«Wasser ist mein Element»

Der Technopionier liebt nicht nur das Baden in sphärischen Klängen. Yello-Klangtüftler Boris Blank über die Musik auf seinem neuen Soloalbum «Resonance», die ursprünglich für das «Fortyseven» entstand.
Der Schweizer Popstar und Yello-Klangkünstler Boris Blank hat am Montag im «Fortyseven» sein neues Album vorgestellt. (Bild: zVg | Anina Meier)

Boris Blank, haben Sie sich schon einmal unter die Gäste des «Fortyseven» gemischt, um die Wirkung Ihrer Musik zu beobachten?
Nein, aber natürlich habe ich das Spa besucht, bevor die Therme eröffnet wurde. Bei der Abnahme musste ich in Badehosen in den 1,20 Meter tiefen, salzhaltigen Pool des Solebads steigen, um beurteilen zu können, ob jeder einzelne Lautsprecher genau so angesteuert wird, wie es nötig ist, damit die Soundeffekte dreidimensional wahrgenommen werden.

Der «Fortyseven»-Besuch wäre auch jetzt nicht entspannt …
Stimmt, ich würde wohl keine Ruhe finden, wenn dauernd Leute zu mir kämen und sagen würden: «Hey, bist du nicht der von Yello in Badehosen?» (Lacht.)

Wäre Wellness überhaupt etwas für Sie?
Ja, ich schwimme drei bis vier Mal pro Woche ganz in der Nähe von Zürich einen Kilometer. In dem Bad gibt es Wellness, einen grossen Gymnastikraum, Kraftmaschinen, Dampfbad und Saunen. Ich mag das sehr gern. Wasser ist mein Element.

Welche Vision hatten Sie vom «Fortyseven»-Soundtrack?
Ich wollte eine meditative, entspannende Atmosphäre schaffen, jedoch ohne den Einsatz von keltischen Harfen oder Panflöten, die schnell einen esoterischen oder kitschigen Eindruck erwecken. Es war mir wichtig, dass diese Musik die gewisse DNA meines Klangs hat.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Popstar eine solche Auftrags­arbeit übernimmt. Wie kam es dazu?
Ich wurde zu einer Begehung des Rohbaus der Thermen eingeladen und war sofort fasziniert von den ausgegrabenen Grundmauern des römischen Bads und der heissen Quelle, die schon vor über 2000 Jahren gefasst worden ist. Als gelernter Bauzeichner habe ich zudem eine besondere Affinität zur Baukunst. Und schliesslich ist Stararchitekt Mario Botta eine besonders liebenswürdige Persönlichkeit.

Was hat Sie zu Ihren Stücken inspiriert?
Speziell das Kosmo, ein wichtiger Teil des Spa, wo sich etwa zehn Leute auf eine Liegeninsel legen und an der Decke Projektionen von Bildern sehen können, die Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen, Mikro- und Makrokosmos sowie das Universum zeigen, und das ganz in Schwarz gehaltene Solebad, wo Hunderte von LED, die wie ein nächtlicher Sternenhimmel anmuten, Licht in die Dunkelheit bringen. Kurz nachdem ich dafür das spätere Albumtitelstück «Resonance» fertiggestellt hatte, fragte mich eine englische Agentur, die für die Nasa einen Trailer zur Lancierung des James-Webb-Weltraumteleskops produzieren sollte, ob ich passende Musik für dessen Untermalung hätte. Ich nahm die Essenz aus der viertelstündigen «Fortyseven»-Fassung und verstärkte den sphärischen Sound. Er gefiel sogar dem damaligen Schweizer Nasa-Wissenschaftsdirektor Thomas Zurbuchen, der nun Professor an der ETH ist. Leider wurde der Trailer letztlich nicht realisiert.

