Frauen und ihr Durchhaltevermögen

Roxanne Monnard und Simona Gjorgjieva analysieren in ihrer Maturaarbeit die Schweiz und zeigen, wo Gleichstellung noch immer nicht erreicht worden ist.
Roxanne Monnard und Simona Gjorgjieva mit ihrem Magazin: Das Denken in Schwarz-Weiss ist ihnen zu eng. (Bild: cd)

Feministinnen und Feministen werden oft belächelt. Zwar befinden wir uns im 21. Jahrhundert, trotzdem widerspiegelt sich die Diskriminierung der Frauen nach wie vor in sämtlichen Bereichen des Lebens. Obwohl schon viele Meilensteine für die Gleichstellung erreicht worden sind, ist es für uns kein Wunder, dass noch heute der Frauenstreik stattfindet. Doch wie weit ist die Gesellschaft gekommen? Wie sehr haben sich die Bemühungen unserer Vorfahren für die Frauen von heute gelohnt?

In unserem Magazin haben wir uns mit sechs Frauen aus drei Generationen auseinandergesetzt. Unser Ziel: ihre persönlichen Erzählungen mit geschichtlichen Ereignissen hervorzuheben und so den Wandel des Frauenbilds zu verdeutlichen. Unsere Interviewpartnerinnen haben wir aufgrund diverser Kriterien ausgesucht: Alter, Stadt, Land, Zivilstatus, familiäre Situation. Dabei haben wir drei Generationen unterschieden: die ältere Generation, 75 bis 80 Jahre; die mittlere Generation, 50 bis 55 Jahre; und die jüngste Generation, 18 bis 22 Jahre. Diese Interviews haben wir zu Porträts verarbeitet, die wir mit Originalfotos bereicherten. Neben den Porträts haben wir geschichtliche Belege zu den verschiedenen Generation erstellt, um so die Situationen der Frauen besser verstehen zu können.

Frauenstimmen erzählen Geschichte
Die Interviews erwiesen sich als optimal, um die historischen Ereignisse zu belegen. So konnten die Unterschiede der drei Generationen ideal verdeutlicht werden. Es wurde ersichtlich, dass die Damen der ältesten Generation in typische weibliche Ausbildungen gedrängt wurden und sich nur schwer in die von Männern dominierte Erwerbswelt einschleusen konnten. Da das typische Rollenbild noch stark in der Gesellschaft verankert war, hatten sie praktisch keine Wahl – die Familie und das Haus wurden zu ihrer obersten Priorität. Die Folgegeneration hatte hinsichtlich Ausbildung mehr Möglichkeiten. Trotzdem entschieden sich viele Frauen aufgrund ihrer Kinder, auf Teilzeitarbeit zu wechseln oder sogar gänzlich den Beruf aufzugeben. Unsere jüngste Generation – zu der auch wir selbst gehören – erwies sich am modernsten.

Heute ist Diskriminierung in der Schweiz nicht mehr so stark auf der rechtlichen Ebene vorhanden, nein, hier ist es vielmehr die Stellung in der Gesellschaft, die den Frauen zum Verhängnis wird.

Frauen werden aufgrund ihres Aussehens diskriminiert, ihnen wird die Schuld für sexuelle Belästigungen zugeschoben, all das, während sie weniger Bezahlung erhalten und ihre Arbeit abgewertet wird.

Vor allem wir als junge Frauen bekommen die Differenzen zwischen Männern und Frauen in der heutigen Gesellschaft deutlich zu spüren. Der Feminismus wird oft mit Männerhass gleichgestellt. Zwar stimmt das bis zu einem bestimmten Grad, jedoch steckt viel mehr dahinter. Wir sind Feministinnen, weil wir nicht mehr dumme Kommentare über die Länge unserer Röcke hören möchten. Weil wir nicht mehr am helllichten Tag angehupt werden möchten. Weil wir nicht mehr in der Diskothek begrapscht werden möchten. Weil wir nicht studieren möchten, um später nur Hausfrau für einen Mann zu spielen. Weil unsere Meinung den gleichen Wert wie die eines männlichen Kollegen haben soll. Weil wir den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit wollen. Wir sind Feministinnen, weil wir den gleichen Respekt und die gleichen Chancen verdient haben wie ein Mann.

Trotzdem müssen wir den Schweizer Frauen eines lassen: Sie haben ein verdammt starkes Durchhaltevermögen. Denn über die letzten Generationen haben sie sich einiges erkämpft. Es sind Meilensteine, die uns daran erinnern, dass Fortschritt möglich ist.

