Der TV-Krimi vs. die Realität am Gericht

Neue Vortragsreihe der Volkshochschule Region Brugg zu dem Themen Strafprozess, forensische Psychiatrie und Strafvollzug: Wie werden Täter überführt, wie laufen Gerichtsverfahren ab, wie ist es in der Justizvollzugsanstalt? Die Volkshochschule gibt Antworten.
Gerichtspräsident Sandro Rossi schildert im Gerichtssaal an der Unteren Hofstatt die verschiedenen Phasen von der Entdeckung einer Straftat über deren Aufklärung bis zum Gerichtsurteil. (Bild: bkr)

«Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett», sang einst der deutsch-amerikanische Barde Bill Ramsey. Das Entsetzen über Verbrechen und die schaurige Faszination, die von ihnen ausgeht, sind ungebrochen – die Einschaltquoten bei Fernsehkrimis sind hoch. «Nach diesem Vortrag werden sie den Dienstagabendkrimi mit anderen Augen sehen», versprach der Brugger Bezirksgerichtspräsident Sandro Rossi. Er sprach als Referent im Gerichtssaal des Bezirksgerichts Brugg am ersten Vortrag einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe, welche die Volkshochschule zu den Themen Strafprozess, forensische Psychiatrie und Strafvollzug organisiert.

Der Aufmarsch am letzten Donnerstag war gross. Rossi – seit 2017 vom Volk gewählter Gerichtspräsident – arbeitete sieben Jahre lang als einer der leitenden Staatsanwälte des Kantons Aargau. Aufgrund seines beruflichen Erfahrungsschatzes gelang es Rossi, den Zuhörerinnen und Zuhörern die kriminalistische Wirklichkeit näherzubringen und sie so gegenüber den Darstellungen und Bildern im Fernsehen zu kontrastieren.

Plastisch schilderte der Gerichtspräsident, wie er damals als Pikettstaatsanwalt mitten in der Nacht das Telefon abnahm und die Polizei ihn zu einer toten Person rief. «Gibt es immer ein Verbrechen, wenn jemand tot aufgefunden wird?», fragte Rossi in die Runde. «Dennoch geht man bei der Tatortarbeit immer vom Schlimmsten aus.» Der Grund? «Damit im Fall der Fälle keine Spuren verloren gehen.» Jene Polizistinnen und Polizisten, die zuerst vor Ort seien, kümmerten sich zwar um die aufgefundene Person. «Ist sie aber tot, ziehen sie sich auf demselben Weg zurück, auf dem sie gekommen sind – markieren diesen sogar.» Anschliessend habe niemand ausser der Spurensicherung und der Rechtsmedizin etwas am Tatort zu suchen. «Krimikommissare verhalten sich bei ihrer Tatortarbeit wie Elefanten im Porzellanladen.»

Auch Daten werden gesichert
Umgehend gesichert werden nicht nur Tatortspuren, sondern ebenso sofort Daten. Beispielsweise solche von Videoüberwachungsanlagen rund um den Fundort, damit diese nicht – wie das der Datenschutz eigentlich vorsieht – gelöscht werden. Weitere Informationen liefern Mobiltelefone und Fitnesstracker und natürlich Zeuginnen und Zeugen. «Erhärtet sich der Verdacht, dass es sich um ein Verbrechen handelt, fahren alle Fachbereiche ihre Ermittlungstätigkeit hoch.» Als Beispiel nannte Rossi die Rechtsmedizin: «Sie kann bei Aarewasser in der Lunge anhand von Mikroorgansimen feststellen, ob jemand in Aarau oder Brugg ertrunken ist.»

Das Verfahren wird von einer Staatsanwältin oder einem Staatsanwalt geführt. «Das ist aber keine One-Man-Show, sondern Teamwork», sagte Rossi und nannte den Vierfachmord von Rupperswil. «Zu dessen Aufklärung war eine aus 40 Personen bestehende Soko im Einsatz.» Habe man schliesslich einen Täter im Visier, gehe es um die taktische Frage: «Verhaften oder verdeckt ermitteln?»

