Wenn der Winter sich wappnen muss

Am kommenden Sonntag, 7. April, ist es nach zwei Jahren endlich wieder so weit: Der Eieraufleset oder der Eierleset wird wieder zelebriert.
Dieses Jahr findet der Eierleset nach zwei Jahren wieder in Effingen statt. (Bild: Archiv)

Das ist Anlass genug, nach Sinn und Bedeutung dieses sehr alten Volksbrauchs zu fragen und sie vertieft zu erläutern. Frühlingsrituale haben tausendjährige Traditionen. Dass man den Kampf zwischen dem Dunkel des Winters als das Böse und dem Licht des Frühlings als das Gute sah und das heute noch so sieht, ist verbürgt. Ein kurzer Blick zurück genügt: Frühlingsfeste und Fruchtbarkeitsrituale kannte schon das Altertum. Zu nennen sind das Ostarafest der Germanen, die Saturnalien, die Hilariafeiern und die Lupercalien der Römer oder das keltische Beltane-Fest am 1. Mai. Die Griechen feierten alljährlich dankbar ihre Mysterien zu Eleusis zu Ehren der einflussreichen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, die für das Wachstum in der Natur zuständig ist.

Symbolik und Geschichte
Eleusische Dankfeste finden wir in Effingen zwar keine, dafür aber einen alten Volksbrauch, der ähnliche Elemente enthält. Denn über Gehalt und Symbolik des Eieraufleset oder des Eierleset lässt sich bestätigen, was einst der ehemalige Direktor des Schweizerischen Bauernverbands, Ernst Laur (1871–1964), gesagt hat: «Der Eieraufleset ist ein altes Frühlingszeremoniell im Rahmen eines Effinger Dorffestes.» Andere Quellen weisen auf seinen Sohn hin, nämlich den Brugger Archäologen Rudolf Laur-Belart (1898–1972). Er bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: «Der alte Frühlingsbrauch versinnbildlicht das Erwachen der Natur, den Sieg des lebensfreudigen Frühlings über den todesähnlichen Winterschlaf. Das Ei, das Symbol der Fruchtbarkeit, steht deshalb im Mittelpunkt des Volksbrauchs.» Dem ist wenig beizufügen, es sei denn die Frage, ob dieses wiederkehrende Ereignis einzig in Effingen gefeiert wird. Tut es nicht.

Die Ethnologen sprechen von einem Fruchtbarkeitsritual aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. Eine Chronik berichtet, dass 1556 zwei Stadtoriginale auf dem Petersplatz in Basel einen Eierleset ausgetragen haben sollen. Somit ist er hier seit dem 16. Jahrhundert bezeugt.

Andere wiederum verweisen generell auf die Fastenzeit, wo Eier als Fastenspeise verboten, aber dann nach Ostern im Überfluss vorhanden waren und rasch verzehrt werden mussten. Zur Verbreitung noch das: Er wird heute noch in Tirol und Süddeutschland gelebt. Man kennt diese Tradition auch in Schleswig-Holstein, in Wallonien und Südfrankreich.

Bei uns wird der Eierleset vor allem in den Kantonen Aargau (zum Beispiel in Auenstein, wo der Eierleset nächstes Jahr wieder durchgeführt wird, oder in Thalheim), Solothurn und Basel-Landschaft meist von den Turnvereinen mit viel Aufwand und bedeutendem Engagement vorbereitet und durchgeführt.

Der Eierleset in Effingen zählt schweizweit zu den ursprünglichsten seiner Art. Die Masken, darunter der Hobelspänler, werden nach alter Tradition gefertigt. (Bild: Archiv | CL)

Effinger Eieraufleset wiederbelebt
Ein frühes Zeugnis über den Effinger Eierleset gibt uns ein reich bebilderter Artikel im «Heimatleben», der Zeitschrift der Schweizerischen Trachtenvereinigung, wo 1937 Ernst Laur das Dorffest von 1936 ausführlich beschreibt. Leider erzwang dann der Zweite Weltkrieg eine langjährige Pause. Allerdings wurde das Eierlesen trotzdem beibehalten. Da Eier aber rationiert waren, behalf man sich mit Kartoffeln oder Eierbriketts. Die Aufgabe für den «Leser» oder den «Läufer» war deshalb einfacher, da dieser Eierersatz nicht zerbrechen konnte.

Den Brauch hat dann 1952 ein «Eierkomitee» wiederbelebt, das vom fünfköpfigen Vorstand des Turnvereins gestellt wurde. Dieses berief sich auf die traditionell verstandene Variante dieses Anlasses. Andernorts durchgeführte, rein sportliche Rennversionen kam für das Komitee nicht infrage. Man verteilte die vielfältigen und notwendigen Rollen, nähte die Kostüme, verfasste Handzettel, sammelte Geld und eine grosse Menge Eier, während die Kinder einige Hundert leere Schneckenhäuschen besorgten. Die Schreiner spendeten Hobelspäne und lieferten das Holz für die Kanzel, von der aus die «Eierpredigt» gehalten werden sollte. Kleine dekorative Tannen und Tannenreiser durften nicht fehlen, und an den Dorfeingängen wurden hohe, schlanke Tannen aufgestellt, zwischen denen hölzerne Willkommenstafeln hingen. Kurz, die Tradition war gerettet. Nur 2020 und 2021 konnte das Fest als Folge der Pandemie nicht durchgeführt werden.

Ab 2022 wird aber dem Publikum alle zwei Jahre ein reichhaltiges Programm im Rahmen eines Volksfests geboten. Ob eine Schlagerparty dazugehören muss, sei dahingestellt.

Der Eierleset, Abschied vom Winter
Der Ritualsieger steht an diesem hohen Feiertag von vornherein fest. Es ist der erwachende Frühling. Dargestellt wird der ewige Lauf der Natur und im Besonderen der generelle Dualismus des Lebens, der sich im Zweikampf zwischen Winter und Frühling manifestiert, wo schliesslich der früher wesentlich strengere Winter zu unserer Freude unterliegt und wo symbolische Gestalten das Ringen dieser Kräfte demonstrieren und zugleich parodieren. Das geschieht durchaus laut und gewalttätig zum Gaudium des Publikums, das mutmasslich eher das Spektakel als die tiefere Bedeutung der Überlieferung wahrnimmt.