Am 1. Januar 2013 wurden Unterbözberg, Oberbözberg, Gallenkirch und Linn zur Gemeinde Bözberg vereint. Linn, mit 129 Einwohnern die kleinste Gemeinde im Aargau, stimmte der Fusion zwar ebenfalls zu, aber etliche Linner taten sich nachträglich mit einigen Auswirkungen des Zusammenschlusses schwer. Zum Beispiel ärgerte sie die Abschaffung der Postadressen mit den Strassennamen und Hausnummern. Sie gründeten den Verein Pro Linn, um die Eigenheiten, die Geschichte und Geschichten des Dorfs mit dem berühmten Wahrzeichen, der jahrhundertealten Linde, weiter zu pflegen. Ihre Hartnäckigkeit wirkt manchmal widerborstig. Immerhin erreicht das Magazin «Fokus Linn» eine Leserschaft weit über das Dorf hinaus. Die siebente Ausgabe steht bevor.
Das Verschwinden von Linn
Seit der Fusion steht Linn nicht mehr im amtlichen Ortschaftenverzeichnis des Bundesamts für Landestopografie. Auf die Weiterverwendung des Namens als geografischer Begriff wurde verzichtet. Skeptische Stimmen in Linn vermuten dahinter eine böse Absicht und verweisen auf Umiken, dessen Name nach dem Zusammenschluss mit Brugg erhalten blieb. Die Strassentafel am Ortseingang trägt zwar die Bezeichnung «Linn Bözberg», doch neues Kartenmaterial – so die Befürchtung bei Pro Linn – könnte sich auf den Namen «Bözberg» beschränken, sodass die legendäre «Linner Linde» als «Bözberger Linde» bezeichnet und der Wasserfall im Sagimülitäli (der höchste im Aargau) nicht mehr «Linn», sondern «Bözberg» zugeschrieben würde. Bis heute ist das allerdings weder bei der Landestopografie noch bei Google Maps der Fall.
Item. Ein Verschwinden von der Landkarte wollte Pro Linn nicht riskieren. Der Verein reichte am 4. Mai 2021 beim Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI) ein von 675 Personen – davon 600 von weiter her – unterschriebenes Gesuch zur Wiederherstellung des Ortschaftsnamens ein. Für die Beurteilung traten der frisch gewählte Departemensvorsteher Regierungsrat Dieter Egli und der vor der Pensionierung stehende Generalsekretär Hans Peter Fricker «wegen gewisser Nähe und Vorbefangenheit» in den Ausstand. Das Geschäft wurde departementsintern dem damaligen Leiter der Abteilung Register und Personenstand und heutigen DVI-Generalsekretär Andreas Bamert zum Entscheid zugewiesen. Diesen Schritt focht der Gemeinderat Bözberg an. Damit hob ein juristischer Hürdenlauf über mehrere Instanzen, bis vor Bundesgericht, an.
Wer behandelt das Gesuch?
Der durch einen Anwalt vertretene Gemeinderat ersuchte am 28. Mai 2021 das Departement des Innern, die getroffene Zuweisung aufzuheben und das Gesuch für die Wiederherstellung des Namens «Linn» dem regierungsrätlichen Rechtsdienst zur Verfahrensinstruktion sowie der Gesamtregierung zum Entscheid zu übertragen. Dieses Begehren wies die stellvertretende DVI-Generalsekretärin Lotty Fehlmann Stark am 1. Oktober 2021 ab. Gegen ihre Verfügung erhob der Gemeinderat am 1. November 2021 Beschwerde beim Regierungsrat und beim Verwaltungsgericht mit der erneuten Forderung, das Gesuch von Pro Linn vom Regierungsrat statt vom Abteilungsleiter Register und Personenstand entscheiden zu lassen und der Einwohnergemeinde Bözberg eine angemessene Frist zur Stellungnahme einzuräumen.
Nach einem Meinungsaustausch mit dem Rechtsdienst des Regierungsrats am 21. November 2021 übernahm das Verwaltungsgericht das Beschwerdeverfahren. Nun ging das juristische Gefecht mit vielen Erwägungen und Einwendungen, Repliken und Dupliken erst recht los. Pro Linn verlangte Einsicht in die Beschwerdeschrift, die gewährt wurde. Der Gemeinderat äusserte formaljuristische Bedenken gegen das Wiedererwägungsverfahren. Er bezweifelte, dass dem Verein Pro Linn eine Parteistellung zukomme, dass die stellvertretende DVI-Generalsekretärin zur Behandlungszuweisung des Namensgesuchs befugt und der Abteilungsleiter Register und Personenstand für die Wiederherstellung des Ortschaftsnamens Linn zuständig sei.
Klärung des Verwaltungsgerichts
Das Verwaltungsgericht gelangte jedoch zu dem Schluss, Pro Linn nehme laut Verwaltungsrechtspflege-Gesetz eine Parteistellung ein und die Festlegung des Ortschaftsnamens liege grundsätzlich beim Departement des Innern. Denn bei der vom Verein Pro Linn gewünschten Ortsbezeichnung handle es sich um einen geografischen Begriff, und solche Namen würden von der für die amtliche Vermessung zuständigen Stelle erhoben, nachgeführt und verwaltet. Dafür sei im Aargau das DVI zuständig. Dessen stellvertretende Generalsekretärin sei befugt, in Vertretung des Generalsekretärs zu handeln.
