«Ich könnte stundenlang erzählen»

Schon als kleiner Junge begeisterte sich Gregor Tomasi, «Mr. Bahnpark», für die Eisenbahn. Jetzt, als 81-Jähriger, brennt das «feu sacré» nach wie vor in ihm.
Für Gregor Tomasi sind Eisenbahnen eine lebenslange Faszination.(Bild: pbe)

Einmal mehr öffnet der Bahnpark Brugg am 18. und 19. Mai seine Tore: Dort zeigen sie sich, die stählernen Ungetüme, alle blitzblank, alle fahrtüchtig, alle hautnah zu erleben. Hinter der Präsentation dieser Lokomotiven stehen viele Enthusiasten, die ihre Zeit und ihr Können in den Unterhalt dieser Zeugen einer längst vergangenen Eisenbahnära investieren. Zuerst ist Gregor Tomasi zu nennen. Wie kein anderer ist er mit dem Bahnpark verbunden.

Stets das Ziel vor Augen
Als er noch nicht einmal schulreif war, packte den jungen Gregor die Faszination für die Eisenbahn. «Immer wieder pilgerte ich mit meiner älteren Schwester zum Brugger Bahnhof, natürlich mit einem kleinen Koffer, wie richtige Reisende. Dort gab es so viel zu sehen. Wir setzten uns auf eine Bank und bestaunten die Züge, die fauchenden Lokomotiven. Und manchmal hatte es im Kaugummiautomaten sogar noch ein Zwänzgerli.»

Und dann war da «Onkel Ernst», wohnhaft im deutschen Kehl, von Beruf Lokomotivführer. Spätestens als Gregor auf eine Fahrt in der Lokomotive mitgenommen wurde, stand für ihn fest: Er wollte Lokführer werden. Unbedingt. Grundvoraussetzungen waren damals: abgeschlossene Berufslehre, militärpflichtig, kein Brillenträger. Gregor absolvierte bei der BBC eine Lehre als Maschinenschlosser und leistete Militärdienst als Strassenpolizist. Und seine Sehkraft war gut. Also stand einer Bewerbung als «Fahrdienst-Anwärter» nichts im Weg.

Zunächst arbeitete Tomasi aber noch in der SBB-Hauptwerkstatt Zürich, wo Lokomotiven und Waggons revidiert wurden. Dabei durfte er Züge, die mit neuen technischen Geräten ausgestattet waren, auf Probefahrten begleiten. Offenbar fiel der junge Mann durch gute Leistungen auf, denn der Werkstattleiter wollte ihn weiterhin dort beschäftigen und stellte ihm eine vielversprechende Karriere in Aussicht. Gregor Tomasi liess aber nicht mit sich verhandeln und hielt an seinem Traum, Lokführer zu werden, fest. «Ich sagte zu ihm: ‹Sie müssen gar nicht mehr stürmen.› – Da ging er.»

«Ein erhabenes Gefühl»
Nun galt es, drei Prüfungen zu bestehen: eine medizinische, eine schulische und eine psychologische. Dann endlich begann die theoretische und praktische Ausbildung. Als Heizer oder wie es korrekt hiess: Als Fahrergehilfe schaufelte Tomasi Kohlen, wischte den Staub weg und verrichtete viele weitere elementare Arbeiten in der Lokomotive. Seine Aufgabe war es zudem, alle relevanten Beobachtungen und Manipulationen laut und vorzeitig dem verantwortlichen Lokführer mitzuteilen. Also zum Beispiel Signalisationen, Bremszeitpunkte, Weichenstellungen und vieles mehr. Und laufend galt es, Zwischenprüfungen zu bestehen.

Dann endlich war es so weit: 1968 durfte er das blaue Übergwändli des Heizers gegen das gestreifte des Lokführers tauschen. Auf seiner allerersten Fahrt allein im Führerstand fuhr Tomasi mit einem Schnellzug von Zürich nach Erstfeld. Noch heute erinnert er sich: «Die Lok war eine Re 4/4 II mit der Nummer 11 104.» Und: «Nein, Angst hatte ich nicht, aber natürlich gehörigen Respekt. Jedenfalls war es ein erhabenes Gefühl. Ganz allein verantwortlich!»

