Dieses Jahr fiel der Europatag am 9. Mai mit Auffahrt zusammen. Die traditionelle Podiumsdiskussion des Politikclubs der Kantonsschule Wettingen fand deshalb einen Tag früher statt, am Mittwochabend. Zum Europatag lädt der Politikclub seit einigen Jahren Mitarbeitende ausländischer Botschaften in der Schweiz für ein Gespräch ein. «Das Freifach Politikclub ist inzwischen äusserst beliebt. Seit den Klimademos hat das Interesse enorm zugenommen», sagt Tobias Wiederkehr, Geschichtslehrer an der Kanti Wettingen und Mitglied des Badener Einwohnerrats (Team), der das Freifach betreut. Organisiert und durchgeführt wird die Veranstaltung von den Schülerinnen und Schülern selbst. «Sie durften den Rahmen des Events und ihre Fragen dafür selbst wählen», fährt Wiederkehr fort. Dieses Jahr fanden sich etwa 70 Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule in der Löwenscheune ein, um der Diskussionsrunde des Politikclubs zu folgen.
Besuch aus der deutschen Botschaft in Bern
Dieses Mal zu Gast war der deutsche Botschaftsrat Guido Genrich. Der Jurist ist Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Bern und kümmert sich schwergewichtig um wirtschaftliche Fragen zwischen Deutschland und der Schweiz.
Nach einer kurzen Vorstellung eröffnete er die Diskussion mit einem Vergleich zwischen dem föderalistischen System der Schweiz und dem supranationalen Gebilde der Europäischen Union (EU). Die EU sei, genau wie die Schweiz, ein demokratisches Gebilde, in dem mehr oder weniger unabhängige Staaten beziehungsweise Kantone ihre Interessen gemeinsam regelten. Weiter betonte er, dass die Schweiz für Deutschland als EU-Mitglied schon immer von besonderem Interesse und von besonderer Bedeutung gewesen sei. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in den Bereichen Umweltpolitik und Forschungskooperation sei die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Deutschland so eng wie zwischen kaum zwei anderen Ländern.
Genrichs einführende Worte legten den Grundstein für eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz.
Streitpunkt «fremde Richter»
Als Experte für wirtschaftliche Fragen zwischen den beiden Ländern konnte er wertvolle Einblicke in die Herausforderungen und Chancen geben, die aus dieser engen Verbindung entstehen. Dabei ist es kein Geheimnis, dass die EU insbesondere die Wiederaufnahme in die europäischen Forschungsprogramme gegenwärtig als Druckmittel gegen die Schweiz verwendet, um endlich eine Einigung über ein institutionelles Rahmenabkommen mit der Schweiz zu erzielen. Die Schweiz sträubt sich bis anhin dagegen, wobei sich der politische Widerstand vor allem auf die «fremden Richter» konzentriert, die nach Abschluss des Rahmenabkommens über die Schweiz urteilen könnten. Tatsächlich verlangt die EU, dass ein Rahmenabkommen mit der Schweiz festhalten soll, dass für Streitigkeiten zwischen der Schweiz und der EU ultimativ der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zuständig sein soll. «Die deutsche Bundesregierung kann gut verstehen, dass es für die Schweiz nicht leicht ist, diesen Schritt in Richtung supranationales Gebilde zu gehen», sagt Guido Genrich. Allerdings sei dieser Punkt tatsächlich nicht verhandelbar: «Wenn die Schweiz an unserem Binnenmarkt teilnehmen will, dann muss sie unseren Schiedsrichter akzeptieren. Anders kann es gar nicht sein.» Des Weiteren stört sich Guido Genrich am Ausdruck «fremde Richter». «Die Richterinnen und Richter des EuGH sitzen und urteilen dort nicht als Deutsche, Franzosen oder Belgier, sondern sind Profis in der Anwendung des europäischen Rechts. Ausserdem ist es die Kernfunktion von Richtern, unparteiisch zu urteilen.»
Ein steiniger Weg
Die Schülerinnen und Schüler des Freifachs Politikclub folgten den Ausführungen zu den bilateralen Beziehungen interessiert, forderten den Botschaftsrat mit ihren gezielten und durchaus kritischen Fragen aber immer wieder heraus. Dadurch ergab sich eine Diskussion zu den historischen und politischen Hintergründen der Gründung der EU und deren Beziehung zur Schweiz.
Während einige Diskussionsteilnehmende die Vorteile einer engeren Integration mit der EU sehen, betonten andere die Bedeutung der Souveränität und der Unabhängigkeit der Schweiz. Diese Vielfalt an Meinungen widerspiegelte die breite Palette an Ansichten, die auch in der Schweizer Bevölkerung zu finden sind, und verdeutlicht, dass der Weg zu einem institutionellen Rahmenabkommen mit der EU weiterhin steinig sein wird.
Insgesamt war die Podiumsdiskussion mit Botschaftsrat Guido Genrich ein aufschluss- und lehrreiches Ereignis für die Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Wettingen. Durch den direkten Austausch mit einem erfahrenen Diplomaten konnten sie nicht nur ihr Wissen über internationale Beziehungen vertiefen, sondern ebenso ihre Fähigkeiten zur kritischen Analyse und zum konstruktiven Dialog stärken.