Echter Badener mit Belgrader Wurzeln

Luka Popadić gewann mit seiner humorvollen Doku über Secondos im Militär an den Solothurner Filmtagen den Publikumspreis.
Luka Popadić wohnte früher in Baden über dem «Fiori» an der Weiten Gasse 17. (Bild: rhö)

Luka Popadić, Sie sind Secondo und Hauptmann der Schweizer Armee. War für Sie immer klar, dass Sie Militärdienst leisten würden?
Nicht unbedingt. Es gab Phasen, in denen ich mich davor drücken wollte. Der Tod meiner Eltern – insbesondere als meine Mutter drei Wochen nach Beginn der Rekrutenschule an ihrer Krebserkrankung starb – gab den Ausschlag. Da mir der Militärdienst in dieser schwierigen Zeit einen gewissen Halt gab, hat mich das motiviert, weiterzumachen und später Offizier zu werden.

Worin bestand dieser Halt?
Es waren weniger die üblichen deklarierten Werte wie Pflichtbewusstsein oder Vaterlandsliebe als das Gefühl, dass alle in der Truppe irgendwie gleich sind und sich unterstützen. Sie hat also etwas Familiäres, und dazu gehört, dass man manchmal Streit hat und sich die Angehörigen nicht aussuchen kann.

Der Regisseur und Protagonist von «Echte Schweizer» Luka Popadić (Bild) kommt ins Kino Sterk. In einem persönlichen Dokumentarfilm gibt der Badener Regisseur einen Einblick in die Schweizer Armee. (Bild: Szene aus «Echte Schweizer» | zvg)

Fühlten Sie sich im Militär diskriminiert, weil Sie ein Secondo sind?
Nein, vor allem in den niedrigeren Rängen vom Soldaten bis zum Leutnant ist es egal, wie man heisst und aussieht – entweder man leistet oder man leistet nicht. Je höher die Position ist, desto weniger Secondos findet man. Nicht nur im Militär, auch in der Zivilgesellschaft. Ich kann mir so schnell noch keinen dunkelhäutigen Bundesrat wie in England den Premierminister Rishi Sunak vorstellen. Man mag einfach das Fremde nicht, und das fängt schon beim Turnverein im Nachbardorf an. (Lacht.)

Gab es Erlebnisse, die Sie in dieser Hinsicht geprägt haben?
In der Offiziersschule gab es Momente, in denen ich dachte, ich könne nicht mehr weitermachen. Aber schliesslich gelang es mir immer, allerletzte Reserven zu aktivieren, weil ich die Kameraden nicht hängen lassen wollte, und gleichzeitig halfen sie mir. Major Schaller, mein welscher Klassenlehrer, sagte mit seinem wunderbaren Akzent stets: «Wir werfen Sie ins Meer, und dann manchmal schwimmen Sie, manchmal gehen Sie unter. Wenn Sie zu stark gehen unter, dann wir heben Sie wieder auf, und so Sie lernen schwimmen.» Trotzdem begegnete ich auf meiner Suche nach Fördergeldern selbst bei staatlichen Kulturinstitutionen immer wieder Vorurteilen. Es hiess, sie würden keine Filme unterstützen, die eine positive Haltung zum Militär wiedergäben.

Sie sind in der Region aufgewachsen. Erzählen Sie davon.
Ich wuchs zuerst in Baden im Kohlenhof, gegenüber dem Müllerbräu-Biergarten, und dann in Nussbaumen auf. Mein Vater hatte in den Siebzigerjahren eine Stelle als Ingenieur bei der BBC gefunden. Dann kam meine Mutter nach. Sie stammte ebenfalls aus Belgrad. Nach ihrem Tod zog ich nach Baden in eine kleine Altstadtwohnung in der Weiten Gasse. Ich hatte die Hip-Hop-Band 50:50 und organisierte viele Partys, zum Beispiel in der Halle 36.

Wie sind Sie Filmemacher ­geworden?
Nachdem ich Politikwissenschaften studiert hatte, interessierte ich mich für Kunst, begann bei einem Fernsehsender als Grafiker zu arbeiten und machte ein Praktikum bei meinem Onkel in Chicago, der Filmregisseur ist. Danach studierte ich fünf Jahre an der Filmhochschule in Belgrad und schloss sie 2014 mit dem Master ab.

