Roman Nowka, wie ist dieses Matter-Projekt entstanden? Hatten Sie keine «Hemmige»?
Roman Nowka: Doch. Der Jazzclub Moods in Zürich fragte mich dreimal, ob ich ein solches Programm machen könne. Ich sagte zweimal Nein, da ich dachte, das hätte es schon mehrfach gegeben. Plötzlich war jedoch alles klar, und ich wusste, dass ich es als Show Bob Dylan vs. Mani Matter aufziehe.
Stephan Eicher: In der Form eines Battles.
Nowka: Genau. Eine Band spielte Dylan-Songs, die andere Matter-Songs. Nach dem Stück haben wir mit einem Mikrofon den Applaus gemessen. Wer insgesamt mehr Dezibel sammelte, hatte gewonnen.
Eicher: Lass mich raten, wer gewonnen hat …
Nowka: (Lacht.) Stimmt. Das Publikum hatte Freude und wir auch. Danach haben wir uns entschlossen, mehr aus der Idee zu machen.
Wie stiess Endo Anaconda zu dem Projekt?
Nowka: Ich sagte auf der Bühne, es wäre gut, noch jemanden zu haben, der singe. Da hat jemand von der Bar geschrien: «Endooo!»
Eicher: Gute Geschichte, die kannte ich gar nicht. (Lacht.)
Haben Sie sich sofort gefunden?
Nowka: Ehrlich gesagt, als wir probten, hat es anfänglich gar nicht funktioniert. Dann begann Endo Anaconda, die Songtexte zu lesen. Das gefiel ihm und mir auch. Ich fand es sehr schön, sie mit Musik zu hinterlegen. Zwei oder drei Lieder haben wir zusammen gemacht und ähnlich viele Konzerte geplant, doch dann ist er leider gestorben.
Wie ist es zu Ihren ersten Matter-Interpretationen gekommen?
Eicher: Züri West, die auf ihre Art, indem sie die Melodie und die Harmonisierung leicht veränderten, immer wieder mal einen Matter-Song coverten, inspirierten mich. Nachdem wir 1991 gemeinsam «Dr Alpeflug» aufgenommen hatten, wollte ich, dass auch auf dem Album «Engelberg», das ich mit Studiocracks aus aller Welt einspielte, durch «Hemmige» meine DNA einfliesst. Es wurde zu einem der Lieblingsstücke der Band, was ich dem Leadsänger Kuno Lauener verdanke, da ich ohne ihn gar nicht den Mut gehabt hätte. Wenn mir jemand Licht macht im dunklen Zimmer, laufe ich jedoch ziemlich bald hinterher. (Schmunzelt.)
Und das Publikum ist Ihnen dabei bedingungslos gefolgt …
Eicher: Überraschenderweise sogar in Paris. Ganz Frankreich hat das Stück auf Bärndütsch adaptiert. Damit hat sich ein Kreis geschlossen, da Matter von Georges Brassens beeinflusst war. Aus diesem Grund haben die Franzosen Struktur, Melodie und Gefühl verstanden, trotz dieser komischen exotischen Sprache. So gibt es einen Tumult, und die Leute verlangen ihr Geld zurück, wenn ich dieses Lied nicht singe.
Insofern haben Sie Anteil daran, dass Matters Werk nicht in Vergessenheit gerät.
Eicher: Es ist schön, wenn Sie das so sehen. Ich würde mich nicht trauen, das zu sagen. «Campari Soda» hat mich nochmals ein wenig beflügelt. Es macht mir aber zudem Freude, wenn ich dazu beitragen kann, dass ein Lied bekannt wird. So sang ich «Bälpmoos» schon auf meiner Tournee, als Patent Ochsner in meinem Vorprogramm spielte und noch kein breites Publikum berührte.
Als Endo Anaconda verschieden war, wandten Sie sich gleich an Stephan Eicher?
Nowka: Ja, ich dachte sofort an ihn, weil ich ihn stets irgendwie mit Mani Matter in Verbindung brachte.
Wie haben Sie Kontakt aufgenommen?
Nowka: Ich habe ihm eine E-Mail geschrieben, weil ich mich nicht traute, ihn anzurufen. Ich erinnere mich an die erste Probe. Als Stephan zu den Hot 3 stiess, hatte ich das Gefühl, die Bühne würde sich zwei Meter heben. (Lacht.) Das ist jetzt keine Schmeichelei. Ich merkte: «Wow, hier geschieht etwas.»
