Aus die Maus

Die Landwirtschaftskommission der Gemeinde hat die Mauserei freigegeben. Natur- und Tierschutzorganisationen üben Kritik am Brauch aus.
Kein anderes Säugetier findet sich so zahlreich auf unseren landwirtschaftlich genutzten Flächen: Die Feldmaus (Microtus arvalis) gehört zur Unterfamilie der Wühlmäuse. (Bild: zVg | Pro Natura)

Unter dem Titel «Mäusefang 2024» liess die Gemeinde Obersiggenthal Anfang April verlauten, dass die Mauserei freigegeben sei. Eine Mäuseplage bestehe nicht, äussert die Gemeinde auf Anfrage. Die Mauserei werde jedes Jahr durchgeführt. Zur Hauptsache beteiligen sich nebst einigen Privaten die Landwirte, denn sie sind primär von den Schadnagern betroffen: die Mäuse können durchaus grossen Schaden anrichten, sei es beim Fressen von Wurzeln der Obstbäume, beim Errichten von Erdhaufen auf den Wiesen und Feldern, welche dann die Messer der Mähmaschinen beschädigen oder das Futter verunreinigen können. Dass sie bekämpft werden müssen, ist somit grundsätzlich nicht umstritten. Die Art und Weise der Bekämpfung hingegen schon.

Konflikte mit dem Gesetz vorprogrammiert
Viele Leser und Leserinnen mögen sich an ihre eigene Kindheit erinnern, als sie selbst Mausfallen aufstellten, um dann mit den abgelieferten Mäusen bzw. ihren Schwänzen die «Schwanzprämie» einzukassieren und ihr Sackgeld aufzubessern. Das Problem dabei: Private bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone. Selbst wenn die Gemeinde über eine gesetzliche Grundlage zur Mauserei verfügt, verstossen Private dabei oft unbewusst und ungewollt gegen Tier- und Naturschutzgesetze.

Es gibt Regeln, wie man und wer Tiere töten darf; und es gibt geschützte Tierarten, so beispielsweise alle Spitzmäuse, alle Schläferarten und die Zwergmaus. «Viele Laien können die Mausarten nicht unterscheiden», sagt Arlette Niederer, Zoologin und zuständig für die Fachstelle «Heimtiere» des Schweizerischen Tierschutzes STS. Die Gefahr ist gross, dass sie sich strafbar machen, indem sie eine geschützte Mausart erwischen – oder eine andere Tierart wie beispielsweise die (ebenfalls geschützten) Schläfer. Zudem dürfen Tiere gemäss Tierschutzgesetzgebung nicht qualvoll getötet werden. «Das ist bei vielen Fallen fragwürdig», gibt Arlette Niederer zu bedenken. «Schlagfallen können Mäusen die Gliedmassen einquetschen oder ihr Rückgrat brechen, ohne zu töten – und ein Laie, eventuell gar ein Kind, wird dann mit einer verletzten Maus konfrontiert, welche unverzüglich fachmännisch getötet werden müsste.»

 Das Fachwissen hierzu fehlt meist vollständig. Daher sieht die Tierschutzverordnung denn auch vor, dass Wirbeltiere, und dazu gehören Mäuse, grundsätzlich nur von fachkundigen Personen getötet werden dürfen. Zudem ist es oft so, dass Fallen während Stunden nicht kontrolliert würden, was zu einem langen Leiden verbunden mit grösster Angst für das betroffene Tier führt – was von der Tierschutzgesetzgebung ebenso verboten ist.

Matthias Betsche, Chef Pro Natura Aargau, rät natürliche Fressfeinde zu fördern. Dazu gehören Wiesel. (Bild: zVg | Pro Natura)

Alternative Massnahmen wären nachhaltiger und schonender
Die Mauserei durch Private, insbesondere in Vertretung und für die Gemeinde, steht somit rechtlich auf wackligen Beinen. Viel nachhaltigere Massnahmen werden dabei oft gar nicht erst in Betracht gezogen. «Die Menschen haben durch das Anlegen von weiten Wiesenflächen beste Bedingungen für Wühlmauspopulationen geschaffen, da die Lebensgrundlagen für natürliche Feinde entfallen», erklärt Arlette Niederer. Sinnvollerweise setzt man in einem ersten Schritt bei der Gestaltung der Lebensräume an, welche attraktiv für die natürlichen Feinde sind. Das bestätigt auch Matthias Betsche, Grossrat und Geschäftsführer von Pro Natura Aargau. «Um die Mauspopulation niedrig zu halten, lohnt es sich, die natürlichen Fressfeinde der Mäuse zu fördern. Das sind insbesondere Greifvögel, Eule, Wiesel und Fuchs». Wiesel beispielsweise haben sich für ihre Ernährung auf die Mäusejagd spezialisiert. Eine Hermelinmutter hat jährlich etwa 6 Junge, und jedes Familienmitglied verzehrt 1–2 Mäuse täglich, das entspricht einem Bedarf von 50–100 Mäusen pro Woche und Wieselfamilie. Und: «Wenn viele Mäuse vorhanden sind, legen Hermeline sogar Mäusevorräte an».

Ein fleissiger Helfer ist übrigens auch der Fuchs. «Er kann problemlos mehrere Tausend Mäuse pro Jahr fressen», so Betsche. Für ihn ist klar, dass eine Mauserei ökologisch nachhaltig und professionell erfolgen muss. Hierfür benötigen die natürlichen Fressfeinde auch einen geeigneten Lebensraum mit vielen Strukturen. Wiesel brauchen Unterschlüpfe und Verstecke, sogenannte «Wieselburgen». Beträgt die Distanz zwischen diesen mehr als 20 Meter, sind Wiesel auf regelmässige Deckung dazwischen in Form von Gräben, Stein- und Asthaufen, Trockenmauern, Hecken oder ungemähten Rasenflächen angewiesen, welche heute kaum mehr so vorkommen. «Pro Natura Aargau bietet sehr gerne an, in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft zusätzliche Strukturen und Arbeitsplätze für Greifvögel, Eule, Fuchs und Wiesel zu schaffen», ergänzt Betsche. 

Christoph Hagebuch, Grossrat und Präsident des Bauernverbandes Aargau, sieht das anders: «Wenn es so einfach wäre, würden die Bauern auf die Mauserei verzichten und auf Wiesel setzen», erklärt er auf Anfrage. Die Mauserei, wie sie auch in Obersiggenthal freigegeben wurde, sei historisch gewachsen. Die Fallen seien in der Regel sofort tödlich, die Hersteller hätten ja auch kein Interesse daran, Tiere zu quälen, führt er weiter aus, aber eine 100-prozentige Sicherheit habe man natürlich nie.