«Ich bezeichne mich nicht als Künstlerin»

Mehr Farbe im Gemeindehaus : Agnes Wüthrich lud am Sonntag zur Vernissage ins Gemeindehaus. Dort präsentiert sie einen Querschnitt ihres künstlerischen Schaffens.
Die Künstlerin vor einem ihrer Lieblingsbilder, «Sensibel» heisst es. (Bild: isp)

Schon als Kind hat Agnes Wüthrich bei jeder Gelegenheit gekritzelt, gezeichnet oder den Pinsel geschwungen. «Aber kreativ genug für einen künstlerischen Beruf habe ich mich nie gefühlt», erzählt die 54-Jährige. Die Faszination für Farbe und Pinsel war und ist aber immer da. So «motzt» die Obersiggenthalerin Möbel auf, streicht Wände, malt Bilder und verschönert Kleidungsstücke. An Ideen scheint es ihr nicht zu fehlen. Und einer ihrer Motivationssprüche ist: «Mach mich glücklich, gib mir Pinsel, Farbe und eine Leinwand in die Hand!»

Ihre Bilder müssen keinen Tiefgang haben
Was als Zeitvertreib und Hobby während der Pandemie begann, zeigt nachhaltig Wirkung. Zwei Jahre ist es her, seit Agnes Wüthrich in Nussbaumen ausgestellt hat. Seitdem sind mehr Werke entstanden, als ihre Wände zu Hause vertragen. Bei der Wahl der Motive ist sie völlig spontan. Einmal ist es ein faszinierendes Gesicht, das bei ihr hängen bleibt, manchmal ein Tierporträt, das sie nicht mehr loslässt und auf der Leinwand interpretiert werden muss. Ihre Vorlieben liegen bei düsteren und eher monochromen Bildern. Durch verschiedene Malkurse hat sie sich zu mehr Farbe gewagt. Dabei entstanden Bilder, die mosaikähnlich ein Porträt darstellen, oder völlig farbentfremdete Menschen- und Tierköpfe. Letztere sind gewagt mit Neonfarben kombiniert, für noch mehr Lebendigkeit. Ihre Bilder müssen keinen Tiefgang haben und nicht interpretiert werden. Sie müssen aber eine Emotion auslösen, das ist ihr einziger Anspruch.

Einfach nur malen
Die Ausstellung laufe unter keinem Motto, berichtet Wüthrich. «Ich habe bewusst keines gewählt, weil ich intuitiv Sujets beim Malen wähle. Deshalb bezeichne ich mich auch nicht als Künstlerin. Ich will kein Werk schaffen und kein Thema auf die Leinwand bringen. Das wäre mir viel zu anstrengend. Ich will einfach nur malen. Und zwar das, was mich gerade nicht loslässt. Deswegen gibt es so gegensätzliche Bilder wie aggressive Gorillas und Tiger und süsse Mäuschen oder eine Kuh mit Blümchen von mir.» In der aktuellen Ausstellung im Gemeindehaus sieht man rund 50 Werke aus den letzten zwei Jahren, hauptsächlich Porträts und Tierköpfe, auf eine moderne Art gemalt. Bunt und witzig. Die Künstlerin malt grossenteils tagsüber zu Hause im eigenen Atelier. Sie ist zu 60 Prozent berufstätig, und an den restlichen Tagen versucht sie, ihre Pflichten zu Hause so effizient wie möglich zu erledigen, damit sie sich anschliessend mit den Pinseln belohnen darf. Dazu lauscht sie immer Krimihörbüchern. «Ich bekomme zwar manchmal nicht alles mit, aber irgendwie kann ich mir die Geschichte zusammenreimen.»

