Seit Anfang 2023 bespielt das Zimmermannhaus im Rahmen einer vorerst dreijährigen Zwischennutzung das ganze Haus an der Vorstadt 19 in Brugg. Mit Beginn des neuen Jahres wird es erstmals dual geleitet: Maria Bänziger (39), Künstlerin und Kuratorin, ist seit dem 1. Januar als Co-Leiterin mit einem 45-Prozent-Pensum mit im Boot. Sie ergänzt Andrea Gsell (49), die das Zimmermannhaus seit 2017 erfolgreich führt.
«Allein denken ist kriminell»
Gsell sagt, dass ihr schon länger klar gewesen sei, dass sie die Institution nicht in Alleinregie führen wolle, getreu dem Credo «Allein denken ist kriminell» der Schweizer Frauenband Les Reines Prochaines. «Bei einem Betrieb dieser Grösse keine Stellvertretung zu haben, erwies sich seit Corona zunehmend als belastend und für den Betrieb als risikoreich», führt Gsell aus. «Teamarbeit kann dann richtig zum Tragen kommen, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich wirklich mit dem Betrieb identifizieren und sich einbringen können.»
Eine Co-Leitung im Zimmermannhaus sei aus ihrer Sicht eine gute Ausgangslage, um mit den beschränkten Ressourcen dem Publikum und der Stadt Brugg möglichst viel zu bieten. Die beiden versierten Fachfrauen haben sich die Organisation aufgeteilt. Beide sollen in allen Bereichen handlungsfähig sein. Bänziger übernimmt die Kammermusikkonzerte und die Personalführung. Gsell hat die Verantwortung für die städtische Kunstsammlung und das Aussenzimmer-Vermittlungsprojekt inne. Der laufende Strategieprozess sei ein geteiltes Ressort, ebenfalls die inhaltliche Planung der Ausstellungen. Die einzelnen Ausstellungsprojekte wiederum werden in Hauptverantwortung aufgeteilt. So hat Gsell den Lead bei der kommenden Ausstellung von Katrin Hotz und Sonja Kretz, die im Februar startet, und Bänziger übernimmt die Organisation der Residenz vom Herbst, bei dem sich Myriam Gämperli und das Künstlerinnenduo Celia und Nathalie Sidler im Zimmermannhaus einquartieren werden. Es seien pragmatische Entscheide, die sie aufgrund der Erfahrungen beider periodisch überdenken würden. «Wir beide schätzen diesen Dialog und die Auseinandersetzung sehr und halten sie für zentral», so Gsell.
Bachelor in Fine Arts und Master in Curatorial Studies
Maria Bänziger hat 2019 den Master of Arts in Curatorial Studies an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen und war bis zum Oktober im Kunstraum Baden als kuratorische Assistenz und Projektmitarbeiterin tätig. Seit 2013 arbeitet sie zudem als freischaffende Kuratorin und Künstlerin und als Projektkoordinatorin bei Artists in Residence im Auftrag der Fachstelle Kulturvermittlung des Kantons Aargau. «Sowohl als Künstlerin wie auch als Kuratorin finde ich spannend, was der Mensch, der zuschaut und wirkt, bewegt – und wie Verbindungen zwischen Menschen einen Mehrwert schaffen können. Ein Antrieb für mich ist, dass Kunst über die Gemeinschaft und das gemeinsame Erleben an Kraft gewinnt.»
Wunderbare Leckerbissen ausgesucht
Bänziger hat im Zimmermannhaus mit kleinem Pensum und als stellvertretende Leiterin bereits im Juli 2023 zu arbeiten begonnen. Dabei haben die Frauen den Fokus vor allem auf die Jahresplanung 2024 gelegt. Mittlerweile ist das gesamte Programm gemeinsam geplant. So bestätigt Gsell, dass bei der Planung beiden schnell klar gewesen sei, dass viele gemeinsame Nenner bestünden. Zentrales Anliegen war, auf Austausch zu setzen, sowohl unter den Kunstschaffenden als auch mit dem Publikum – generell, sich nach aussen zu öffnen. Im aktuellen wie im Folgejahr gehe es darum, Verbindungen herzustellen und den Dialog zu pflegen. Und wie sieht es mit Visionen aus? «Visionen gibt es viele. Wir stehen ja noch ganz am Anfang unserer Zusammenarbeit und mitten in einem Findungsprozess auf verschiedenen Ebenen», hält Gsell fest. «Ein wichtiges Anliegen ist, innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen Voraussetzungen zu schaffen, welche die Ressourcen aller Beteiligten berücksichtigen, und über Inhalte und Auseinandersetzung einen Mehrwert zu schaffen», erklärt sie zielorientiert. Die kommenden Monate wollen Gsell und Bänziger nebst dem Tagesgeschäft der Schaffung einer soliden Grundlage von Prozessen und Strukturen, der Stärkung ihres Zusammenwirkens sowie dem Abgleich ihrer Visionen widmen – «mit unserem Wirkungsfeld und weiteren Playern», sagt Gsell. Bänziger bemerkt: «Grundsätzlich möchten wir im neuen Setting Bedingungen schaffen, damit der Betrieb professionell geführt werden kann und so seiner Aufgabe als Kunstinstitution gerecht wird.» Das einerseits im Umfeld der Kunst, andererseits im städtischen Kontext. «Dementsprechend bemühen wir uns um eine sinnvolle Arbeitsteilung und Kommunikationsform», so die beiden Kuratorinnen. Geplant sei ausserdem ein Coaching mit einer Mediatorin, die den Co-Leiterinnen mit ihrem Aussenblick und ihrem Fachwissen im Bereich der Betriebsführung und der Strategieprozesse zur Seite steht. Fiona Cavegn, die als Projektmitarbeiterin eine tragende Rolle im Team übernimmt, wird an diesem Coaching ebenfalls teilnehmen. «Im alltäglichen Betrieb reden wir zu dritt sehr viel miteinander und legen Wert auf transparente Abläufe. Es ist uns wichtig, dass alle drei sich mit dem Bild des Zimmermannhauses identifizieren können», unterstreichen die Künstlerinnen.
Ein ganzes Jahr lang Geburtstag feiern
Mit einem Sommerfest im August sowie einem einjährigen Vermittlungsprojekt im angrenzenden Park feiert das Zimmermannhaus heuer das 40-jährige Bestehen. Ob ein Jahr lang Geburtstag gefeiert wird? «Unser Programm hält tatsächlich über das ganze Jahr hinweg immer wieder feinste Tortenstücke bereit. Das Sommerfest in der Mitte des Jahres bringt Jubiläumsprojekt, Eröffnung der Residenz und Musikprogramm zusammen und lädt die Bevölkerung, das Publikum sowie die Kunstschaffenden der vergangenen 40 Jahre zum gemeinsamen Feiern», sagt Gsell erfreut. Grundsätzlich werde 2025 ein Jahr der Öffnung, berichtet Bänziger. Alle Projekte seien darauf ausgelegt, Zugänge zu schaffen und Einblicke zu gewähren. Das Jubiläumsprojekt, das vom Vermittlungskollektiv Expositu geleitet wird, gebe der Bevölkerung der Stadt Brugg die Möglichkeit, ihre Wünsche bezüglich einer zukünftigen Nutzung der anliegenden Parkanlage anzubringen. Das im Mai startende Lab in Lab-Projekt will Raum bieten für Experimente und diese mit den Besuchenden teilen.