Wandern wird Olympisch 

Im Sommer 2024 wird Wandern vom Organisationskomitee der Olympischen Sommerspiele offiziell als neue Disziplin vorgestellt.
Wandern ist so beliebt, dass es vielleicht bald in den Wettkampfkatalog der Olympischen Spiele aufgenommen wird. (Bild: zVg)

Im Sommer 2024 wird Wandern vom Organisationskomitee der Olympischen Sommerspiele offiziell als neue Disziplin vorgestellt. Die beliebte Sportart wird an einem Demonstrationswettbewerb für die langfristige Aufnahme in den Wettkampfkatalog getestet. Mitverantwortlich, dass es überhaupt so weit kommen wird, sind die über vier Millionen Wanderinnen und Wanderer, die jedes Jahr auf den Schweizer Wanderwegen unterwegs sind.

In der Schweiz wandern bereits knapp 60 Prozent der Bevölkerung. Aber auch über die Landesgrenzen hinaus erfreut sich das Wandern grosser Beliebtheit und wird weltweit auf hohem Niveau betrieben – eine wichtige Voraussetzung, damit eine Sportart ins Programm der Olympischen Spiele aufgenommen wird. Die Gründe, warum die Wanderschuhe geschnürt werden, unterscheiden sich jedoch von Land zu Land, erklärt Michael Roschi, Geschäftsleiter des Verbands Schweizer Wanderwege: «Während bei uns die Hauptmotive die Förderung der eigenen Gesundheit und der Genuss der Natur sind, wandert man zum Beispiel in Frankreich vorrangig, um sportliche Leistungen zu erbringen oder um sich mit anderen zu messen.» Die französische Hauptstadt eignet sich also bestens, um Wandern als neue Wettkampfdisziplin der Olympischen Spiele zu lancieren. Was das Wandern länderübergreifend ausmacht, sind der hohe Stellenwert in der Bevölkerung sowie die Aspekte des Miteinanders und der Inklusivität. «Wandern gilt als Lifetime-Sportart, die von Jung und Alt gleichermassen betrieben werden kann – ungeachtet des Alters, aber auch der Herkunft oder des Leistungsniveaus. Eine würdige Repräsentation des olympischen Geists», findet Michael Roschi.

Ein langer Weg zum Ziel
Dass Wandern den olympischen Idealen wie gegenseitigem Respekt, Chancengleichheit oder Völker-verständigung entspricht, sieht auch Swiss-Olympic-Direktor Roger Schnegg so: «Auf Impuls der Schweizer Wanderwege hin haben wir bereits das OK der Sommerspiele 2021 versucht davon zu überzeugen, Wandern als neue Disziplin anzuerkennen und in Tokio vorzustellen.» Der Verband Swiss Olympic wird die Sportart international vertreten und dient dem Internationalen Olympischen Komitee (IOK) als offizieller Ansprechpartner. Doch die Schweizer Initianten mussten sich vorerst gedulden. Roger Schnegg begründet: «Der Aufnahmeprozess ist langwierig, damals hat es zeitlich nicht gereicht. Durch die Coronapandemie gab es seinerzeit zudem andere Prioritäten.» Erst vor Kurzem erhielt Swiss Olympic die Bestätigung des IOK, dass die beliebte Breitensportart im Sommer 2024 in Paris offiziell als neue Disziplin vorgeschlagen wird. Eine derart kurzfristige Zusage ist selten. Das Potenzial für die Förderung eines nachhaltigen Tourismus und die Unterstützung der lokalen Wirtschaft dürfte Frankreich jedoch entgegenkommen. Roger Schnegg vermutet ausserdem einen Grund in der Popularität und im bedeutungsvollen Image des Wanderns: «Wandern verbindet Menschen und setzt so ein hoffnungsvolles Zeichen. Dass der Aktivität die Gratwanderung zwischen kompetitivem Wettkampf und geselligem Miteinander gelingt, macht sie bei der breiten Masse umso attraktiver.»

Wandernde messen sich in drei Kategorien
Bevor eine neue Disziplin langfristig in den Wettkampfkatalog aufgenommen wird, wird ihre Durch-führbarkeit in einem Demonstrationswettbewerb getestet. Die leistungsorientierten Wanderinnen und Wanderer sollen ihre Fähigkeiten künftig in drei Kategorien messen können: Auf der Kurzstrecke wandern die Athletinnen und Athleten auf 20 Kilometern auf mehrheitlich flachem Untergrund. In der Mittelstrecke-Kategorie erwarten sie 50 Kilometer Wanderwege in anspruchsvollem Gelände und Höhenunterschiede von bis zu 1000 Metern. Wer sich der Langstrecke stellt, muss sich auf einer 100 Kilometer langen Route beweisen, die mit technisch anspruchsvollen Wegen, Steigungen von über 1000 Höhenmetern und unterschiedlichen Geländearten fordert. Die Bewertung erfolgt auf Basis der schnellsten Wanderzeit. Für jede Kategorie gilt ein vordefiniertes Zeitlimit. Während eine GPS-Navigation, ein Erste-Hilfe-Set und eine Wasserversorgung von mindestens einem Liter zwingend vorgeschrieben sind, sind Wanderstöcke als Hilfsmittel nur in der Mittel- und Langstrecke gestattet. Disqualifiziert wird, wer rennt und den Boden nicht ständig mit mindestens einem Fuss berührt, sich nicht an die vorgeschriebene Ausrüstung hält oder auf einer vom festgelegten Wanderweg abweichenden Route wandert. Kontrollposten und medizinische Checkpoints entlang der Strecke gewährleisten die Einhaltung der Regeln und die Sicherheit der Teilnehmenden. Zum Turnier zugelassen sind männliche, weibliche und diverse Wettläuferinnen und Wettläufer sowie gemischte Teams.

Wandernation Schweiz in der Favoritenrolle
Bis das Olympische Feuer in Paris angezündet wird, dauert es nur noch wenige Monate. Die kurzfristige Organisation des Wanderwettbewerbs läuft bereits auf Hochtouren. Der Naturschutz soll darunter allerdings nicht leiden. Michael Roschi erläutert: «Die Athletinnen und Athleten wandern ausschliesslich auf bereits bestehenden Wanderwegen, es werden keine neuen Pfade gelegt. Die Wettkampfrouten führen zudem nicht durch Natur- oder Wildschutzgebiete. Eine Equipe Freiwilliger sorgt dafür, dass die gesamte Strecke nach der Veranstaltung von allfälligen Verschmutzungen befreit wird.» Auch die Sportlerinnen und Sportler befinden sich bereits im intensiven Training. Als Wandernation hat die Schweiz gute Chancen auf einen Podestplatz. «Wir können aus einem Pool von über vier Millionen Wanderinnen und Wanderer schöpfen. Auch dank der tief verankerten Wandertradition haben sich über die Jahre viele Topkandidatinnen und -kandidaten entwickelt», freut sich Michael Roschi. Zu den Favoriten gehört der Jurassier Pascal Bourquin. Der Extremwanderer hat sich mit seinem Projekt «La vie en jaune» zum Ziel gesetzt, alle rund 66 000 Kilometer Wanderwege in der Schweiz innert 28 Jahren abzuwandern. Die 40 Prozent, die er davon bereits unter die Füsse gebracht hat, haben ihn bestens auf seine neuste Herausforderung vorbereitet: «Ich freue mich, dass ich meine langjährige Erfahrung endlich auch unter Wettkampfbedingungen testen kann und im Juli nach Paris reisen werde. Wer weiss, vielleicht wandere ich auch dahin», lacht der sympathische Romand.