China gewinnt in einer zunehmend multipolaren Welt ständig an Bedeutung und Einfluss. Das hat auch Auswirkungen auf die Beziehungen der Schweiz zu dem asiatischen Land, in dem heute über 1,4 Milliarden Menschen leben. Ein neues Buch zu diesem Thema ist gestern erschienen. In «China und die Schweiz – von den Opiumkriegen bis zur neuen Seidenstrasse» erkunden die beiden Autoren Ariane Knüsel und Ralph Weber die Geschichte der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen zwischen der Schweiz und China. Anhand von zahlreichen Archivdokumenten und Augenzeugeninterviews zeichnet das Buch ein Bild der Erfahrungen und Begebenheiten, die zur Wahrnehmung der Schweiz beziehungsweise Chinas im jeweils anderen Land beigetragen haben. Das Buch liefert nicht nur Anekdoten, wie beispielsweise die Geschichte von August Hofmeister, der im Zweiten Weltkrieg chinesische Bedienstete vor den Japanern schützte (S. 67–68), sondern hilft, die aktuellen Beziehungen zwischen der Schweiz und China besser zu verstehen. So wird beispielsweise erklärt, weshalb China so aggressiv auf ausländische «Einmischungen» reagiert und wieso Menschenrechte und Pressefreiheit sowie diverse historische Ereignisse in China Tabuthemen sind.
Ralph Weber ist Professor am Europainstitut der Universität Basel, Dozent für European Global Studies und auf China spezialisiert. Die Historikerin Ariane Knüsel erforscht die Geschichte Chinas im Auftrag als Privatdozentin für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg schon seit Jahrzehnten. Sie wohnt mit ihrer Familie in Schinznach-Bad und unterrichtet neben ihrer Forschungstätigkeit Geschichte an der Kantonsschule Baden. Wie kam es zu dem Buchprojekt, das mit seiner Publikation seinen krönenden Abschluss fand? «Ich habe bereits meine Habilitation zum Thema Schweiz und China verfasst, allerdings auf Englisch», erklärt Ariane Knüsel. «Weil es in der Schweiz kein Buch zu diesem Thema gab, kam mir die Idee, aus der Arbeit ein Buch in deutscher Sprache zu machen.» Auch Ralph Weber plante seit längerer Zeit, ein Buch über die Beziehungen zwischen der Schweiz und China zu schreiben. So entschlossen sich die beiden, ihre Bemühungen zu bündeln. «Das war eine tolle Entscheidung», meint die Historikerin rückblickend. Weil sie sich intensiv mit der Geschichte Chinas befasst hat und Ralph Weber ein Experte für das zeitgenössische China ist, haben sich ihre Erfahrungen perfekt ergänzt. Aufgrund der langjährigen Forschungsarbeit der beiden Autoren nahm das Schreiben des 352-seitigen Buches nur etwas mehr als ein Jahr ein Anspruch – neben allen anderen Verpflichtungen, versteht sich.
Eine Frage der Haltung
Neben den Geschichten von Schweizer Uhrmachern, Missionaren und Handelsbeauftragten in China finden sich in dem neuen Buch zwei Bildstrecken. «Das freut mich besonders», gesteht Ariane Knüsel. «Wir zeigen dort sehr viele Bilder, die zuvor noch nirgends publiziert wurden.» Die Bilder erlauben einen Einblick in das Leben von Schweizern in China und von Chinesen in der Schweiz im Laufe der Jahrhunderte.
Dass es in der Beziehung zwischen zwei kulturell so unterschiedlichen Ländern wie der Schweiz und China manchmal zu Spannungen kommt, liegt auf der Hand und läst sich kaum vermeiden. Schweizer, die im Namen ausländischer Mächte an der wirtschaftlichen Ausbeutung Chinas zur Zeit der Kolonialisierung beteiligt waren, sorgten in China für Unmut, während die in jüngerer Zeit immer wieder auch in der Schweiz auftretenden Fälle von Wirtschaftsspionage von chinesischen Personen und Unternehmen hierzulande sauer aufstossen. «Seit den 1950er-Jahren gibt es in der Schweiz Hunderte, wenn nicht Tausende solcher Fälle. Das ist ein Thema, mit dem sich die Schweiz und andere Nationen bis heute beschäftigen», weiss Ariane Knüsel.
Die Frage nach dem Umgang der Schweiz mit China, wo ganz andere Vorstellungen von der Bedeutung des Individuums, der persönlichen Freiheitsrechte und der politischen Partizipation herrschen als hierzulande, wird zunehmend drängender. Auch damit befasst sich das Buch und zeigt auf, dass die Schweiz sich zwar im Grundsatz die Haltung der westlichen Staaten, allen voran der USA, gegenüber China zu eigen macht, sich aber unter Berufung auf die Neutralität bisher standhaft geweigert hat, die von westlichen Staaten initiierten Sanktionen gegen China mitzutragen und zu übernehmen. So beispielsweise in den 1950er-Jahren während des Koreakrieges oder 1989 nach dem Tiananmen-Massaker.
Grundproblem Unwissenheit
Für und Wider des aktuellen Kurses westlicher Staaten und der Schweiz gegenüber China abzuwägen und die Rolle Chinas in der Welt richtig einzuordnen, wird mit der zunehmenden Bedeutung Chinas immer wichtiger werden. Um das zu tun, fehlt es in der Schweiz derzeit am nötigen historischen und kulturellen Verständnis für das asiatische Land. Da China im Speziellen und Asien generell in den Schweizer Lehrplänen und im Lehrangebot der meisten Universitäten nur sehr wenig Raum einnehmen, wird sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern. «Es gibt heute zu wenige Menschen in der Schweiz, die sich mit China auskennen und sich mit dem Land beschäftigen», bemängelt Ariane Knüsel, die zusammen mit Ralph Weber zu den wenigen zeitgenössischen Schweizer Experten auf dem Gebiet zählt.
Mit ihrem neuen Buch, dass sich ebenfalls für Studierende eignet, sich aber primär an ein breiteres Publikum ausserhalb der Universitäten richtet, wollen Knüsel und Weber dazu beitragen, dass China in der Schweiz künftig mehr beachtet und irgendwann besser verstanden wird. Das Buch ist beim Badener Verlag Hier und Jetzt erschienen und erhältlich. Ausserdem wird das Buch am 24. September, 19.30 Uhr, im Rahmen von «Baden liest» in der Villa Boveri vorgestellt.