«Wir brauchen einen wachen Geist»

Martin Brügger engagiert sich in der Landschaftskommission Brugg. Im Interview erklärt er, wie Umweltschutz auf bebauten Gebieten funktioniert.
Martin Brügger, «Anwalt» der Natur. (Bild: zVg)

In den letzten Wochen publizierte der «General-Anzeiger» verschiedene Artikel zum Thema Biodiversität (vgl. Box). Dabei kam immer wieder zur Sprache, dass im Siedlungsraum grosses Potenzial zur Verbesserung der Biodiversität besteht. Was es damit auf sich hat, erläutert Martin Brügger im Gespräch. Als Grossrat engagiert er sich in der Kommission Umwelt, Bau, Verkehr und Raumordnung. Neben anderen Ämtern ist er Mitglied des Einwohnerrats Brugg sowie der Landschaftskommission, die den Stadtrat in Anliegen von Natur und Umwelt berät. Von sich selbst sagt er: «Ich bin nicht Biologe, sondern Elek­troingenieur, der aber trotz technischer Ausbildung den Wert der Natur stets vor Augen hat.»

Martin Brügger, mit welchen Themen haben Sie es in der Landwirtschaftskommission Brugg derzeit zu tun?
Es geht um die Pflege der bestehenden Naturschutzflächen, um geeignete Pflegemassnahmen im Allgemeinen sowie um die Vernetzung von Lebensräumen. Mit der Stadt und dem Werkdienst klären wir ab, wie Flächen vielleicht noch besser hinsichtlich Biodiversität optimiert werden können, wo Nistkästen, Fledermauskästen oder Nistmöglichkeiten für Mauersegler sinnvoll wären. Es sind viele kleine Probleme, die sich summieren. Einmal sind es Trockenwiesen, Feuchtgebiete, Tümpel oder Weiher, die verlanden und gepflegt werden müssen, ein andermal Gebiete, die man aufwerten könnte. Oder es geht darum, Ideen umsetzen, welche die Bürgerinnen und Bürger anstossen.

Wie ist die Situation in Brugg? Wird hier schon viel gemacht?
Die Landschaftskommission besteht aus «Anwältinnen» und «Anwälten» der Natur. Wir haben natürlich ständig den Anspruch, dass man mehr machen müsste. Brugg befindet sich in einer besonderen Situation. Hier gibt es kein Ökobüro wie zum Beispiel in Baden oder Aarau, das professionelle Arbeit leisten kann. Gleichzeitig hat Brugg doch eine ziemliche Grösse und mit Schinznach-Bad zusammen eine grosse Fläche, die in Bezug auf den Naturschutz gepflegt werden sollte. Wir sind nicht professionell unterwegs und als Amateure stark gefordert. Es ist wichtig, dass wir Unterstützung von den örtlichen Behörden, dem Werkdienst und dem Forst haben. Das heisst, dass dem Stadtrat bei jeder Planung der Naturschutz ein Anliegen ist.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Vor Jahren wollte man den Unterhag als Siedlungsraum für die Überbauung vorbereiten. Das widerspricht dem Naherholungsgedanken und dem Naturschutz. Mit jedem Quadratmeter, den man neu versiegelt, verschwindet ein Stück Natur. Dieser Obstgarten entlang der Aare konnte schliesslich als Landwirtschaftsland erhalten bleiben, weil wir interveniert haben. Auch das Projekt «Natur findet Stadt» ist ein gutes Beispiel.

Steht also Bauen immer im Gegensatz zum Naturschutz?
Bei solchen Projektideen ist das stetige Wachstum ein Fluch. Überall meint man, die Volkswirtschaft gedeihe nur, wenn man wachse. Wachstum bedeutet aber meistens mehr bauen, seien es Wohnbauten oder In­frastruktur. Das steht immer in Konkurrenz mit den bestehenden Flächen, die noch nicht überbaut sind. Die Menge der neu überbauten Flächen war noch nie so gross wie jetzt gerade. Und das geht stets auf Kosten der Natur. Ich möchte aber nicht jammern. Gerade im Hinblick auf Biodiversität kann man bestehende Flächen aufwerten, indem man auf bereits überbauten Gebieten sinnvolle Strukturen schafft.

Das führt direkt zur Frage nach dem Potenzial für Biodiversität im Siedlungsraum. Worin besteht das konkret?
Es kann sowohl in den privaten Gärten als auch in städtischen Liegenschaften sinnvoll sein, dass man Strukturen für Biodiversität schafft. Struktur bedeutet eine Art intelligente Unordnung. Es geht darum, dass die Natur Nischen findet. Eine Landschaft kann man natürlich zu Tode pflegen, indem man zum Beispiel pflegeleichte Steingärten anlegt. Umgekehrt bedeutet das: Eine naturnahe Fläche braucht immer eine gewisse Pflege, selbst in einer Naturlandschaft. Das ist ebenfalls aufwendig.

Auf den genannten Flächen liegt ein grosses Potenzial brach. Gartenbesitzerinnen und -besitzer kennen das, wenn man den Garten naturnaher gestaltet, lebt es auf einmal mehr.

Wie erschliessen Sie in Brugg dieses Potenzial?
Die Stadt Brugg hat das erwähnte Projekt «Natur findet Stadt» lanciert, ein Beratungsangebot zur Sensibilisierung auf naturnahe Gartengestaltung. Ziel ist es, dass die Bevölkerung das Augenmerk darauf richtet und merkt, dass ein wilderer Garten wertvoller sein kann als ein kurzer Rasen oder ein Steingarten.