Der 100-jährige Kampf fürs Stimmrecht
Die Schweizer Hausfrau hatte vor 1971 weder innerhalb noch ausserhalb der eigenen vier Wände viel zu sagen. Obwohl in der Schweiz eine sogenannte Demokratie bestand, besassen die Frauen keine Rechte, um als Teil der Bevölkerung über ihr Land mitbestimmen zu können.

Seit 1868 kämpften die Schweizer Frauen um das Stimmrecht, leider wurde es erst knapp 100 Jahre später angenommen. Am 7. Februar 1971 war es endlich so weit: Mit 65,7 Prozent Zustimmung der Schweizer Bevölkerung wurde ein klares Ja für die Einführung des Frauenstimmrechts errungen. Doch bis zur Gleichberechtigung fehlte weiterhin einiges. Es brauchte mehr Frauen im Parlament, doch vorerst musste die Wahrnehmung dieser Frauen verbessert werden. Politikerinnen wurden meist von ihren männlichen Kollegen nicht ernst genommen, und ihre Meinungen wurden als ex­treme feministische Ideale abgestempelt. Ebenfalls herrschten viele Vorurteile über die Leistungsfähigkeit von «emotionalen» Frauen in der Politik, eine Haltung, die von Männern und Frauen vertreten wurde.

Erst etwa 25 Jahre später, nämlich 1996, kam es zur Einführung des Gleichstellungsgesetzes. Es dient seither der Bekämpfung von Diskriminierung gegenüber Frauen in der Erwerbswelt und kommt in vielen verschiedenen Bereichen, zum Beispiel bei der Anstellung, der Aus- und Weiterbildung sowie bei der Entlassung, zur Anwendung. Als Diskriminierung gelten differente Behandlung aufgrund des Geschlechts sowie sexuelle Belästigung.

Neues Eherecht: Gleichstellung zwischen Ehepartnern
Mit dem neuen Eherecht, das 1988 in Kraft trat, wurde die Gleichstellung zwischen Ehemann und Ehefrau geschaffen. Der Mann war nicht mehr das alleinige Oberhaupt der Familie. Nun mussten alle Entscheidungen, welche die Familie betrafen, von beiden Ehegatten besprochen werden. Meist handelte es sich dabei um finanzielle Angelegenheiten. In jeder Ehe konnte frei bestimmt werden, welcher Partner die Familie versorgt und welcher zu Hause bei den Kindern bleibt. Die rechtliche Gleichstellung in der Ehe war im Grunde mit dem neuen Eherecht realisiert worden, es gab jedoch eine Ausnahme – die Namensfrage. Erst ab 2013 konnte man den Namen der Frau als Familiennamen wählen.

Sexarbeit als einziger Berufsweg
«Ich habe meine Tätigkeit nie als Arbeit empfunden. Es war immer, ausnahmslos, eine bezahlte Vergewaltigung, ein bezahlter Missbrauch.»

95 Prozent der Prostituierten in der Schweiz sind Migrantinnen und werden in die Prostitution gedrängt, da andere Berufswege meist nicht zur Verfügung stehen. Oft werden Frauen sogar von der eigenen Familie oder vom Partner in die Branche versetzt. Es gibt weitere unzählige Faktoren, die entscheidend sind, um darzulegen, dass die Sexarbeit auf jeden Fall keine Emanzipation der Frau ist: 75 Prozent aller Prostituierten sind von Obdachlosigkeit betroffen. 71 Prozent werden in der Prostitution körperlich bedroht. 63 Prozent wurden bei der Arbeit vergewaltigt. 68 Prozent der befragten Personen erfüllen die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung.

Es wird ersichtlich, dass die Prostitution auch heute noch kein feministisches Thema ist. Prostituierte leiden deutlich darunter, dass man die Prostitution normalisiert und sogar emanzipiert. Die Objektifizierung und die Sexualisierung von Frauen dienen vor allem einem: dem Patriarchat. Es profitiert fast immer ein Mann als Oberhaupt der Prostituierten, wie zum Beispiel der Bordellbesitzer oder der Zuhälter. Ebenso kassieren Hotels oder Klubs viel mehr als die Frauen selbst. Durch die Glorifizierung der sogenannten Sexarbeit werden alle, ausser der Frau selbst, beschirmt, und gleichzeitig werden mehr und mehr Frauen mit dem Versprechen auf schnelles Geld in das Gewerbe gelockt.