Verdeckt ermitteln heisst, auf richterliche Anordnung Telefon und Kreditkarte zu überwachen sowie Observation. Rossi erinnerte sich an einen Fall, wo der Straftäter sein Tatwerkzeug in einem Baumarkt erworben hatte. Überführt wurde er, weil er den Fehler begangen hatte, sich für den Kauf Bonuspunkte auf seiner Kundenkarte gutschreiben zu lassen.

Der Täter ist ertappt
Inzwischen ist der Täter in die Falle getappt und verhaftet. «Die Polizei und die Staatsanwaltschaft dürfen ihn maximal 48 Stunden festhalten. Dann geht der Fall an den Haftrichter, der eine allfällige U-Haft anordnet.»

Pflichtverteidigung und eventuell eine Übersetzerin oder ein Übersetzer werden aufgeboten – die Befragungen des mutmasslichen Täters sowie von Zeuginnen und Zeugen beginnen. Was viele Zuhörerinnen und Zuhörer nicht wussten: Der Angeklagte hat das Recht, bei den Einvernahmen teilzunehmen – jener von Zeugen sowie jener von Mitangeklagten. «Im Gegensatz zur Darstellung im Krimi hört Täter A, was Täter B aussagt.»

Ist die Untersuchung abgeschlossen, kommt es zu einer Anklage oder bei einem Strafmass mit Haft unter 180 Tagen (oder entsprechender Geldstrafe) zu einem Strafbefehl. In diesem Fall hat der Täter die Wahl, den Strafbefehl zu akzeptieren oder eine Beurteilung durch das Gericht zu verlangen. Ist die Tat nicht nachweisbar, wird das Verfahren eingestellt. Bei Verfahren vor Gericht ist bis zu einer Strafandrohung von einem Jahr Haft der Einzelrichter zuständig. «Das ist die Masse der Fälle», sagte Rossi. Höhere Strafen fällt das Gesamtgericht, das aus vier Laienrichterinnen und -richtern plus dem Präsidium besteht.

Der Prozess
Für die Verhandlung bietet das Gericht den Angeklagten, dessen Verteidigung, die Nebenkläger mit Anwalt oder Anwältin, eventuell Gutachterinnen und Gutachter, den zuständigen Staatsanwalt und natürlich die Richterinnen und Richter auf. «Den Termin aufeinander abzustimmen, ist nicht immer einfach», erzählte Rossi. Hinzu kommt, dass auch der Gerichtssaal frei sein muss. «Wir haben am Bezirksgericht generell Raummangel.»

In Straffällen – Ausnahmen bilden Sexualdelikte – sind die Gerichtsverhandlungen und die Urteilsverkündigungen öffentlich. Daten und Fälle finden sich im Internet auf der Website des Bezirksgerichts Brugg.

Interessant ist, was die Arbeitslast von Rossi – er ist geschäftsführender Präsident – und seinen drei Kolleginnen, ebenfalls Gerichtspräsidentinnen, betrifft: Nur 15 Prozent der in Brugg pro Jahr hängigen 3200 Gerichtsverfahren sind Straffälle. 85 Prozent entfallen auf die Bereiche Familien- und Jugendgericht, Arbeitsgericht oder auf zivilrechtliche Fälle.

Am zweiten Abend sprach Angelika Curti, Fachärztin für Psychiatrie. Zum Abschluss spricht Marcel Ruf, Direktor der Justizvollzugsanstalt Lenzburg, zum Thema «Strafvollzug – Realität und Wirklichkeit» am Montag, 10. Juni, um 18.30 Uhr in der Aula des Berufs- und Weiterbildungszentrums Brugg. Das Programm der Volksschule Region Brugg ist auf vhsag.ch zu finden.