Hat dieser lange Auslandsaufenthalt Ihr Bild von der Schweiz verändert?
Ich habe erst dort richtig realisiert, wie viel mir dieses Land und seine Gesellschaft bedeutet. Sehr viel. Viel mehr, als ich dachte. Nicht nur weil alles gut organisiert ist und funktioniert, auch emotional.

Weshalb haben Sie sich für einen dokumentarischen ersten Langfilm entschieden?
Die Produktion ist weniger aufwendig, dafür ist er kreativ anspruchsvoller als ein Spielfilm, da die Möglichkeiten der Gestaltung beinahe unendlich sind. Mit oder ohne Erzähler, mit Interviews oder ohne, mit Archivmaterial oder ohne … Aber die grösste Herausforderung sind die – im Gegensatz zu Schauspielerinnen und Schauspielern – vertraglich nicht gebundenen Protagonisten, die vielleicht plötzlich keine Lust mehr haben oder wegen eines interessanten beruflichen Angebots ins Ausland ziehen. In Serbien sagt man deswegen: Im Spielfilm ist der Regisseur Gott, und im Dokumentarfilm ist Gott der Regisseur. (Lacht.)

Wie lang haben Sie für «Echte Schweizer» gedreht?
Während acht Jahren, wobei es immer wieder zu Verzögerungen kam, aus privaten Gründen, aus oben erwähnten Gründen und natürlich wegen Corona. Zum Schluss hatte ich über 100 Stunden Material.

Gab es Schwierigkeiten, vom VBS die nötigen Genehmigungen zu erhalten?
Nachdem ich mein Projekt schriftlich vorstellt hatte, erhielt ich drei Monate später eine Einladung zum Gespräch mit drei freundlichen Berner Beamten. Nach einem weiteren Vierteljahr bekam ich Bescheid, der Departementschef wäre einverstanden und ich könne starten. Wie starten? «Sie können jetzt einfach machen, und wenn Sie etwas brauchen, melden Sie sich.» Finanzielle Unterstützung bekam ich vom Militär nicht angeboten, aber ich hätte sie auch nicht angenommen, um Vorwürfen vorzubeugen, ich würde Propaganda betreiben.

Es gab keine Einschränkungen?
Nein, es hiess nur: «Sie sind Offizier. Sie geben uns Ihr Wort, dass Sie niemanden in die Pfanne hauen und keine Geheimnisse verraten. Dann gewähren wir Ihnen freien Zugang und unterstützen Sie.» Nachdem die Kommunikationsabteilung den Film gesehen hatte, kam der Chef der Armee, Thomas Süssli, an die Premiere an den Solothurner Filmtagen, was bereits eine riesige Ehre war, und schrieb danach noch einen langen Linkedin-Post, in dem er sich zu dem Bild bekannte, das «Echte Schweizer» vom Militär zeichnet.

Haben Sie beim Drehen von Ihrer Führungserfahrung profitiert?
Ja, enorm. Ich bin in der Kommunikation viel eloquenter geworden und schaffe es, meine Gedanken auf den Punkt zu bringen. Die Frage erinnert mich an meine Aufnahmeprüfung in Belgrad. Es war heiss, und ein halbes Dutzend älterer Regisseure sass schlecht gelaunt in einem stickigen Raum. Als sie meinen Lebenslauf anschauten, hellte sich ihre Miene jedoch auf. «Du hast Führungsqualitäten, das ist grossartig. Als Regisseur kannst du die gut gebrauchen.»

Hat der Publikumspreis in Solothurn für Sie etwas verändert?
Das war natürlich toll und entsprach einem Aufstieg in die Fussball-Super-League. Statt in drei oder fünf Kinos läuft «Echte Schweizer» nun in über 30 an. Der Umstand, dass es sich um eine humorvolle Dokumentation handelt, die nicht einseitig ist und zum Nachdenken anregt, stimmt mich zuversichtlich, dass sie nicht so rasch aus den Programmen verschwindet.

Sie sind im Fanclub des FC Baden. Haben Sie in dieser Saison Spiele des Clubs gesehen?
Leider war ich zu viel unterwegs, um die Treffen oder einen Match des FC Baden besuchen zu können. Nun muss mich beeilen, will ich ihn noch in der Challenge League sehen …

Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter?
Ich arbeite noch bis Ende April als Fernsehregisseur bei CH Media, dann werde ich Auftragsfilme drehen. Das mittelfristige Ziel, von der Filmkunst leben zu können, hoffe ich, in den nächsten fünf Jahren zu erreichen – als Regisseur und oder Dozent.