Bald stehen die Uhren still

Boutellier Uhren und Schmuck schliesst aufgrund fehlender Nachfolge das Geschäft am Neumarkt. Nach 90 Jahren werden im renommierten Geschäft von Georges Boutellier keine Uhren mehr ticken und wird keine Bijouterie mehr glitzern.
Bijoutier Georges Boutellier.(Bild: Valentin Trentin)

Georges Boutellier, reden wir von den Anfängen. 1922 hat Ihr Vater Eduard Boutellier den Beruf eines Uhrmachers-Rhabilleurs an der Uhrmacherschule in Solothurn erlernt und damit den Weg zum Unternehmen Boutellier Uhren und Schmuck geebnet, obschon er ursprünglich Automechaniker lernen wollte.
Ja, so ist es. Ihm verdanke ich meinen, im Ganzen gesehen, an sich konfliktarmen Werdegang und sicher auch viel meines Lebensglücks.

1934 gründete Ihr Vater als junger Uhrmacher in einer politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeit ein Geschäft an der Bahnhofstrasse in Brugg. Was hat wohl Ihren Vater bewogen, diesen kühnen Schritt zu wagen?
Das habe ich mir immer wieder überlegt. Es hat sicher ausserordentlichen Mut gebraucht. Vor allem wenn man bedenkt, dass in Brugg bereits vier Uhrenfachgeschäfte existierten. Die Konkurrenten werden sich gedacht haben, da kommt nun so ein Fremder, ein Ausserkantonaler mit welschem Namen und erst noch Katholik ins damals sehr konservative, evangelische Brugg. Einer soll gar das Schaufenster an der Bahnhofstrasse bespuckt haben.

Wie bitte? Sie scherzen.
Nein. Ein warmer Empfang war das wohl kaum.

Das hat etwas von einem provinziellen Kulturkampf.
Ja, das kann man so sehen. Meteorologisch war es ebenfalls kalt. 1934 gab es eine Kältewelle (–20 °C), und es hat viel geregnet, vor allem am Rutenzug, der ohne Feuerwerk und Fackelzug endete.

Für Brugg beinahe eine Art Armageddon. Doch zurück zu Ihrem Vater. Was war er für ein Mensch?
Er war eine stattliche Erscheinung – 1,85 Meter gross –, eine dominante Person, aufrecht, fordernd und genau, wie es sich eben für einen Uhrmacher gehört. Dennoch, ich habe ihn geliebt.

Und Ihre Mutter?
Sie war ein gütiger Kontrast zum Vater, eine sehr ausgeglichene und liebe Frau, ein Ruhepol in der Familie. Sie hat die Kundschaft im Laden empfangen und kompetent beraten. Und sie hat sie alle mit Namen angesprochen. Man kann sagen, sie war die Seele des Geschäfts.

Weshalb ist die Familie 1944 an einen neuen Standort an die Alte Zürcherstrasse neben der ehemaligen Migros gezogen?
Ganz einfach, Gründe waren die bedeutend bessere Geschäftslage direkt neben dem Bahnhof und die Vision meines Vaters, dass sich die Alte Zürcherstrasse mit den bestehenden guten Fachgeschäften und dem weitherum bekannten Café Baur weiterentwickeln könnte.

Sie waren damals mit Jahrgang 1943 ein Jahr alt.
Ja, ich darf sagen, ich bin in diesem Haus an der Alten Zürcherstrasse aufgewachsen und hatte sicher eine glückliche Jugend in der Wohnung direkt über dem Geschäft. Das Uhrenatelier befand sich im hinteren Teil des Ladens.

Waren Sie ein braves Kind?
(Lacht.) Nein, eher ein Schlingel, allzeit bereit für Unfug. Und unpünktlich, wenn es galt, die Tagespaketchen Punkt 18.15 Uhr auf die Post zu bringen, und ich stattdessen noch getschuttet hatte. Dann gab es etwas zu hören. Oder die Sache mit dem Weihrauchgefäss, als wir als Ministranten beim Osterhochamt anstelle von einem drei glühende Kohlestücke benutzten und der Kessel zu brennen begann. Wir retteten ihn in die Sakristei, wo ich prompt zwei Ohrfeigen kassierte, dafür aber nie mehr ministrieren musste.

Waren Sie ein guter Schüler?
Nein, eher ein Minimalist. Ich ging nie gern zur Schule. Mein Vater konnte erst gar nicht glauben, dass ich die für vieles entscheidende Prüfung zur Aufnahme an die Bezirksschule bestanden hatte.

1959 war Ihre Schulzeit zu Ende. Was nun, Georges Boutellier?
Mein Vater dachte, die beiden Söhne brauchten einen Zusatzschliff. Er hat meinen Bruder und vier Jahre später mich nach Neuchâtel zu den Chers Frères in ein Privatinstitut geschickt. Dort wurden neben «Moral und Comment» auch kaufmännische Fächer und vor allem Französisch unterrichtet. Das war später wichtig. Denn die sogenannte Haute Horlogerie ist ja hauptsächlich in der Romandie angesiedelt.