Gleichstellung im Bildungswesen
Anfang des 20. Jahrhunderts begannen einzelne Mädchen, sich in die damals ausschliesslich von Knaben besuchten Einrichtungen – wie die Sekundarschule, Lehrerseminare, Gymnasien und Universitäten – einzuschleusen, dabei trafen sie auf starken Widerstand ihrer Mitmenschen. 1981 wurde der erste Schritt in Richtung Gleichberechtigung im Schulwesen gemacht, und zwar mit dem in die Verfassung aufgenommenen Artikel 4, Absatz 2: «Gleiche Rechte für Mann und Frau.» Das Gesetz schreibt die Gleichstellung zwischen Frau und Mann in der Familie, der Ausbildung und bei der Arbeit vor. Seit 1995 können sich Schülerinnen und Schüler für verschiedene Maturitätsrichtungen entscheiden. Das wurde durch das neue Maturitätsanerkennungsreglement ermöglicht.

Die sexuelle Befreiung
Mit der Einführung der Pille sowie dem Wertewandel der jüngeren Generationen wurde eine regelrechte sexuelle Befreiung hervorgerufen. Die Antibabypille war, als sie im Jahr 1960 eingeführt wurde, vorerst nur für verheiratete Frauen zur Geburtenkon­trolle vorgesehen. Bald sollte die Verhütungsmethose auch für Ledige zur Verfügung stehen. Diese liberale Einstellung wurde unterschiedlich aufgenommen, besonders auf dem Land gab es viele konservative Gruppen, welche die Pille gänzlich verbieten wollten. Als endlich die Pille von ledigen Frauen eingenommen werden konnte, änderte sich das Sexualverhalten der Jugendgeneration enorm. Die Pille erlaubte eine Art der Selbstbestimmung, die zuvor unmöglich gewesen wäre. Die Frauen konnten sexuell aktiv sein, ohne Angst vor einer ungeplanten Schwangerschaft haben zu müssen. Sie konnten ihr Studium absolvieren oder arbeiten, denn die Abhängigkeit von einem Mann wie in der Generation zuvor existierte kaum noch.

Catcalling und Slutshaming
In den Kommentarspalten sozialer Medien sind Frauen, insbesondere Influencerinnen, häufig mit Beleidigungen konfrontiert, die sich auf ihre Kleidung, ihren Körper und ihr Sexualleben beziehen. Nebst dem Catcalling (deutsch «Katzen-Rufen», das sexuell anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum für gewöhnlich von Männern gegenüber Frauen meint) ist auch das Slutshaming bekannt. Beim «Schlampen-Beschämen» werden Menschen, vor allem Frauen und Mädchen, angegriffen und beleidigt. Ihnen wird unterstellt, nicht dem von der Gesellschaft erwarteten Verhalten und äusseren Erscheinungsbild in Bezug auf Sexualität zu entsprechen.

Traditionelle Rollenbilder und Vorurteile gegenüber Frauen und ihrer Sexualität werden im Internet verstärkt. Frauen, die sich nicht an bestimmte Stereotypen halten, werden angegriffen und herabgesetzt. Diese Gewalt im Netz umfasst sexuelle Belästigung, Cybermobbing und Drohungen, die Frauen oft davon abhalten, sich frei und sicher im Internet auszudrücken. Der Einfluss dieser Onlinegewalt gegenüber Frauen und die Beteiligung an politischen Diskussionen dürfen nicht unterschätzt werden. Viele Frauen zensieren sich selbst und halten ihre Meinung zurück.

Noch immer Lohnungleichheit
Obwohl sich die Lohnunterschiede im Laufe der Zeit verringert haben, verdienen Frauen im Durchschnitt immer noch weniger als Männer. Im Jahr 2020 erhielten Frauen durchschnittlich 10,8 Prozent weniger Lohn. Das liegt zum Teil an der Berufswahl. Frauen arbeiten oft in schlechter bezahlten Branchen, die ihnen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie er­möglichen. Zudem wirkt sich die Mutterschaft negativ auf das Einkommen von Frauen aus, da viele Mütter nach der Geburt ihrer Kinder aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden oder sich für Teilzeitpensen entscheiden. Auch wenn einige dieser Faktoren den Lohnunterschied aufzeigen können, bleibt ein ungeklärter Unterschied von etwa 6,4 Prozent. Dieses Defizit kann durch keine Theorien oder Daten begründet werden – sondern durch die Idee, dass Frauen unter den Männern stehen.

Die hier zusammengefasste Maturaarbeit haben wir als 100-seitiges Magazin herausgegeben. Es ist auf Instagram und Facebook unter «Frauen in der Schweiz» zu finden.