Auf in die wenig bekannte Nachbarschaft

Velofahrenden fielen vielleicht schon die Schilder der Route 77 auf. Ein freier Mitarbeiter ist dem Weg gefolgt und hat wundersame Orte entdeckt.
Veloreporter Christian Roth im Landstädtchen Neunkirch. (Bild: zVg | Lea Meier)

Sicher ein paar Tausend Mal bin ich schon an den Wegweisern der Veloroute 77 vorbeigefahren, weil dieser Veloweg meinen Wohnort Würenlingen von Brugg her kommend in Richtung Surbtal durchquert. Kürzlich bin ich ihm endlich einmal etwas weiter gefolgt. Über das Ruckfeld geht es – auf dem Schulweg der Würenlinger Bezirksschüler – nach Endingen. Dort lockt im Moment gerade die frisch renovierte Badi, die dank Fernwärme auch bei kühlerer Witterung angenehme Badetemperaturen verspricht. Die Besichtigung des «wundersamen Ortes» Endingen mit Synagoge und alten Dorfhäusern lasse ich aus, weil auf der Strecke noch mehr Sehenswürdigkeiten warten.

Bergpreise Zurziberg und Bechtersbohl
Nachdem der Zurziberg erklommen ist, geniesse ich die rasante Abfahrt, die ich aber – wegen der neuen Ampel am Ortseingang – rechtzeitig abbremsen muss. Auch Bad Zurzach ist natürlich eine Besichtigung wert und bietet am Samstagmorgen ausserdem einen schönen Markt beim Verenamünster. Ich fahre gleich weiter Richtung Rheinbrücke, die mich ins deutsche Rheinheim bringt. Ist das durch Verkehr von Pendlern und Einkaufstouristen geplagte Dorf durchquert, lasse ich die Aldi-Filiale am Dorfrand rechts liegen und kann auf einem schönen Veloweg nach Dangstetten weiterfahren. Schon bald beginnt der steile Aufstieg nach Bechtersbohl. Wer auf der Passhöhe oben noch nicht genug ausgepowert ist, kann rechts noch zur Burgruine Küssaberg hinauffahren, die auf 634 Metern über Meer eine gute Aussicht bietet.

Auf der Hauptstrasse fahre ich zwei Haarnadelkurven bergab, bevor der Veloweg nach rechts abzweigt. Bei der Modellfluggruppe Küssaberg, die in meinem Geburtsjahr (1973) gegründet wurde, bewundere ich die Ordnung: Die Piloten dürfen gleich neben der Piste parkieren, damit sie dort ihr Fluggerät ausladen können, die Parkplätze der Gäste sind etwas weiter weg.

Die Route 77 ennet der Grenze: Statt in Rot wie in der Schweiz sind die Velowegweiser in Deutschland grün auf weiss gehalten. (Bild: chr)

Abzweigung nach Hallau
In der Ferne sind jetzt schon Rebberge zu sehen, teils in Deutschland, teils im Kanton Schaffhausen. Der Veloweg folgt dem Bach Klingengraben ins Rebbaudorf Erzingen. Dort geht es über den Zoll zurück in die Schweiz. Am Horizont ist der Randen zu sehen. Wer zur berühmten, von Rebbergen umgebenen Bergkirche von Hallau SH möchte, kann 500 Meter nach der Grenze nach links auf die Klettgauer Wein-Route 751 abzweigen. Ich bleibe auf der Nummer 77 und fahre zum weit weniger bekannten Klettgauer Ort Neunkirch SH. Das Landstädtchen hat vier parallele Gassen. Der markante Obertorturm, die Städtlikirche und ein Rest einer Stadtmauer prägen das Ortsbild. Einige schöne Gasthöfe und Cafés gibt es ebenso wie verschiedene Läden. In den hinteren Gassen ist da und dort zu erkennen, dass hier vor nicht allzulanger Zeit noch Miststöcke standen. Denn lang war Neunkirch landwirtschaftlich geprägt.

Neukirch oder Neunkirch
Zwar gibt es – ausserhalb des Ortskerns – noch eine neuere katholische Kirche und eine reformierte Bergkirche, die Anzahl von neun Kirchen bekommt man aber nicht zusammen. Bei der Ersterwähnung im 9. Jahrhundert wurde Neunkirch als «Niuchilchun», also eigentlich «Neukirch». Erst im Laufe der Geschichte änderte sich der Name auf «Neunkirch»; wahrscheinlich, um Verwechslungen mit Ortschaften namens Neukirch zu vermeiden.

Wundersamer Ort und der grösste Wasserfall Europas
Wie Endingen ist Neunkirch diesen Frühling von Schweiz Tourismus für einen neuen Reiseführer mit «30 wundersamen Ort der Schweiz» ausgewählt worden. Auch Neunkirch ist im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung verzeichnet. Von Neunkirch sind es dann nur noch 13 Kilometer bis zum Endpunkt der Veloroute 77 in Schaffhausen. Zuvor kommt man aber noch bei einem der wichtigsten touristischen Hotspots der Schweiz vorbei, dem Rheinfall in Neuhausen. Am grössten Wasserfall Europas stürzen die Wassermassen des Rheins mit lautem Donnern und Tosen 23 Meter in die Tiefe.

Doch nochmals zurück zur Velotour, die übrigens von Brugg nach Bad Zurzach 20 Kilometer misst, von Bad Zurzach nach Schaffhausen 39 Kilometer. Ab Schaffhausen gibt es gute Bahnverbindungen zurück in den Aargau, via Zürich oder via Waldshut, wo allerdings wegen der Sanierung der Eisenbahnbrücke momentan nur ein Bus nach Koblenz fährt. Um selbst mit dem Velo zurück in den Aargau zu fahren, bietet sich die Rheinroute auf beiden Flussseiten an.