Am 8. September 2020 wurde die eidgenössische Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» (Biodiversitätsinitiative) mit über 100 000 gültigen Unterschriften eingereicht. Urheber sind die Organisationen Pro Natura, Birdlife Schweiz, die Stiftung Landschaftsschutz, der Schweizer Heimatschutz und weitere Organisationen.
Der Trägerverein wäre bereit gewesen, die Initiative zurückzuziehen, wäre ein indirekter Gegenvorschlag zustande gekommen, mit dem rasch Massnahmen zum Schutz der Biodiversität in der Schweiz hätten beschlossen werden können. Weil das Parlament jedoch auf einen Gegenvorschlag verzichtete, kommt die Biodiversitätsinitiative nun am 22. September vors Volk.
Die Initiative
Laut den Initianten unternimmt die Schweiz zu wenig für den Erhalt unserer Natur und Landschaft und damit unserer Lebensgrundlagen. Deshalb soll die Biodiversitätsinitiative den Schutz von Natur und Landschaft als gemeinsame Aufgabe von Bund und Kantonen stärken.
Das will sie erreichen, indem mehr Flächen und zusätzliche finanzielle Mittel für den Erhalt der Biodiversität zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesverfassung soll um den Artikel 78a ergänzt werden, der keine starren Vorgaben enthält, aber in verschiedenen Punkten den Erhalt schutzwürdiger Landschaften, Ortsbilder, Natur- und Kulturdenkmäler sowie die Sicherung und die Stärkung der Biodiversität fordert.
Zusammen mit der Biodiversitätsinitiative lancierten die Umweltverbände die Landschaftsinitiative, die strengere Regeln beim Bauen ausserhalb der Bauzone forderte. Diese wurde mittlerweile zurückgezogen, da der Gegenvorschlag, das teilrevidierte Raumplanungsgesetz 2, in Kraft treten kann. Der Bundesrat hat am 19. Juni die Vernehmlassung für die entsprechende Teilrevision der Raumplanungsverordnung gestartet.
Die Befürworter
Für die Befürworter der Initiative liegt die Biodiversität im Sterben. «Vieles, was die Schweiz lebenswert und schön macht, ist in Gefahr. Die Biodiversität, also die Vielfalt unserer Natur, nimmt dramatisch ab. In den letzten 150 Jahren sind bei uns 255 Tierarten ausgestorben. Und das stille Artensterben geht weiter. Weitere 554 Arten sind vom Aussterben bedroht», schreibt Pro Natura in einem Blog-Artikel.
Die Ursachen für den Biodiversitätsschwund sind vielfältig, zum Beispiel: Verlust von Lebensräumen durch Umnutzung, Überbauung, Versiegelung oder Zersiedlung. Ebenso wirken sich erhöhte Nährstoff- und Pestizideinträge oder Bodenverdichtung durch den Einsatz grosser Maschinen sowie Flächenzusammenlegung, Beseitigung von Gehölzen, Randstreifen und anderen Strukturen negativ auf die Artenvielfalt aus.
Laut der Naturschutzorganisation gibt es aber eine Fülle bewährter Instrumente, um dieser Biodiversitätskrise zu begegnen. Vielfalt der Natur braucht aber Raum und die Förderung der Biodiversität Geld. Genau an diesem Punkt setzt die Biodiversitätsinitiative an.
Die Gegner
Bei den Gegnern der Initiative hat sich eine breite Allianz gebildet, bestehend aus verschiedenen Verbänden wie dem Schweizer Bauernverband, dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV), Economiesuisse, dem Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz (Aeesuisse) und anderen.
Der Schweizer Bauernverband schreibt in seiner Medienmitteilung vom 24. Juni: «Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und damit der Biodiversität ist mit dem Artikel 2 bereits heute als Auftrag in der Schweizer Bundesverfassung festgehalten. Das ist richtig, denn die Biodiversität ist die Grundlage für funktionierende Ökosysteme und durch die Bestäubungsleistung auch für die Erträge der Kulturpflanzen.»
Seit 1996 der ökologische Leistungsnachweis eingeführt wurde, ist jeder Bauernhof verpflichtet, mindestens 7 Prozent seiner Fläche für die Förderung der Biodiversität zur Verfügung zu stellen. Laut Bauernverband seien es heute aber auf freiwilliger Basis im Durchschnitt gegen 19 Prozent der Nutzfläche. Hinzu kämen nochmals 200 000 Hektar wenig intensiv genutzte und artenreiche Flächen im Sömmerungsgebiet.
Die Kampagnen
Am 13. Juni präsentierte die Nein-Allianz anlässlich einer Medienkonferenz ihre Argumente gegen die Biodiversitätsinitiative. Unter anderem schreibt sie: «Es gibt schon Gesetze, Aktionspläne und Initiativen, um die biologische Vielfalt zu schützen.» Konkret verfügt die Schweiz seit 2012 über eine Strategie Biodiversität. Sie definiert anhand zehn strategischer Ziele die Schwerpunkte des Engagements des Bundes, um die Artenvielfalt, die Ökosysteme und die genetische Vielfalt zu erhalten. Der Bundesrat hat diese Strategie 2017 mit einem Aktionsplan konkretisiert.
Die Befürworter halten dagegen: Bereits 2021 kam die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats zu dem Schluss, dass Biodiversität «eine zentrale Herausforderung für den Bund» darstellt, «da sie sich nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die Wirtschaft und die Gesellschaft auswirkt». In seiner Wirkungsanalyse hält der Bundesrat fest: «Der Allgemeinzustand der Biodiversität in der Schweiz ist weiterhin unbefriedigend. Die Ziele der Strategie Biodiversität Schweiz werden mehrheitlich nicht erreicht.»
Das Ja-Komitee hat am 25. Juni die Abstimmungskampagne lanciert. Gut die Hälfte der natürlichen Lebensräume sei bedroht und etwa jede dritte Tier- und Pflanzenart gefährdet oder bereits ausgestorben. Sauberes Wasser, fruchtbare Böden und schöne Landschaften gehörten zu den Schweizer Lebensgrundlagen. Zusammengefasst: Der Biodiversität in der Schweiz gehe es schlecht.