Er war mit Leib und Seele Förster

Nach 47 Berufsjahren sagt Markus Ottiger am heutigen letzten Arbeitstag: «Ich hatte einen Traumberuf und das schönste Arbeitsumfeld.»
Markus Ottiger, der Leiter des Forstdienstes der Stadt, geht heute 29. Februar in Pension. Er wird auch in Zukunft im Wald anzutreffen sein. (Bild: hpw)

Markus Ottigers «Pension» dauert vorerst nur eine Woche. Dann steht er Wald Schweiz, dem Dachverband der Waldeigentümer, abermals bei einer Lehrveranstaltung als Kursleiter und Instruktor zur Verfügung. Er wird seinem bisherigen Metier auch nach der elfjährigen Leitung des Brugger Forstdienstes als Berater in forstlichen Fragen sowie durch die Arbeit im zwei Hektaren grossen eigenen Wald im Bezirk Zurzach verbunden bleiben. Dort hat er seinen fünf Enkelkindern kürzlich gezeigt, wie Bäume gepflanzt werden. Das «Förstergen» kann neue Wurzeln treiben.

Die zweite Heimat Aargau
Was Wurzeln schlagen, an einem neuen Ort anwachsen, bedeutet, erfuhr Markus Ottiger persönlich. Dem gebürtigen Luzerner wurde der Aargau, namentlich das Zurzibiet, vor seiner letzten Berufsetappe in Brugg zur zweiten Heimat. Er wuchs als Kind einer siebenköpfigen Bauernfamilie in der flächenmässig grössten Luzerner Bauerngemeinde Ruswil, «Rusmu», auf. Im dortigen «Rössli» gründete Bauernführer Josef Leu 1840 den gegen die liberale Politik gerichteten Ruswiler Verein, Vorläufer der Katholisch-Konservativen Partei, der späteren CVP und heutigen Mitte. Konservative und Liberale im Dorf verkehrten noch in Markus Ottigers Jugendzeit in getrennten Beizen und Vereinen. 

Für den mit der Natur verbundenen Bauernsohn war die Berufswahl nach der mit mässiger Motivation beendeten Realschule klar. Er machte eine dreijährige Lehre als Forstwart beim Staatsbetrieb St. Urban sowie je zweijährige Erfahrungen in den Wäldern an den Hängen des Pilatus und der Rigi. Danach bestand er die Försterschule in Maienfeld und bewarb sich auf fünf Stelleninserate im Aargau, unter anderem in Riniken, wo er nicht in die Kränze kam. Hingegen wurde er auf den 1. Mai 1986 als erster vollamtlicher Revierförster beim Forstrevier Belchen der Gemeinden Siglistorf, Wislikofen, Rümikon und Fisibach angestellt.

Grenzüberschreitender Förster
Nach dem tödlichen Arbeitsunfall von Revierförster Rudolf Müller aus Tegerfelden teilte das Kreisforstamt die Forstreviere von Kaiserstuhl bis Tegerfelden neu ein. Markus Ottiger und der Försterkollege Felix Binder bewarben sich beide um das Revier 3, Tegerfelden. Grossrat Binder bekam dank seiner Bekanntheit und dem Heimvorteil den Zuschlag. Dafür wurde Markus Ottiger das Revier 1, Kaiserstuhl, samt Fisibach und Rümikon zugesprochen. Aber auch die Gemeinde Wislikofen wollte mit ihren 119 Hektaren Wald dazugehören. Sie wehrte sich in einem zweijährigen Kampf gegen die Einteilung ins Revier 2, Siglistorf, und erreichte schliesslich, dass sie weiterhin von Markus Ottiger von Kaiserstuhl aus beförstert wurde.

Der neue Kaiserstuhler Stadtförster traf eine sehr spezielle Situation an. Im lediglich 32 Hektaren grossen Stadtbann existierte kein Quadratmeter Wald. Hingegen besass das Städtchen Waldparzellen in vier anderen Gemeinden in den Kantonen Aargau und Zürich – und ennet dem Rhein, auf deutschem Boden. Das hatte historische Gründe. Die Freiherren von Kaiserstuhl, nach ihnen die Regensberger, dann der Bischof von Kon­stanz und ab 1414 die Alten Eidgenossen verfügten über Ländereien beidseits des Rheins, der erst durch Napoleons Verdikt zur Grenze wurde. Kaiserstuhl behielt jedoch den zum Schloss Röteln gehörenden Waldbesitz. Und weil in Deutschland den Waldbesitzern auch die Jagd obliegt, wurde Förster Ottiger noch Jäger.