Schade.
Das fand ich auch und machte deshalb ein Musikvideo mit computeranimierten Raumfahrtbildern, die meiner eher naiven Science-Fiction-Vorstellung entsprungen sind. Es ist nicht nur auf Youtube zu sehen, sondern wird – wie fünf andere Videos – auf der Blue-Ray-Disc sein, die der CD beiliegt und ein audiovisuelles 3-D-Erlebnis in Dolby Atmos ermöglicht, sofern man die entsprechende Anlage besitzt.

Was müssen Sie als Künstler berücksichtigen, damit dieses spezielle Surround-System seine volle akustische Wirkung erzielen kann?
Ich habe – wie beim letzten Yello-Album «Point» – die Stereoversion als Referenz und jede einzelne Tonspur an das spezialisierte MSM-Studio in München geschickt. Dort werden die Stücke so abgemischt, dass ein transparentes dreidimensionales Klangbild entsteht, das den Eindruck vermittelt, man könne hinten am Horizont einen Bleistift zu Boden fallen hören. (Lacht.) Ich finde, der Unterschied zwischen Stereo und Atmos ist etwa gleich spektakulär wie damals zwischen Mono und Stereo.

Gehen Sie für jedes neue Album auf Klangfang, oder haben Sie keinen Bedarf mehr, weil Sie schon jede Menge Geräusche und Klänge aus der Schublade ziehen können?
Als Jäger und Sammler halte ich meine Ohren ständig für Entdeckungen offen, bediene mich aber meistens bei den Abertausenden von Sound­files, die ich seit der Yello-Gründung abgespeichert habe. Ich kann sie mit der neuesten Technologie immer ­wieder so recyceln, dass sie frisch klingen.

Können Sie Beispiele für Geräusche nennen, die Sie selbst erzeugen?
Wenn man ein Klebeband über einem Mikrofon von der Rolle zieht und die Aufnahme zwei, drei Oktaven tiefer abspielt, klingt es wie ein Gewitter mit Blitz und Donner. Ich habe früher auch Schneebälle an die Studiomauern geworfen und das Geräusch mit zwei Mikrofonen aufgenommen. Nach unten transponiert und etwas zurechtgeschnitten, wurde daraus eine Basedrum mit irrsinnigem Bassvolumen. Solche Experimente mache ich bis heute. Ich benutze zudem die von mir entwickelte Yellofier-App, die mit einer Art Zufallsgenerator arbeitet, um laufend neue ungewöhnliche Geräusche zu erzeugen.

Benutzen Sie noch Geräte aus der Frühzeit von Yello?
Da kommt mir nichts in den Sinn. Ich habe nur einen Arp-Odyssey-Synthesizer behalten – aus emotionalen Gründen. Er kommt jedoch nicht mehr zum Einsatz. Ich habe schon immer an den technischen Fortschritt geglaubt. Vielleicht wird eines Tages die Musik, die wir uns denken, mithilfe von Entwicklungen in der Neurowissenschaft aus unserem Hirn ausgelesen und mithilfe von künstlicher Intelligenz direkt in Musik umgewandelt.

Wird künstliche Intelligenz Kunstschaffende sogar ­überflüssig machen?
Nein, da sehe ich keine Gefahr. Künstlich hat nichts mit Kunst zu tun! (Lacht.) Wenn künstliche Intelligenz Musik generiert, fehlt ihr der menschliche Impuls, die Seele. Der Podcast Supernova hat mir einmal zwei Reporter ins Studio geschickt, die mir kichernd einen Song vorspielten, den eine mit Yello-Alben gefütterte künstliche Intelligenz komponiert hatte. Eine der Stimmen erinnerte ein wenig an Dieter, aber ansonsten handelte es sich um eine totale Kakofonie, weit weg von Yello. Noch viel weniger dürfte ein Computer an die Genialität eines Mozart, Rachmaninow oder Stockhausen herankommen.

Welches sind Ihre nächsten Pläne?
Es geht zurück auf die Hauptstrasse Yello. Ich arbeite an den rund 70 Stücken, die vor oder nach «Resonance» entstanden sind und aus denen sich die Songs des nächsten Albums herauskristallisieren werden.