Kein Action-Painting
Bevor die Künstlerin ein Bild malt, hat sie eine klare Vorstellung davon, wie es sein soll. Manchmal lassen sie Motive nicht mehr in Ruhe, bis sie diese realisiert und umsetzt. Und dann muss alles schnell gehen. Beim Hintergrund sei sie nicht zimperlich, dieser komme stets zuerst. Auf eine blanke weisse Leinwand könne sie nicht malen, da sei sie blockiert. «Und ich zeichne nicht gern vor, aber ohne geht es leider nicht. Dann beginne ich immer mit den dunkelsten Stellen, mit den Augen. Und eigentlich könnte ich dann aufhören – aber der Rest wird dann zum Rahmen für die Augen. Und kommt das Bild dann so heraus, wie ich es mir vorgestellt habe? Ganz klar nein, denn das wäre ja langweilig, als ob man einen Film abspulen würde. Meine Pläne beim Malen sind dafür da, laufend abgeändert zu werden. Hier darf ich das, ohne andere Personen zur Verzweiflung zu bringen.» Die kreative Obersiggenthalerin übermalt auch Bilder, weil sie ihr nicht mehr gefallen und sie nachträglich Fehler findet. Und diese Fehler lassen sie nicht mehr los. «Ich korrigiere sie dann, und anschliessend übermale ich das ganze Bild, damit ich den Ärger, den ich damit hatte, nicht mehr anschauen muss. Das ist für mich wie ein innerlicher Sieg über das Bild.» Ausserdem mache sie kein Action-Painting, obwohl das sicher lustig wäre. Sie sei eher strukturiert unterwegs, denn sie habe immer einen Plan. Wiederum sei sie auch chaotisch oder eher labil. Wenn Agnes Wüthrich während des Malprozesses eine spontane Idee hat, kann sie sofort von ihrem ursprünglichen Plan abweichen.

Agnes Wüthrich mit ihrem Bild «Waschbär». (Bild: isp)

Kunst – selbst aktiv und in einer Kommission
«Als Autodidaktin geniesse ich Narrenfreiheit. Inspirieren lasse ich mich von zeitgenössischen Künstlern, Streetart, Popart und durchforste Bildgalerien. Mit Ölfarben, Tusche, aber besonders mit Acrylfarben und Spraydosen experimentiere ich gern», ergänzt die zweifache Mutter. So entstehen Interpretationen von Gesichtern, Tieren und sonstigen Motiven. Und sie malt auf Auftrag und nimmt Anfragen entgegen. Der Kunde oder die Kundin könne Grösse, Farben und Wunschmotiv bestimmen.

Sie setzt sich nicht nur malend mit Kunst auseinander, sie ist auch seit Kurzem zusammen mit Rita Strebel und weiteren Mitgliedern in der Kunst- und Kulturkommission Obersiggenthal tätig. Die Kommission stärkt die Öffentlichkeitsarbeit und die Zusammenarbeit mit den Vereinen, betreut kulturelle Anlässe, organisiert eigene kulturelle Veranstaltungen und bearbeitet Aufträge des Gemeinderats. Agnes Wüthrich und Rita Strebel sind hauptsächlich zuständig für die Ausstellungen im Gemeindehaus. Interessierte dürfen sich also gern bei den beiden melden und bewerben.

Augen müssen leuchten oder ­geheimnisvoll sein
Wenn man sie fragen würde, was sie am liebsten male, sind das klar die ­Augen. «Egal ob beim Menschen oder Tier. Sie müssen leuchten, geheimnisvoll oder einfach nur herzig sein.» Es gebe dieses Sprichwort: Augen sprechen Bände. Wenn man jemanden unkenntlich machen wolle, schwärze man die Augen, sagt die ambitionierte Künstlerin. Die Augen seien ein Hauptmerkmal im Gesicht und verliehen jedem Bild einen Blick in das Innere des Motivs oder der Seele des Bilds. Stimmten die Augen und der Ausdruck nicht, könne man gleich aufhören zu malen. Das ist besonders bei einem Bild von Audrey Hepburn passiert, wo Agnes Wüthrich sich sogar eine Schablone gemacht hat, um die Augen genau wie im Original zu malen. Es passte einfach nicht. Sie musste Audrey Hepburns Augen von einer anderen Fotografie einsetzen. Stimmen die Augen nicht und ziehen sie den Betrachter nicht in den Bann, wird das Bild kurzerhand übermalt. So gibt es buchstäblich hinter manchem Bild ein verstecktes Geheimnis», verrät die Künstlerin. Diese Geheimnisse lüftete Agnes Wüthrich, die unter dem Künstlernamen Artekuniberta malt, an der Vernissage letzten Sonntag im Gemeindehaus Obersiggenthal.