Brückenprojekt braucht Brückenbauer

Die neue Spinnereibrücke kommt nicht so rasch wie ursprünglich erwartet. Die Gemeinden Windisch und Gebenstorf wollen die Spinnereibrücke über die Reuss ersetzen. Aber seit drei Jahren stockt das Vorhaben.
Der Zugang zur neuen Spinnereibrücke auf Windischer Seite bedingt eine Terrainerhöhung um 1,2 Meter. Deshalb müssen die Kastanien der unter Schutz stehenden Baumallee gefällt und neu gepflanzt werden. Dafür gibt es verschiedene Lösungsansätze. (Bild: hpw)

Im Frühling 2019 bemerkten Taucher, dass ein Pfeiler der 1834 erstellten Fussgängerbrücke zwischen dem Gebenstorfer Ortsteil Reuss und der ehemaligen Spinnerei Kunz in Unterwindisch unterspült war. Der Reusssteg wurde drei Wochen lang gesperrt, der geschwächte Pfeiler durch Stahlprofile verstärkt und der Übergang Ende September 2019 mit fünfjähriger Garantie wieder geöffnet. Sofort machten sich die zwei Gemeinden an die definitive Lösung des Problems. Sie entschieden sich aufgrund einer Studie für einen Brückenneubau, lancierten einen Wettbewerb, erkoren das Siegerprojekt, bewilligten den Baukredit und wollten das Vorhaben im Winterhalbjahr 2022/23 ausführen.

Doch der Planungs- und Bewilligungsprozess kam nicht so rasch voran wie erhofft. Wieso? Seit dem Kreditbeschluss vor drei Jahren seien viele Abklärungen getroffen und Verhandlungen geführt worden, erklärt Gemeindepräsidentin Heidi Ammon. Die Öffentlichkeit nimmt indessen kaum Fortschritte bei der Verwirk­lichung des Vorhabens wahr – trotz eines erzielten, allerdings wenig beachteten finanziellen Durchbruchs. Noch immer lässt die öffentliche Auflage des Bauprojekts auf sich warten. Und das wird noch eine Weile dauern.

Eindruck der Stagnation
Ob der Funkstille wurden der Quartierverein Unterwindisch, die Quartierentwicklungsgruppe Unterdorf und vom Projekt betroffene Anwohner, die sich im Netzwerk Spinnereibrücke zusammenschlossen, nervös. Sie forderten letzten Oktober einen runden Tisch. Stattdessen gab es eine öffentliche Informationsveranstaltung, an der die Pläne des Vorprojekts gezeigt wurden, wie sie aus dem Brückenwettbewerb hervorgingen und die Grundlage für den Baukredit von 2,45 Millionen Franken (Gemeindeanteil Windisch) bildeten, den der Einwohnerrat im Herbst 2021 bewilligte.

Deshalb erkannten die Anwohner in den Unterlagen keine Weiterentwicklung des Projekts. Hingegen orteten sie Mängel im Planungsverfahren, unter anderem fehlende verbindliche Absprachen mit betroffenen Grundeigentümern, Unklarheiten in der Wegführung und eine schlechte landschaftliche Eingliederung des Zugangs zum neuen Steg. Der Gemeinderat bestätigte anschliessend, dass die Gestaltung des Brückenkopfs auf Windischer Seite noch bearbeitet werde.

Ein finanzieller Durchbruch
Heidi Ammon macht für die Verzögerung verschiedene Gründe geltend. Sie nennt Verhandlungen mit Dritten und Entscheide, die über einige Zeit offenblieben. Zum Beispiel habe der Einwohnerrat bei der Genehmigung des Baukredits den Gemeinderat aufgefordert, vom Kanton eine Kostenbeteiligung zu erwirken, weil der Steg Bestandteil des Zubringers zur kantonalen Velovorzugsroute Brugg–Windisch–Gebenstorf werde. Auf das Gesuch hin habe der Kanton zunächst eine Verkehrszählung verlangt und die von der Gemeinde gelieferten Zahlen durch eigene Nacherhebungen überprüft. Dabei sei die bedeutende Verkehrsfrequenz bestätigt worden.

Deshalb nahm der Grosse Rat letzten Herbst die Velohauptroute in den kantonalen Richtplan auf. So konnte der Kanton das Brückenprojekt auch in das Agglomerationsprogramm Aargau Ost des Bundes einbringen. Bund und Kanton übernehmen dadurch etwa die Hälfte der Gesamtbaukosten von 4,81 Millionen Franken. Während das finanzielle Anliegen nun geregelt ist und den beiden Gemeinden eine bedeutende Entlastung bringt, ist noch eine für die Gestaltung der Brückenzufahrt wichtige Übereinkunft mit rund 30 Grundeigentümern aus dem Kunz-Areal offen. Solang diese Verhandlungen nicht abgeschlossen seien, könne das Bauprojekt nicht aufgelegt und darüber informiert werden, erklärt Heidi Ammon. Den Vorwurf der zu knappen Kommunikation kontert sie mit dem Hinweis, der Gemeinderat habe den Einwohnerrat bisher regelmässig über den Stand der Dinge ins Bild gesetzt.