Eicher: Da fällt mir ein, dass ich Roman schon vor einigen Jahren auf Youtube entdeckt habe. Er sah aus wie ein amerikanischer Filmschauspieler aus den Fünfzigerjahren. Die Gitarre hielt er wie ein Greifvogel, der sein Opfer unter sich begräbt. (Lacht.) Als ich jemanden, der jetzt in dieser Band spielt, auf Roman ansprach, sagte er: «Ihr werdet nicht miteinander auskommen. No way.» Ich dachte: «Ach, schade, sein Gitarrensound hätte mir gefallen.» Bei dieser Hommage an Mani Matter hat sich jedoch gezeigt, dass ich mich mit ihm so gut verstehe wie noch mit kaum jemandem, sowohl als Musiker wie als Mensch.
Haben Sie je erfahren, wo es hätte hapern sollen?
Eicher: Ja, ich wollte es wissen. Es ist schwierig, die Bezeichnung Autismus zu verwenden, doch ich glaube, dass jemand, der Musik macht, tendenziell dazu neigt, sich in eine Welt hineinzuspüren, in die man nicht immer ganz einfach hinein und wieder heraus gelangt. Obwohl ich mit den Jahren gesprächiger wurde, gehöre ich wohl zu dieser Gattung Mensch – und Roman vermutlich ebenso. Deshalb haben wir einander bei allen Albumentscheidungen blind vertraut.
Haben Sie denn sofort zugesagt, als Roman Nowka Sie kontaktierte?
Eicher: Zuerst habe ich gar nicht reagiert, aber das will nichts heissen. Es gibt unendlich viele E-Mails auf dieser Welt … Ich finde es einfacher, wenn ich einen Telefonanruf bekomme. Dann weiss ich sofort, es gibt einen Freund, dem es nicht gut geht, und nehme mir die Zeit – oder es ist jemand, der einfach plaudern will. (Lacht.) Der «Psychologe» in der Band sagte jedoch beim Stichwort Mani Matter: «Das ist doch Roman Nowka, komm, das machen wir.» Anfangs fragte ich mich allerdings: Braucht es noch ein neues Stephan-Eicher-Album?
Weshalb diese Zweifel?
Eicher: Wer ein Rockalbum hören will, hört «Carcassonne», Balladen sind auf dem Album «Homeless Songs» zu finden und Schweizerdeutsches im «Song Book». Und «Matter Rock» gab es ebenfalls schon, wenn auch nicht von mir. Ich dachte zuerst, es wäre alles bereits gesungen, aber Matters Lieder gehören eben zum Schweizer Pendant des Great American Songbook.
Nowka: Ich staune immer wieder über dich, Stephan. Als du das mit unseren Welten erklärt hast, wurde mir plötzlich etwas klar, das ich vorher nicht benennen konnte. Du schenkst mir immer wieder solche Aha-Momente.
Eicher: Ich erkläre dir noch etwas: Bei Mani Matter reden stets alle vom Text. Der ist unumstösslich brillant, obwohl es heute ein paar Themen gibt, an denen man die Veränderung der Gesellschaft sieht. «Dr Sidi Abdel Assar vo el Hama» etwa, darf man das noch? Oder die Zeilen «S’chäm es hübsches Meiteli derhär. Jitz luege mir doch höchstens chly uf d’Bei»? Das sind alles Fragen, die wir uns auf der Bühne stellen und mit denen wir spielerisch umgehen. Das Geniale ist jedoch, wie du, Roman, plötzlich die Melodien erkannt hast. Zuerst wollte ich das Album ohne Gesang machen, aber dann wollte ich unsere Kreativität nicht unnötig einschränken. Es ist ja nicht so, dass man morgens aufsteht und eine geniale Idee hat, die dein Weltbild und deine Karriere auf einen Schlag verändern wird.
Sondern?
Eicher: Es ist ein Prozess, kein Masterplan. Man lässt sich inspirieren, wie beim Kochen, wenn man nicht viel im Kühlschrank hat, und erfindet den Toast Hawaii, eine Weltrevolution! (Lacht.)