«Gemeindeammann Richard Plüss wird anlässlich der Einwohnergemeindeversammlung in der Mehrzweckhalle Lupfig vom Donnerstag, 27. Juni, offiziell aus seinem Amt verabschiedet.» So steht es in den Gemeindenachrichten von Lupfig. Und er selbst schreibt: «Seit 24 Jahren bin ich Mitglied im Gemeinderat Lupfig. Vorher war ich 13 Jahre Mitglied der Schulpflege, davon 12 Jahre deren Präsident. Überlappend war ich 20 Jahre Mitglied im Grossen Rat. Seit 2006 bin ich Gemeindeammann. Wenn ich alles zusammenzähle, komme ich auf beinahe 65 Jahre politische Aktivität.»
Richard Plüss, wie kam es, dass Sie sich für ein öffentliches Amt zur Verfügung stellten?
Das hat mit meiner Herkunft zu tun. Zu Hause wurden die Nachrichten aufmerksam verfolgt, die Zeitungen wurden intensiv gelesen. Und anschliessend kam es oft zu Diskussionen über einzelne Meldungen. Das weckte mein Interesse nicht nur am Weltgeschehen, sondern meine Bereitschaft, mich aktiv zu beteiligen. So übernahm ich im Rahmen meiner Erstausbildung als Landwirt am Zentrum Liebegg das Semesterpräsidium. Und bei der Dorfmusik trat ich der Ständerkommission bei, die stets eine Viertelstunde vor Probenbeginn die Notenständer aufstellen musste.
Kurz nach Ihrem Umzug nach Lupfig wurden Sie in die Schulpflege gewählt.
Ja, und zwar auf denkwürdige Art. Im zweiten Wahlgang erhielt ich gerade einmal eine einzige Stimme mehr als der Gegenkandidat, der übrigens später ebenfalls in die Schulpflege gewählt wurde. Schon im zweiten Jahr, mit noch nicht 30 Jahren, präsidierte ich diese Behörde. Es war für mich eine super Zeit. Ich lernte viele Kinder und Familien im Dorf kennen. Ich verfolgte den Werdegang der Schülerinnen und Schüler. Manche Kontakte sind bis heute geblieben. Das freut mich ausserordentlich.
Wie haben Sie Ihre Zeit als Grossrat erlebt?
Als ganz besonders lehrreich. Es war eine völlig neue Erfahrung für mich, dieser Wechsel von der Exekutive in die Legislative. Dankbar bin ich für all die Kontakte, die mir mein Mandat ermöglicht hat, sogar über alle Parteigrenzen hinweg. Zusammen mit Jürg Stüssi aus Windisch und Jörg Hunn aus Riniken bildeten wir im Grossen Rat die «Brugger Mafia»; wir konnten viel für unsere Region bewirken: zum Beispiel den Fachhochschulstandort sichern oder zwei Mal die Brugger Berufsschulen retten.
Sie schreiben: «Die politischen Mühlen mahlen langsam.» Bereitete Ihnen diese Tatsache manchmal Mühe?
Ja. Ab und zu bin ich fast verzweifelt. Ich bin eher der Machertyp. Dabei sehe ich durchaus die Notwendigkeit, den Bürger in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Es ist mir bewusst, dass ein ruhiges Vorgehen für die Seriosität der Handelnden spricht. Das habe ich zum Beispiel im Zusammenhang mit der Nutzung des Reichhold-Areals erlebt.
Lupfig hat sich in Ihrer Amtszeit enorm entwickelt.
Das ist richtig. Der Zonenplan von 1992 hat diese Entwicklung ermöglicht. Mit der Erschliessung der noch unbebauten Flächen setzte ein richtiger Bauboom ein, den wir jedoch sehr gezielt lenken konnten. So haben wir den Bau von Lagerhäusern von Hagebau oder von Aldi abgelehnt, die grossen Landbedarf hatten, aber kaum Arbeitsplätze gebracht hätten. Sicher hat aber zur rasanten Entwicklung auch die verkehrsgünstige Lage von Lupfig viel beigetragen.
Sie schreiben: «Ich lernte viele Menschen kennen.» Gab es darunter herausragende Persönlichkeiten?
Ja, eine ganze Reihe. Spontan fallen mir meine Amtsvorgängerin Ursi Andres und der frühere Schulrektor Fritz Steiner ein. Und Franz Grüter von Green. Mit ihnen und manchen mehr bestand ein Verhältnis unerschütterlichen Vertrauens und eine offene Kommunikation.
Sprechen wir von schwierigen Momenten. Gab es in Ihrer Zeit als Gemeindeammann auch Dämpfer?
Ja, das kam vor. Am schlimmsten war für mich eine Gemeindeversammlung der Ortsbürger, als es um einen neuen Werkhof ging. Was ich dort an Manipulation, Aggression und Verletzung erlebt habe, war sehr ernüchternd. Es war in all den Jahren das einzige Mal, dass ich nach einer Gemeindeversammlung mein Wärli packte und direkt nach Hause ging.
Und das Gegenteil: Höhepunkte in Ihrer Tätigkeit?
Davon gab es viele. Manche waren ganz unspektakulär. Es kam zum Beispiel vor, dass nach einer Gemeindeversammlung jemand an mich herantrat und sagte: «Gratuliere! Das haben Sie gut gemacht.» Es sind solch kleine Gesten, die äusserst motivierend wirken.
Wann kommt der Zusammenschluss von Lupfig mit Birr?
Ende 2025/Anfang 2026. Wir haben diverse pendente Aufgaben, die wir als zusammengeschlossene Gemeinde leichter und kostengünstiger bewältigen können. Dazu zähle ich zum Beispiel die Primarschulhäuser, die zu eng geworden sind, und die Gemeindehäuser. Kommt hinzu, dass wir längst aufgrund einer Reihe von Institutionen zusammenhängen: durch den Forst, die Oberstufe der Schule, die Feuerwehr und viele andere mehr. Aussenstehende verstehen nicht, warum wir nicht längst zusammengeschlossen sind.
Sie sind also Befürworter einer neuen Gemeinde Birr-Lupfig?
Unbedingt! Ich bin sogar bereit, einem Ja-Komitee beizutreten. Dieser zukunftsgerichtete Schritt darf nicht länger anstehen.
Was wünschen Sie Ihrer Gemeinde für die Zukunft?
Eine weiterhin gute, gesunde Entwicklung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Dabei denke ich nicht nur an die Gemeinde Lupfig, sondern ebenso an den ganzen Raum Birrfeld, von dem Lupfig nur ein Puzzleteil ist, aber ein wichtiges.
Und was wünschen Sie sich selbst?
Ganz klar: Gesundheit. Ich möchte in den nächsten 30 Jahren noch viele Ausflüge und Reisen unternehmen, auch den Aufenthalt in unserem fest stationierten Wohnwagen im Jura geniessen. Das alles funktioniert nur, wenn ich gesund bleibe. Bis jetzt war ich in mancherlei Hinsicht ein getriebener Mensch. Das fällt nun weg, worüber ich froh bin. Und meine Familie wird einen sehr viel höheren Stellenwert erhalten, vor allem meine Frau, die jahrelang auf meine Anwesenheit verzichten musste. Für mich stimmt es so.