wieder aufgeführt wird, wurde ich nun engagiert, die Musik zu einem Musical für Erwachsene zu komponieren. Darauf freue ich mich ebenso wie auf die dritte Show des Secondhand Orchestras im Herbst.