Das heisst also Förderung der Artenvielfalt auf ganz anderen Ebenen, als von den Gegnern der Biodiversitätsinitiative befürchtet wird?
Kürzlich hat sich das Pro-Komitee zur Biodiversität geäussert und festgehalten, dass es nicht darum gehe, Landwirtschaftsflächen in Naturschutzzonen umzunutzen, sondern dass man bestehende Flächen optimiere. Hier gibt es im Siedlungsraum grossen Aufholbedarf. Aber ebenso sind im Landwirtschaftsland passende Strukturen nötig. Es wäre ja sinnlos, mitten im besten Ackerland Steinhaufen aufzuschütten oder an Orten, die der Natur nicht viel nützen.

Es braucht intelligenten Naturschutz. Zum Beispiel Ränder, die besser gepflegt werden, oder Stein- und Holzhaufen, wo es für die Natur sinnvoll ist und die gleichzeitig nicht der Landwirtschaft im Weg sind. Solche Massnahmen sind sicher noch nicht überall optimal ausgeschöpft. Es gilt, mit der Natur in Einklang zu kommen – das nützt ausserdem der Landwirtschaft. Ohne die Natur läuft nichts: keine Befruchtung der Kulturen und keine natürlichen Feinde von Schädlingen.

Ein viel zitiertes Problem im Siedlungsraum sind versiegelte Flächen.
Vielerorts wird Regenwasser noch über die Dächer in die Kanalisation abgeführt. Dabei wäre es besser, Flächen zu entsiegeln und natürlich zu vernässen. Das Stichwort lautet Schwammstadt. Hier gibt es einiges zu tun. Denn die aktuellen Entwässerungspläne sind nicht auf dieses Thema ausgerichtet.

Sind diese Zusammenhänge zu wenig im Bewusstsein der Leute?
Nehmen wir zum Beispiel Bäume. Es gibt Menschen, die sich am Laub stören, aber Bäume sorgen für Schatten, für eine höhere Biodiversität und haben auf das lokale Klima einen kühlenden Einfluss. Man braucht einen Blick für solche Dinge. Naturschutz ist eine Verbundaufgabe, bei der Bund, Kantone, Gemeinden, örtliche Werkdienste, der Forst und Naturschutzorganisationen zusammenwirken müssen. Man muss die Menschen dafür sensibilisieren. Wenn zum Beispiel ein Gartenarchitekt meint, es sei modern, eine Begrenzung mit Stahlplatten auszuführen, ist ein Bewusstseinswandel notwendig, nämlich dass es für die Natur besser ist, mit Trockensteinmauern zu arbeiten.

Wie sensibilisiert man die Leute für naturnahe Gartengestaltung?
Es gibt viele gute Beispiele, die über die Medien oder Veranstaltungen wie den Tag der offenen Gärten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Hier zeigt sich, dass sich die Vorstellung, was denn ein schöner Garten ist, mit der Zeit wandelt. So zeigen Fernsehsendungen heute vermehrt naturnahe Gärten und heben die Schönheit der Natur hervor.

Schliesslich müssen all diese verschiedenen Lebensräume miteinander vernetzt werden. Wie gelingt das in unserer stark zersiedelten Landschaft?
Wildtierkorridore oder Kleintierdurchlässe sind Möglichkeiten, um diese Vernetzung herzustellen. Wenn eine neue Strasse geplant wird und eine Landschaftskommission involviert ist, wird sie natürlich intervenieren und solche Korridore und Durchlässe fordern. Das bedingt, dass die Kommission rechtzeitig involviert ist. Wir müssen also aktiv sein und überall hinschauen, das Augenmerk auf sensible Punkte richten. Das ist anspruchsvoll und manchmal etwas ermüdend. Es wurde aber schon viel verbessert. So erwartet man heutzutage von Planerinnen und Planern, dass sie professionell arbeiten und Naturschutzaspekte einbeziehen.

In der Vergangenheit wurde viel zerstört. Man hat Feuchtgebiete trocken gelegt, Hochmoore abgegraben, die Aare kanalisiert. Das zerstörte viele Lebensräume. Wenn heute die Landwirtschaft die Natur beinahe schon als Konkurrenz versteht, ist das tragisch. Denn die Landwirtschaft kann ohne Natur nicht produzieren. Mir schwebt eine Einheit vor, bei der man Lösungen findet, die gleichzeitig für den Menschen wie für die Natur am besten sind. Das braucht eine hohe Achtung und Sensibilität. Vor allem für landwirtschaftliche Güter aus lokaler, saisonaler Produktion, die für den Endkunden nun mal etwas teurer sind als Billigimporte aus dem Ausland.

Sehen Sie schon eine Entwicklung hin zu mehr Naturschutz?
Der Kanton hat eine Strategie aufgrund von Sensibilisierung und politischen Vorstössen entwickelt. Es geht darum, dass er seine eigenen Gebiete naturnah pflegt und bei neuen Planungen darauf achtet, dass Biodiversität ein Thema ist. Das ist ein kleiner Lichtblick. Auch eine kantonale Wasserstrategie und die Richtplananpassung hinsichtlich Naturschutzgebiete sind in Bearbeitung, aber gratis passiert das nicht. Stets benötigt es Menschen in der Politik und den Kommissionen, denen der Naturschutz nicht egal ist. Wir brauchen immer einen wachen Geist, weil es genügend Kräfte gibt, die glauben, die Zukunft unseres Landes seien eine noch grössere Mobilität, noch mehr Parkplätze und noch mehr Bequemlichkeit. Es kann nicht die Zukunft sein, dass wir für kommende Generationen alles verbauen.