Mehrsprachigkeit gezielt fördern

Das Familienzentrum Karussell bietet neu vierteljährlich einen Beratungstreff für mehrsprachige Familien an. Das Interesse ist riesig.
Yvonne Brogle und Paula van der Hijden im «Karussell». (Bild: isp)

Yvonne Brogle (62) aus Wettingen und Paula van der Hijden (51) aus Wettingen haben sich beim Frauentreff für Migrantinnen und einheimische Frauen im Karussell kennengelernt. Beide stellten schnell fest, dass sie die Neugier und die Leidenschaft für Menschen, Kulturen und Sprachen verbindet. «Ausserdem teilen wir viele weitere Interessen und sind beide offen und neugierig», ergänzt Yvonne Brogle. Beste Voraussetzungen also, um gemeinsame Sache zu machen. Im Zuge des gegenseitigen Austauschs kam den initiativen Frauen die Idee, sich für ihre Mitmenschen zu engagieren.

Sie entschieden sich deshalb, einen Beratungstreff mit einem niederschwelligen Angebot für Familien zu organisieren, in deren Alltag neben Deutsch eine oder mehrere andere Sprachen eine Rolle spielen. In vielen Familien kommen heutzutage mehrere Sprachen vor, sei es, weil die Familie zu Hause eine andere Sprache als Deutsch spricht oder weil die Eltern aus verschiedenen Sprachgruppen stammen und unter Umständen mit den Kindern nochmals eine andere Sprache sprechen.

Schwerpunkte, die alle Familien betreffen
Ein Schwerpunkt des neuen Angebots wird es sein, Familien über Strategien rund um die Mehrsprachigkeit im Familienalltag zu informieren. Dabei geht es unter anderem um allgemeine Sprachförderung sowie um die Analyse individueller Situationen im Zusammenhang mit Familiensprachen und Möglichkeiten, damit umzugehen. Der Beratungstreff soll dabei sehr praxisnah sein, die spezifischen Bedürfnisse der anwesenden Familien berücksichtigen und darauf eingehen. Weiter soll der Zusammenhang zwischen Erstsprache, Identität und Kultur beleuchtet und aufgezeigt werden, wie trotz unterschiedlicher Herkunft und Sprache in der Region Baden erfolgreich und glücklich gelebt werden kann. «Wir werden auch auf andere lokale und nationale Angebote aufmerksam machen und mehrsprachige Familien auf für sie relevante Informationen hinweisen. So zum Beispiel auf die Erstsprachenförderung ‹Schenk mir eine Geschichte›, die es seit vielen Jahren im ‹Karussell› gibt», verrät Yvonne Brogle. «Daneben werden wir praktische Tipps zur mehrsprachigen Kindererziehung austauschen und gegenseitig unsere Erfahrungen und theoretischen Beobachtungen zur Wahl einer Familiensprache und zur Erforschung von Strategien im Umgang mit Mehrsprachigkeit teilen. Zudem werden wir die Teilnehmenden ermutigen, untereinander Tipps und Erfahrungen auszutauschen», sagt Paula van der Hijden.

Themen, die dabei sicher auftauchen würden, seien die kulturellen Komponenten und die Identität in Bezug auf Sprache sowie der Umgang mit Zweifel, Kritik oder Sprachverweigerung. Auch Erfahrungen mit dem Schulsystem könnten diskutiert werden.

Reise unterhaltsam gestalten
Die Beratungstreffen sollen nach einem festen Prozess ablaufen. Zuerst gibt es eine Vorstellrunde, bei der sich die Teilnehmenden kennenlernen. Dann folgt ein Inputreferat, bei dem wichtige Überlegungen im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit besprochen werden und Wissenswertes dazu erläutert wird. Ein wesentlicher Teil der Treffen wird die Beantwortung der konkreten Fragen der Eltern sein. Dabei soll die Vernetzung der Eltern untereinander gefördert werden. Paula van der Hijden und Yvonne Brogle wollen besonders darauf achten, dass eine Mehrsprachigkeits­situation nicht als problematisch betrachtet und wahrgenommen wird. Sie sind davon überzeugt, dass es möglich ist, einen mehrsprachigen Familienalltag unterhaltsam, interessant und bereichernd zu gestalten. Mehrsprachigkeit ist dabei kein Ziel, sondern eine Situation und ein Prozess, der viel mehr Ebenen hat als nur die Weitergabe einer Sprache.