Die andere Frage war, ob der Abteilungsleiter Register und Personenstand letztlich über das Gesuch entscheiden dürfe. Nein, sagte das Gericht und gab in diesem Punkt dem Gemeinderat recht. Denn der Entscheid über «Linn» wurde dem Abteilungsleiter als Einzelfall zugesprochen. Aber die Festlegung von Ortschaftsnamen gehörte nicht zu seinen Aufgabenbereichen, in denen er generell zur Unterzeichnung ermächtigt war. Das kantonale Organisationsgesetz erlaubt nur die Ermächtigung auf ganze Sachgebiete, jedoch keine Kompetenzzuweisungen in Einzelfällen.
Weiterzug des Urteils
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde des Gemeinderats entschied das Verwaltungsgericht am 20. Mai 2022, dass der Leiter Register und Personenstand nicht befugt sei, über die Wiedereinführung des Ortsnamens «Linn» zu entscheiden. Statt seiner habe die stellvertretende DVI-Generalsekretärin die Angelegenheit zu behandeln, nachdem der Departementsvorsteher und der Generalsekretär in den Ausstand getreten seien. Abgewiesen wurde der andere gemeinderätliche Antrag, das Gesuch von Pro Linn sei dem regierungsrätlichen Rechtsdienst zur Verfahrensinstruktion und dem Gesamtregierungsrat zur endgültigen Entscheidung zuzuweisen.
Mit diesem Urteil gab sich der Gemeinderat nicht zufrieden. Er gelangte am 30. Juni 2022 mit einer Beschwerde an das Bundesgericht und beharrte darauf, dass das Gesuch von Pro Linn dem Regierungsrat zur Entscheidung vorgelegt werde. Offensichtlich traute er einer unabhängigen Beurteilung wegen einer «gewissen personellen Enge» im Departement des Innern nicht. Der Gemeinderat machte auch geltend, beim Gemeindezusammenschluss sei die Beibehaltung des Ortschaftsnamens «Linn» mehrmals klar abgelehnt worden. Deshalb verletze der Vorstoss von Pro Linn die schutzwürdigen hoheitlichen Interessen, ja die Autonomie der Gemeinde. Zudem fördere das Gesuch zur Wiederherstellung des Namens das Wiederaufflammen von Konflikten und gefährde das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung.
Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht zog in Erwägung, dass Gemeinden und andere öffentliche Körperschaften zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt sind, wenn es um die Verletzung von Garantien geht, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewähren. Diese Legitimationsvoraussetzungen sah das Bundesgericht aber im «Fall Linn» nicht erfüllt. Die Gemeinde habe nicht konkret aufzuzeigen vermocht, inwiefern sie durch das Gesuch von Pro Linn in zentralen hoheitlichen Interessen betroffen sei. Es gehe nicht um die Änderung des Gemeindenamens Bözberg, sondern nur um die Wiedereinführung von «Linn» als geografischer Begriff. Darüber entscheide der Kanton, die Gemeinde sei aber gemäss dem kantonalen Geoinformationsgesetz anzuhören. Deshalb trat das Bundesgericht am 27. November nicht auf die Beschwerde ein. Das Urteil wurde erst am 16. Februar dieses Jahres bekannt.
Damit ist der Verfahrensablauf für die allfällige Wiederherstellung des Namens «Linn» geklärt – aber die tatsächliche Wiedereinführung des Namens noch nicht endgültig entschieden. Die stellvertretende DVI-Generalsekretärin Lotty Fehlmann Stark bestätigte auf Anfrage, dass der Gemeinderat Bözberg in diesen Tagen in einem Brief offiziell um seine Meinung zum Gesuch des Vereins Pro Linn angefragt werde. Nachher falle der definitive Namensentscheid.
Zufrieden bis erstaunt
Pro Linn zeigt sich über den Lauf der Dinge befriedigt und meint, die Gemeinde hätte sich die Kosten für den juristischen Hürdenlauf sparen können. Die genauen Aufwendungen für die anwaltschaftliche Vertretung mag Frau Gemeindeammann Therese Brändli noch nicht öffentlich beziffern. Ohne juristischen Support wäre das komplizierte Verwaltungsverfahren indes nicht zu bewältigen gewesen, sagt die Juristin. Dass das Bundesgericht der Gemeinde zwar die Beschwerdelegitimation absprach, ihr aber trotz des Unterliegens keine Gerichtskosten auferlegt habe, weil sie «in ihrem amtlichen Wirkungskreis handelte», lässt Therese Brändli darauf schliessen, dass die Gemeinde nicht völlig falsch gelegen habe. Es erstaune im Übrigen, dass das Bundesgericht für den Nichteintretensentscheid ganze anderthalb Jahre gebraucht habe, merkt Frau Gemeindeammann mit einem Schmunzeln an.