Aber Ihr Berufswunsch war damals noch nicht klar?
Das klärte sich erst nach Neuchâtel. Ich habe aber meinem Vater immer gern geholfen. Übrigens, die innig gewünschten Jeans habe ich mir mit Arbeit im Geschäft verdienen müssen. Diese Arbeiten beschleunigten den Entscheid, weder Architekt noch Künstler, sondern nun doch Uhrmacher zu werden.

An der Uhrmacherschule Solothurn liessen Sie sich von 1960 bis 1964 zum Uhrmacher ausbilden, haben das Handwerk von der Pike auf gelernt und erfolgreich abgeschlossen. War das hart?
Für mich pickelhart. Ruhig sitzen, konzentriert arbeiten, das war für den unruhigen Georges schwierig. Ich habe trotzdem mit Erfolg abgeschlossen.

Und dann? Heim ins gemachte Bett des väterlichen Betriebs?
Nein, natürlich nicht. Es folgten die Wanderjahre bei einem Antikuhrmacher, dann Rolex in Genf, Certina in Grenchen und Zenith in Le Locle. Erst 1970 bin ich in die Firma eingetreten und habe das weiterentwickelt, was meine Eltern begonnen haben, nämlich ein Geschäft zu führen, das auch für anspruchsvolle Kundinnen und Kunden mit Uhrenmarken ebendieser Haute Horlogerie, wie zum Beispiel IWC, Jaeger-Le Coultre, Zenith und Omega.

Der Rest ist allgemein bekannt. Boutellier Uhren und Schmuck gehörte zu den renommiertesten Geschäften dieser Branche. Aber wo viel Licht ist, ist auch Schatten.
Ja, das ist so. Als wir 1982 dank verständiger Unternehmer und dank dem Architekten Gabi Droz am Neumarkt 2 glücklich in den allseits bekannten weinroten Anbau gezogen waren, mussten wir Rückschläge erdulden. So zum Beispiel als uns die IWC, die nach Brugg mit einer Führungsspitze marschiert war, Knall auf Fall eröffnete, dass wir als Händler dieser Marke von der Liste gestrichen seien.

Warum das?
Das lief wahrscheinlich unter dem Schlagwort «Selektive Distribution».

Wie war das für Sie und Ihre Belegschaft?
Das war sehr hart, vor allem weil schon mein Vater und später ich einiges zum Renommee dieser Marke in der Region beigetragen und meines Erachtens das vorhandene Marktpotenzial gut ausgeschöpft haben. Zudem überzeugte uns der vielleicht von IWC vorgeschobene Grund nur halbwegs, das gesamte Marketing voll im Griff haben zu müssen.

Und doch, der weitere Erfolg blieb nicht aus.
Ja, vielleicht haben diese Herausforderungen mein Team und mich gerade deswegen angespornt, noch mehr in Qualität und neue Ideen zu investieren.

2010 kam es zu weiteren Veränderungen.
Das waren die Gesamtrenovationen am Neumarkt 2, denen der Droz-Annex zum Opfer fiel und die uns zwangen, einen neuen Standort im gleichen Gebäude zu finden. Auch das haben wir geschafft. Ab 2011 konnten wir die vierten Geschäftsräume für weitere 13 Jahre mit Erfolg nutzen.

Das aber unterbrochen von sehr schmerzhaften Schicksalsschlägen.
Allerdings: Im Geschäft gab es drei Einbruchsversuche. Einer mit einem Ramm-Audi. Dieser misslang jedoch. Wirklich verstörend war eigentlich nur der private Hausbrand im Dezember 2016, der meine Frau, unsere Tochter und mich nicht nur symbolisch auf die Strasse stellte. Doch auch hier hat, wie meistens in meinem Leben, das Positive gesiegt. Denn man half uns rasch und gutnachbarlich über die Runden. Ein Jahr später stand das neue Haus.

Wie sind Sie schliesslich damit zurechtgekommen? Kein Hadern mit dem Schicksal?
Nein, und das dank meiner Familie und meiner Freunde, die da waren, als man sie brauchte. Und mit Wochenaufenthalten in Klausur im Kloster Disentis. Bei den lebensfrohen Benediktinern kommt man wieder zur Ruhe. Und man wird mit dem Umstand fertig, dass es nach 90 Jahren künftig kein Geschäft Boutellier Uhren und Schmuck mehr geben wird.

Was dem Vernehmen nach allgemein und sehr bedauert wird. Letzte Frage. Wenn Sie noch einmal wie 1970 vor dem Eintritt in die Firma entscheiden müssten, wie wäre das?
Vermutlich nicht viel anders. Vielleicht hätte ich vor dem Eintritt ins elterliche Geschäft noch Stages im Ausland eingebaut, um andere Länder, Menschen, Sitten und Kulturen kennenzulernen.

Georges Boutellier, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Gern geschehen.