Bei den Beratungstreffen erhalten die Teilnehmenden gegenseitige Einblicke in andere Lebenswelten. Das fördert das Verständnis und die Empathie für andere Kulturen und Lebensweisen. Die Zeitfenster, die Familien hätten, um mit Kindern Sprachen anzuwenden, seien schliesslich eine grosse Chance, sind die beiden Frauen überzeugt. Mehrsprachigkeit sei in der heutigen Welt die Norm und nicht die Ausnahme. Sprache sei ein Kommunikationsmittel und als solches wichtig für alle Menschen und Familien, sind sich die Fachfrauen einig.

Paula van der Hijden und Yvonne Brogle – die beiden Powerfrauen bieten gemeinsam einen Beratungstreff für mehrsprachige Familien an. (Bild: isp)

Prädestiniert für diese Aufgaben
Als Kindergärtnerin hat Yvonne Brogle während vieler Jahre mehrsprachige Familien begleitet und dadurch Einblick in das Thema erhalten. Als Linguistin mit einem Abschluss in semitischen Sprachen bringt Paula van der Hijden einen Rucksack mit, der mit Erfahrungen gefüllt  ist: «Als Sprachforscherin und Mutter in einer mehrsprachigen und multikulturellen Familie habe ich mich immer dafür interessiert, wie Kinder Sprachen erwerben.» Zudem arbeitet Paula van der Hijden als Expat-Coach und hat sich in ihrer eigenen Praxis mit dem Thema beschäftigt. «Durch unsere interkulturellen beruflichen Tätigkeiten sehen wir beide die Bedürfnisse von mehrsprachigen Familien und können sie darin bestärken, die Mehrsprachigkeit nicht aufzugeben», ergänzt Yvonne Brogle. Der erste Beratungstreff im Badener «Karussell» findet am Samstag, 9. März, von 9.30 bis 11.30 Uhr statt. Die beiden Initiantinnen freuen sich sehr auf den Start ihres neuen Projekts. Erste Anmeldungen sind bereits eingegangen.

Bei Bedarf ausbaufähig
Angedacht ist, den Beratungstreff viermal jährlich durchzuführen. Paula van der Hijden hat festgestellt, dass Eltern ab und an erst ermutigt werden müssen, solche Angebote in Anspruch zu nehmen. Bei entsprechend nachhaltigem Bedarf sei es aber möglich, das Netzwerk auszubauen. Eine Sensibilisierung von Lehr- und anderen Fachkräften erachten die beiden Frauen ebenfalls als Option, um weiter auf die Thematik der Mehrsprachigkeit aufmerksam zu machen. «Wir starten jetzt und schauen, wie sich das entwickelt», bestätigt Yvonne Brogle. «Schliesslich möchten wir die Mehrsprachigkeit mit diesem Beratungstreff sichtbar machen und Menschen rund um dieses Thema vernetzen. Mit vorgängiger Anmeldung bieten wir einen Kinderhütedienst an, sodass sich die Eltern ungestört mit dem Thema befassen können.» Diese Vorgehensweise entspricht ganz dem Lebensmotto von Yvonne Brogle: «S chunnt scho guet.» Und auch Paula van der Hijden ist motiviert, denn mit ihrer Gangart «Solidarität ist unsere Stärke» ist sie bis jetzt bestens gefahren. Die Anmeldung sowie weitere Informationen zu den Beratungstreffen für mehrsprachige Familien sind unter karussell-baden.ch zu finden.