«Oft werden Rehkitze gerissen»

Dominik Stahel aus Würenlingen ist Jäger mit Passion. Auf der Gisliflue spricht er über seine Aufgaben und weshalb es die Leinenpflicht braucht.
Unterwegs mit seinem Hund Vadász klärt der junge Jäger Dominik Stahel in seinen Revieren Schinznach und Veltheim unter anderem über die Leinenpflicht auf.

Von den Bäumen sind Liebeslieder zu hören. Der Bärlauch und erste Blüten verströmen einen wunderbaren Duft, während die Sonne mit ihren Strahlen für ein zauberhaftes Lichtspiel sorgt: Im Frühling lockt der Wald mit einem besonderen Charme in seine Arme. An diesem Mittwoch kurz vor Mittag ist beim Naturfreundehaus Gisliflue jedoch kaum ein Mensch anzutreffen – ein Segen für Wildtiere, die während der Brut- und Setzzeit mit ihrem Nachwuchs beschäftigt sind.

Auf dem Weg ist Dominik Stahel mit seinem Freund Vadász. Anders als der ungarische Jagdhund verkörpert sein junges Herrchen nicht das typische Bild eines Waidmanns. Der sportlich-elegant gekleidete 34-Jährige aus Würenlingen ist Vater zweier kleiner Kinder und arbeitet als Leiter Finanzen in der Privatwirtschaft. Im Schenkenbergtal aufgewachsen, streifte er schon als Bub und später als Jugendlicher mit seinem Vater durch die Wälder. Mit 21 Jahren trat er in dessen Fussstapfen, als er die Jagdprüfung absolvierte. Für Stahel ist die Jagd «eine Passion. Zudem ist es ein Privileg, Vermittler und Hüter von Flora und Fauna zu sein», sagt er auf dem Spaziergang durch seine zweite Kinderstube, in der er jedes Tier und jede wild lebende Pflanze kennt.

Knapp 20 000 Tiere angefahren
Als Bezirksvertreter Brugg des Aargauischen Jagdverbands (AJV) und Pächter der beiden Reviere Veltheim und Schinznach kämpft Stahel nicht nur gegen das verstaubte Image, sondern auch gegen gewisse Vorurteile seiner Zunft. «Ich bin nicht Jäger geworden, um hobbymässig auf Tiere zu schiessen. Tatsache ist, dass Jäger Biofleisch aus dem Wald liefern, wir sind aber auch Wildtier- und Naturschützer.» Ein Paradoxon? «Nein, als Jäger ist es meine Aufgabe, die Population von Wildtieren zu regulieren und damit für einen gesunden Lebensraum zu sorgen», sagt Stahel. «Wir haben das ganze Jahr hindurch noch andere wichtige Aufgaben zu erledigen.»

Dazu gehören neben der Aufklärungsarbeit etwa die Nachsuche von Tieren, die angefahren wurden und leider meist – vom Autofahrer mit und ohne die Polizei oder die Jagdaufsicht zu alarmieren – entweder tot oder ums Leben kämpfend am Strassenrand liegen lassen werden. 19 709 Tiere, darunter 8303 Rehe und 6752 Füchse, starben 2021 gemäss Statistik «Fallwild nach Art und Todesursache» des BFS (Bundesamt für Statistik) auf diese Weise in der Schweiz.

Eine weitere bedenkliche Zahl ist die Anzahl an Tieren, die von Hunden gerissen werden. Wie die BFS-Statistik zeigt, traf es in den letzten 20 Jahren schweizweit zwischen 500 und 600 Tiere. «Dabei sind leider oft Rehkitze und Rehe betroffen, die wir teilweise jammernd vor Schmerz aufgrund ihrer schweren Verletzungen von ihren Leiden erlösen müssen», skizziert Stahel das traurige Bild.

Leinenpflicht ist ein Gesetz
Diese Zahl könnte verringert werden, würden sich alle Hundehalter an die Leinenpflicht halten. Der Aargau regelt diese in der Jagdverordnung unter Artikel 21. Absatz 1 hält fest, dass Hunde ab dem 1. April bis zum 31. Juli im Wald und am Waldrand an der Leine zu führen sind.

Im Kanton Aargau leben 30 000 Hunde. «Der grösste Teil der Halterinnen und Halter beachtet laut einer Umfrage diese gesetzlichen Bestimmungen», sagt Stahel erfreut. Doch es gebe nach wie vor einige Hundehalterinnen und -halter, die davon überzeugt seien, dass ihr Liebling keiner Fliege etwas zuleide tue, und ihn deshalb laufen liessen. Das kann gefährlich werden und stört nicht nur Rehwild, Füchse, Dachse oder Hasen. «Vielen ist nicht bewusst, dass zum Beispiel Vögel wie Braunkehlchen, Feldlerche und Drossel teilweise oder ausschliesslich auf dem Boden brüten.» Die Bestände dieser Vögel ist abnehmend. Auch bei den Wasservögeln hat die Leinenpflicht von April bis Ende Juni ihre Wichtigkeit.

Weil die Risse und die starke Beunruhigung von Wildtieren durch frei laufende Hunde zunehmen, hat sich der AJV mit dem Kantonalverband der Aargauer Kynologen (KVAK) zusammengetan. Gemeinsam machen sie mit der Kampagne «A de Leine isch er en Feine» auf den Schutz der wild lebenden Säugetiere, Vögel, Amphibien und Insekten (Bestäuben von Pflanzen) aufmerksam. Die Schilder sollen Hundehalter hinsichtlich ihrer Pflicht sensibilisieren. «Leider landen die Schilder oft im Dickicht», so Stahel.

Aufklären statt schimpfen
Im Rahmen der Jagdaufsicht kontrolliert die zuständige Jagdgesellschaft das Einhalten der Leinenpflicht. Die Jagdaufsicht kann und wird zum Teil von der Repol in der Zusammenarbeit unterstützt. Stahel, der als Jäger immer wieder Begegnungen mit Haltern macht, die ihren Hund nicht an der Leine führen, sagt: «Wir haben ein Gesetz, das die Leinenpflicht regelt. Ich gehe nicht mit dem Mahnfinger auf die Leute zu, sondern suche das Gespräch, um auf die Lebensräume der Wildtiere aufmerksam zu machen und um Verständnis zu vermitteln.» Die Natur erwache aus dem Winterschlaf und locke neben Spaziergängern auch Velofahrer oder Reiter auf die Wiesen- und Waldwege. «Unter anderem ist das Reh in seiner Natur ein Steppentier und setzt deshalb seinen Nachwuchs grundsätzlich ausserhalb des Waldes, zum Beispiel in eine Naturwiese oder in Wiesen mit viel Klee.» Solches und anderes Wissen wolle er seinem Gegenüber vermitteln. «In den meisten Fällen wirkt das, und die meisten haben Verständnis.» Aggressivität oder Drohungen habe er selbst noch nie erlebt. Weitere Infos gibt es unter ajv.ch.