Komplexe Brückenkopfsituation
Die Konstruktion der neuen Brücke und vor allem deren Verbreiterung von drei auf vier Meter scheint vereinzelten Anstössern Mühe zu bereiten. Doch am Stegprojekt gibt es kaum mehr viel zu rütteln. Wegen der Doppelfunktion als Fussgängerverbindung und Veloweg beharrt der Kanton auf der Brückenbreite von vier Metern. Die grössere Knacknuss ist der Brückenkopf auf Windischer Seite. Die Achse des Stegs wird leicht flussaufwärts abgedreht, und wegen des Hochwasserschutzes wird die Brücke gegenüber dem heutigen Terrain um 1,2 Meter angehoben. Das erfordert eine Anpassung beim Brückenzugang: Der Weg, der von der Ländistrasse über den Kraftwerkkanal zur künftigen Brücke führt, muss dem neuen Niveau angepasst werden. Zudem werden die Kastanienbäume der zweireihigen und unter Schutz stehenden Allee auf dem sogenannten Inseli gefällt und neu gepflanzt werden müssen.

Aber die Besitzverhältnisse im Brückenkopfbereich sind komplex. Früher gehörte alles der Spinnerei. Jetzt gibt es drei Eigentümerschaften. Erstens den Energiekonzern Axpo, dem die Ufermauer und die Böschung bis zur ersten Baumreihe gehören; zweitens die Gemeinde, welche die reussseitige Baumreihe sowie den Weg durch die Allee besitzt; drittens eine Gemeinschaft von über 30 Bewohnenden im Kunz-Areal, denen eine westlich an die Allee grenzende kleine Wiese sowie die zweite Baumreihe gehören. Mit ihnen will die Gemeinde einen Streifen Land abtauschen, damit die zweite Baumreihe auf öffentlichen Grund zu stehen kommt. Für deren Ersatz und die künftige Pflege wären dann nicht mehr die jetzigen Privatbesitzer, sondern die Gemeinde verantwortlich.

Fortsetzungsprojekt der Axpo
Die Einigung mit der Eigentümerschaft im Kunz-Areal sei die Voraussetzung dafür, dass die Gemeinde den Zugang zur Brücke den neuen Terrainverhältnissen anpassen könne, betont Heidi Ammon. Laut Roland Schneider, Leiter der kommunalen Abteilung Bau und Planung, wird dieser Eigentümergruppe bald ein Kauf- beziehungsweise Abtauschvertragsentwurf unterbreitet. Auch mit der Axpo sei man im Gespräch, erklärt die Gemeindepräsidentin und dementiert damit gegenteilige Vermutungen. Beim Netzwerk Spinnereibrücke ist man jedoch der Meinung, es werde zu wenig miteinander geredet.

Bei der Gestaltung des Zugangs zum neuen Reusssteg spielt ein pendentes Projekt der Axpo eine Rolle. Der Energiekonzern muss nämlich bis 2028 den heutigen Schwemmgutrechen am Eingang zum Kraftwerkkanal durch eine neue Anlage ersetzen, die verhindert, dass Fische in den Kanal und in die tödliche Turbinenfalle geraten. Überdies soll der jetzige schmale Steg über den Kraftwerkkanal durch eine ebenfalls vier Meter breite Brücke mit geänderter Linienführung ersetzt werden. Das sei Aufgabe des Kantons, erklärt die Gemeindepräsidentin. Man fragt sich, wieso dieses Vorhaben nicht gleichzeitig mit dem Projekt für die neue Reussbrücke aufgegleist worden sei, zumal Synergien möglich gewesen wären. Doch die Axpo sei dazu noch nicht bereit gewesen, bedauerte der Gemeinderat schon 2021.

Vorschläge zur Ufergestaltung
Das Netzwerk Spinnereibrücke sowie Anwohner, Quartierverein und Quartierentwicklungsgruppe bleiben wachsame Beobachtende des Geschehens. Weil sie seit der öffentlichen Infoveranstaltung vor bald drei Monaten nichts mehr über die Projektbearbeitung vernahmen, schrieben sie dem Gemeinderat am 1. Februar erneut einen Brief. Darin verlangen sie eine Optimierung der Brückenkopfgestaltung und machen mit einer Projektskizze gleich einen Verbesserungsvorschlag – ohne das Brückenprojekt grundsätzlich infrage zu stellen, wie sie betonen.

Ihre Idee geht dahin, das um 1,20 Meter erhöhte Terrain am künftigen Brückenkopf durch eine Aufschüttung über die gesamte Länge der Baumallee fortzusetzen, also die jetzigen Bäume zu fällen und die neuen Bäume auf höherem, gleichmässigem Niveau zu pflanzen, anstatt einen Teil der Allee in eine Rampe mit sechs Prozent Steigung zu verwandeln. So würde zwar der Höhenunterschied von der künftigen Baumallee hinunter zur bestehenden Reuss-Ufermauer grösser. Aber das, finden die Initianten, böte die Möglichkeit, am Reussbord oberhalb er Stützmauer und der erneuerten Allee entlang eine mehrstufige Sitztreppe als Promenade mit bester Aussicht auf das Reusswehr zu erstellen und damit eine Uferattraktion zu schaffen, wie sie die Zürcher an der Limmat oder die Basler am Rhein kennen würden.

Noch nicht zu spät?
Der Gemeinderat bestätigte dem Netzwerk Spinnereibrücke umgehend den Eingang des Schreibens. Heidi Ammon und Roland Schneider lehnen die Anregungen nicht zum Vornherein ab, sie erwägen aber allfällige Konsequenzen wie neue Planungsaufträge, weitere Verzögerungen, Mehrkosten. Ist es noch möglich, andere Lösungen für den Brückenzugang samt Allee-Ersatz in Betracht zu ziehen? Nun, das definitive Bauprojekt scheint so oder so noch nicht auflagebereit zu sein. Viel hängt davon ab, wie man mit der privaten Eigentümerschaft aus dem Kunz-Areal den Rank findet. Das Projekt braucht jetzt wahrscheinlich nicht nur tatsächliche, sondern auch symbolische Brückenbauer, die es verstehen, Interessenunterschiede zu überwinden.