Worin besteht denn für Gregor Tomasi die Faszination dieses Berufs? «Man ist selbstständig, nur auf sich gestellt. Da ist kein Chef, der dauernd an einem herummäkelt. Dazu kommt die unglaubliche Abwechslung, die der Beruf bietet: immer wieder neue Orte, andere Loktypen, andere Tages- und Nachtzeiten. Jede Fahrt ist anders.» Er geht einen Moment in sich und sagt dann: «Ich hatte wirklich traumhafte Erlebnisse.»

Tomasi erzählt von der Millenniumsfahrt, als er zur Jahrtausendwende am 1. Januar 2000 um 0.04 Uhr von Zurzach nach Brugg fuhr, aus gegebenem Anlass mit Krawatte und Frack. Vor der Abfahrt einen Schluck Sekt – alkoholfrei. In Brugg dann nochmals Sekt, diesmal aber mit Alkohol.

Er erzählt von einer «Begleitfahrt» mit dem damaligen Regierungsrat Kurt Wernli und dessen Gattin Elisabeth. Die Reise ging im Führerstand von Brugg nach Genf und wieder zurück, Tomasi fungierte als versierter «Reiseleiter», der seine beiden Gäste auf alle Merkwürdigkeiten hinwies.

Unerschöpflicher Erlebnisschatz
Er berichtet von vielen schönen Erlebnissen mit Kindern, die er als Schulreferent in die Welt der Eisenbahn einführte. Er erzählt von einer winterlichen Fahrt ins Seetal. Nachts hatte es geschneit, und zwar so kräftig, dass von den Schienen gar nichts zu sehen war. Sein Zug glitt durch eine jungfräuliche Schneelandschaft. Er erinnert sich an eine ungemütliche Situation in Pratteln, als ein renitenter Mann die Weiterfahrt behinderte. «Ich gab im Lautsprecher durch, dass wir so nicht weiterfahren könnten. Da sah ich im Rückspiegel, wie die Mitreisenden den Querulanten aus dem Zug bugsierten.» Auch Unerfreuliches passiert in einem so langen Berufs­leben: Personenunfälle, einmal sogar mit einem Kind.

Am 29. Mai 2006 dann seine letzte Fahrt als Lokführer. «In Brugg erwarteten mich 150 Personen auf dem Perron.» Viele Freunde, Berufskollegen, Bekannte und Ortspolitiker. Eine Festbeiz, Livemusik. Und die Lokomotive war mit dem Schriftzug geschmückt: «Gregors letzte Fahrt.»

Und danach von hundert auf null. Einen sanften Übergang in die Pension kennt dieser Beruf nicht. «Ja, das war schwierig für mich.» Doch nun blieb Zeit, seine Leidenschaft in anderer Weise auszuüben. Am 18. April 2005 gründete Tomasi mit einer Anzahl weiterer Bahnfreunde die Stiftung Bahnpark Brugg, deren Gesicht er bis auf den heutigen Tag ist. Mit seinem ganzen Fachwissen, seinem grossen Netzwerk, mit Haut und Haar steht er hinter diesem Unterfangen.

Zwei Tage Eisenbahnnostalgie
«Mr. Bahnpark» Gregor Tomasi freut sich auf die zwei Tage der offenen Tore. Zwei Tage, in denen die Mitarbeitenden Gelegenheit erhalten, der Öffentlichkeit zu zeigen, was sie geleistet haben. Zwei Tage für die Menschen aus der Region, die wohl zuweilen mit Rauch- und Lärmemissionen der Bähnler leben müssen. Und zwei Tage für alle Eisenbahnnostalgiker und -nostalgikerinnen aus nah und fern. Aus ganz Europa sind sie schon gekommen, aus den USA, aus Brasilien, Südafrika, Japan und Taiwan.