Weshalb haben Sie den Albumtitel «Nell’attimo» gewählt?
Alles geschieht «im Augenblick». Angesichts der lauten und aufdringlichen digitalen Welt, in der wir uns bewegen, und der ständigen Verbindung mit dem Entfernten sowie der wachsenden Distanz zum Nahen verspüre ich umso mehr die Notwendigkeit, meine Gefühle und Gedanken in nicht viel weniger als einem Augenblick auszudrücken – in den drei, vier Minuten eines Lieds.
Wie sind die zwölf Lieder auf dem neuen Album entstanden?
Zuerst wollte ich ein Best-of-Album aufnehmen, zwölf Songs aus meinem grossen Repertoire solo neu interpretieren. Zunächst ging ich jedoch in die Ferien nach Italien, wo ich am ersten Tag ein Lied schrieb. Ich dachte, ich würde es als Bonustrack auf das Album nehmen, doch dann entstand an jedem der zwölf Tage ein neues Lied. Darauf entschied ich mich, sie anstelle der alten Songs aufzunehmen, und zwar in einer einfachen Besetzung: Gitarre oder Piano, dazu etwas Cello, Klarinette und Akkordeon, fertig. Alles in klaren, transparenten Arrangements, bei denen die Stimme ganz vorn steht und die Texte gut zur Geltung kommen.
Und nun touren Sie erneut solo durch die Lande?
Ja, ich trete wieder einmal ganz allein auf, ohne einen einzigen Instrumentalisten, wie ich es letztmals vor 23 Jahren machte. Ich will das Gefühl haben, mit den Leuten – egal, ob es hundert oder tausend sind – in einer Stube zu sitzen und für sie eine Runde Lieder zu singen.
Wie sieht Ihr Programm aus?
Es ist eine Retrospektive auf 40 Jahre meiner Musik und ein lustiger Abend. Ich erzähle zu den Liedern Geschichten und zeige viele alte Filme und Fotos, die jene Menschen, die mich schon länger begleiten, an Episoden aus ihrem eigenen Leben erinnern dürften.
Viele Ihrer Lieder berühren, sind aber nur schwer oder teilweise zu entschlüsseln. Sind Sie der italienischsprachige Bob Dylan?
Ich hoffe es nicht, weil ich ihn nicht mag! (Lacht.) Ich möchte mich jedoch auf keinen Fall mit ihm vergleichen. Schliesslich hat er als erster Musiker überhaupt den Nobelpreis für Literatur gewonnen.
Welches ist Ihr eigener poetischer Anspruch?
Die Form muss hervorragend sein. Die Dichtung muss klingen, wenn man sie rezitiert. Wenn auch der Inhalt stimmt, ergibt sich daraus ein grösseres Ganzes. Wahre Poesie enthält darüber hinaus ein Geheimnis, das weder das Publikum noch der Dichter kennt. (Lacht.)
Wie entscheiden Sie sich beim Songschreiben zwischen Gitarre und Piano?
Das mache ich sehr intuitiv, wobei sich das Klavier eher für Balladen und die Gitarre eher für temperamentvollere Lieder eignet. Da ich klassische Gitarre studiert habe, beherrsche ich sie besser als das Pianospiel, das ich autodidaktisch erlernt habe und bei dem ich auf die Tasten schauen muss.
Was hat Sie zu dem Lied «La Strada» inspiriert?
Unser Leben wird in den Augenblicken entschieden, in denen wir auf unserem Weg an eine Gabelung kommen, an der wir manchmal innert Sekunden entscheiden müssen, ob wir links oder rechts abzweigen. Manchmal spüren wir, dass diese Entscheidung unser Leben verändern wird, aber ganz oft treffen wir sie, ohne dass uns ihre Bedeutung bewusst ist.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrem Leben nennen?
Mit 22 beschloss ich, beim Jurastudium in Palermo eine Pause einzulegen und drei Monate als Strassenmusiker durch Europa zu reisen. Das hat mein Leben komplett verändert. Wenn ich dabei nicht Linard Bardill kennengelernt hätte, wäre ich nicht hier.
Was ist damals passiert?
Er hat mich gehört, als ich in der Luzerner Fussgängerzone spielte, sprach mich an und fragte mich bei einem Kaffee, ob ich Lust hätte, bei ein paar Songs des Albums, das er gerade aufnehme, die zweite Stimme zu singen.
Was bedeuten Ihnen die Konzerte mit Konstantin Wecker, die Sie im Sommer in Basel und Luzern geben werden?
Wir feiern mit ihnen, dass wir seit 30 Jahren befreundet sind. Konstantin Wecker ist ein grossartiger Künstler, der mich ich meinen jungen Jahren einlud, mit ihm auf Tournee zu gehen und Lieder zu schreiben, darunter «Questa nuova realtà». Seither bin ich im ganzen deutschen Sprachraum bekannt und kann 80 Prozent meiner Konzerte im Ausland geben.
Erfolgreich unterwegs sind auch Ihre Kinder Julian und Madlaina, die als Faber sowie Steiner und Madlaina aus Ihrem Schatten getreten sind. Wie haben die beiden das geschafft?
Sie haben starke Persönlichkeiten. Ich zweifelte nie daran, dass sie ihre eigene Ästhetik entwickeln würden. Sie haben schon sehr früh Lieder geschrieben, in denen sie ihre eigenen musikalischen Universen entwarfen. Das ist beeindruckend und mit ein Verdienst ihrer Mutter Christine, die ihren Freigeist gefördert hat.