Deutliche Spuren in Brugg
Mit 52 Jahren suchte Markus Ottiger nochmals eine neue berufliche He­rausforderung. Seiner Absicht, sich selbstständig zu machen, kam Brugg mit dem Angebot zuvor, ab 2013 die Leitung des Forstdienstes zu übernehmen. Die Stadt willigte zudem ein, dass er neben der neuen Funktion auf ausdrücklichen Wunsch der Zurzibieter Gemeinde weiterhin den Wald von Wislikofen-Mellstorf betreuen durfte. In den elf Jahren in Brugg führte er ein harmonierendes Forstteam ohne schweren Unfall. Er übernahm ausserdem die Beförsterung der Gemeinden Birmenstorf, Bözberg, Riniken und Villnachern, baute den Forstwerkhof auf dem Bruggerberg aus, ergänzte den Maschinenpark und überzeugte die Stadt sowie die Industriellen Betriebe, in der neuen Heizzentrale Langmatt Holz statt Gas einzusetzen.

Daneben bietet der Brugger Forstbetrieb vielfältige Dienstleistungen an: Park- und Gartenholzerei, Sicherheitsholzerei entlang von Eisenbahn und Strassen, Holzernten im Privatwald und Verkauf von Holz- und Waldprodukten bis zu Naturschutzarbeiten und Biotoppflege – und selbstverständlich den jährlichen Einsatz am Brugger Rutenzug mit dem Bereitstellen des Kranzmaterials, dem Schmücken der Altstadt mit Tannenbäumen und der Lieferung der legendären Haselruten.

Forstwirtschaft im Clinch
Die Nebenleistungen seien wichtig, um das Kerngeschäft einigermassen wirtschaftlich über die Runden zu bringen, betont Markus Ottiger. Zu diesem Thema, das ihn sehr beschäftigt, wird er deutlich. Die Ansprüche an den Wald, sagt er, hätten sich stark verändert. Heute seien Naturschutz und Wohlfahrt die bevorzugten Produkte des Waldes, stark gefördert von der kantonalen Abteilung Wald, bei minimaler Abgeltung. Noch immer sei die Entschädigung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen ungenügend. Die Politik und die Bevölkerung erwarteten offenbar, dass die Waldbesitzer diesen Service public gratis erbrächten.

«Wir haben zu viele Aufwendungen, die nicht verrechnet werden können», hält Markus Ottiger fest. Auch der Holzpreis liege unter den Produktionskosten. Eigentlich wäre mehr Potenzial vorhanden. Die Schweiz habe einen jährlichen Holzbedarf von 11 Millionen Kubik, davon stammten aber nur 4,5 Millionen Kubik aus den einheimischen Wäldern. Heute sei es modern, den eigenen Rohstoff Holz unter dem Deckmantel Naturschutz verfaulen zu lassen und ihn stattdessen aus weit entfernten Ländern zu importieren.

Abschied mit Schlagzeilen
Markus Ottiger hat sich in den letzten Wochen seiner Forstdienstleitung noch ein paar Schlagzeilen und Leserbriefe wegen einer Baumfällaktion im Geissenschachen eingehandelt. Auf die Frage, warum rund 100 Bäume gefällt worden seien und ob nicht eine selektivere Auswahl möglich gewesen wäre, sagt er: «Es war eine reine Sicherheitsholzerei.» Der Geissenschachen – übrigens auf Windischer Boden, aber im Besitz der Ortsbürgergemeinde Brugg – sei das wichtigste Freizeit- und Naherholungsgebiet der Stadt und dazu noch militärisches Übungsgelände. Eine Holzproduktion sei hier grundsätzlich nicht vorgesehen. Doch die Waldbesitzerin trage die volle Verantwortung, wenn risikobehaftete Bäume jemanden verletzten.

Was sind nun Markus Ottigers Pläne für den (Un-)Ruhestand? Er möchte sich für die Jagd mehr Zeit nehmen, die Hobbys Blasmusik, Wandern, Velo- und Skifahren, Kochen bewusster pflegen und mit dem Wohnwagen neue Gegenden kennenlernen, wofür ihn das verheissungsvolle Ziel lockt, mit der Partnerin eine Schwester in Kanada etwas länger zu besuchen.