Es war an einem Frühlingstag vor 44 Jahren. Die damalige Detailhandelsangestellte Yolanda Müller war unterwegs zur Post am Cordulaplatz. Pino Oliverio, der in Zürich eine Modefachschule besuchte, stand vor dem Spielsalon, in dem er sich als Aufsicht ein Zubrot zu seinem Studium verdiente. «Es war Liebe auf den ersten Blick», sagt sie, und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Die innige Verbundenheit, die zwischen dem Paar sofort entstand, ist vor allem auf eine in vielen Zügen ähnliche Biografie zurückzuführen. Sie verbrachte ihre Kindheit mit zwei Brüdern und einer Schwester in San Sebastian, der Hauptstadt des spanischen Baskenlands; er wuchs mit drei Schwestern in einem kalabrischen Bergdorf in einfachen Verhältnissen auf. Beide Familien wanderten wegen der schlechten Wirtschaftslage in ihrer Heimat in die Schweiz aus. «Wir mussten uns in frühester Jugend in eine neue Lebenswelt mit einer fremden Sprache integrieren», erzählt Yolanda Oliverio. Obwohl sie beide ihre Muttersprachen noch fliessend beherrschen, sprechen sie zusammen Schweizerdeutsch.
Die Anfänge
«Meine Eltern wünschten sich für mich einen respektablen Beruf wie beispielsweise Polizist oder Lehrer», erinnert sich Pino Oliverio. Doch er war in seiner Jugend ein Rebell und lehnte sich gegen Konventionen auf. DJ wäre für ihn eine Option gewesen, denn es war die Zeit von «Saturday Night Fever», und die Discowelle schwappte aus den USA nach Europa. Weil ihn Modedesign schon immer fasziniert hatte, entschied er sich jedoch, in der Schweiz eine Schneiderlehre anzugehen. Dann stiess er auf eine private Modeschule in Zürich, bestand dort die Aufnahmeprüfung mit Bravour und legte damit den Grundstein zu seiner Karriere als Fashiondesigner, die mittlerweile seit über 40 Jahren andauert.
Ein Stil wie kein anderer
Die Handschrift von Pino Oliverios Kollektionen ist unverkennbar. Seine Damen- und Herrenmode ist durch einen eklektischen Stil gekennzeichnet, der Ethnoelemente mit einer Prise Glamour verbindet. Die einzelnen Teile kommen in einem oft eigenwilligen Material- und Mustermix daher. Der Designer liebt es, verschiedene Stoffe mit speziellen Prints zu vereinen. Die Schnitte sind im Gegensatz dazu klar und minimalistisch. Bequem und tragbar sollen die Kreationen sein und trotzdem aussergewöhnlich und unverkennbar. Nachhaltigkeit war für ihn schon ein Thema, als hier noch niemand darüber sprach. Früh begann er, bestehende Kleidungsstücke zu dekonstruieren, und wertete sie mit neuen Elementen, Stoffen und anders gesetzten Nähten auf. Seine Designsprache war in Baden einzigartig und zieht sich bis heute durch seine Kollektionen, die er in kleiner Stückzahl anfertigen lässt.
Beständig in der Veränderung
Seine Anfänge machte der Modeexperte in der ersten gemeinsamen Wohnung in Baden-Dättwil, wo er in den frühen Achtzigerjahren massgeschneiderte Couture für seine Klientel anfertigte. Damit kam er gut an. Bald konnte er sein eigenes Atelier im Müller-Bräu-Areal eröffnen und zog später damit ins Hemmi-Haus an der Stadtturmstrasse. 1989 gründeten Pino und Yolanda Oliverio dort offiziell ihr Label Oliverio Fashion & Interior Design. Im selben Jahr wurde ihre einzige Tochter geboren. Und egal wie hektisch der Geschäftsalltag auch war, ihnen war es als Eltern stets wichtig, für ihr Kind da zu sein und die Mahlzeiten gemeinsam am Familientisch einzunehmen. 1992 zogen sie mit ihrem Geschäft an den Cordulaplatz um. Ein Jahr später gewann das Label Oliverio den renommierten Schweizerischen Modepreis «Prix Bolero» für seine aussergewöhnlichen Kollektionen, die der Modemacher nicht mehr im Alleingang herstellen konnte, sondern im Tessin und später von einem kleinen italienischen Familienbetrieb produzieren liess.
Glückliche Fügung
Der über drei Jahre dauernde Umbau des Schulhausplatzes und Covid verursachten beim Paar eine gewisse Ermüdung. «Wir hatten frischen Wind nötig», sagt Yolanda Oliverio, die im Fashionbetrieb die administrativen Fäden zieht und sich im Verkauf engagiert. Eine glückliche Fügung des Schicksals war, dass Hanni Malcotsis ihren Galeriebetrieb Anixis im ehemaligen Bahnhof Oberstadt reduzieren wollte und einen Mieter suchte, der die Räumlichkeiten mit ihr teilte. Im September 2021 sind sie dort eingezogen und mit der neuen Situation glücklich. Die Symbiose von Kunst- und Modebetrieb unter einem Dach ist in Baden bis anhin einzigartig. Die Mode von Oliverio Fashion & Interior Design ist es nach wie vor auch. Yolanda und Pino Oliverio sind in ihren Sechzigern und behaupten sich trotz dem zunehmenden Onlinehandel und wirtschaftlichen Ups und Downs bis heute im schnelllebigen Modebusiness. Sie wollen mit ihren Kollektionen zudem künftig an hochwertigen Stoffen und sorgfältigem Schneiderhandwerk festhalten. «Die Herstellung kostet viel Geld, und wir gehen jede Saison von Neuem ein Risiko ein», bekundet er. Und sie fügt hinzu: «Reich werden wir von unserem Geschäft nicht. Aber ein eigenes Modelabel zu führen, ist und bleibt eben unsere ganz grosse Leidenschaft.» Am 7. September laden sie ihre Kundschaft und ihre Freunde zum 35-Jahr-Jubiläum von Oliverio Fashion & Interior Design an der Oberstadtstrasse 10 in Baden ein, das sie mit einem Fest inklusive Fashion-Show feiern wollen.