Der zehnte Industry-Day am Festival Fantoche vereint die nationale und internationale Animationsszene, will mit Referaten, Podiumsgesprächen und Workshops Einblick in die aktuellen Entwicklungen in der Trickfilmindustrie bieten sowie Denkanstösse liefern. Der Badener Ramon Arango erzählt im Artist-Talk über seine Kinderzeichnungen, das Animationsstudium in Luzern, den Pixar-Blockbuster «Toy Story 4» und mehr.
Eine Woche vor dem Beginn des Festivals konnte die «Rundschau» den renommiertesten regionalen Vertreter am Festival Fantoche noch nicht in seiner Geburtsstadt treffen, sondern ihn nur per Zoom interviewen. Weil er an «Toy Story 5» arbeitet, der 2026 in die Kinos kommen soll? «Nein, momentan bin ich in Göteborg, wo ich mit meiner schwedischen Partnerin den Sommer genossen und eine kreative Auszeit genommen habe», verrät Arango gut gelaunt. Und, dass er auf der Suche nach einem neuen Job ist. Wenn die vielversprechenden Gespräche mit dem spanischen Studio Skydance zu einem Happy End führen, wird das Paar nach Madrid ziehen. Eine erneute Mitarbeit bei der Fortsetzung von «Toy Story 4», der weltweit eine Milliarde Dollar eingespielt hat, ist unwahrscheinlich. «Meines Wissens hat Pixar keinen Ableger in Europa, und Arbeitsvisa für die USA sind nur schwer zu bekommen.»
Paradiesischer Pixar-Campus
Vor fünf Jahren war Arangos Situation noch eine andere. Er hatte gerade den Bachelor in Animation an der Hochschule Luzern gemacht und konnte danach bei Pixar in San Francisco ein zwölfwöchiges Praktikum absolvieren, da für solche weniger strenge Bestimmungen gelten. «Die Studios stehen in einem Park mit Blumen, Schmetterlingen, einem kleinen Amphitheater, Salzwasserpool, Gym und Beachvolleyballfeld», erzählt Arango. «Wenn man diesen paradiesischen Campus verlässt, befindet man sich jedoch in einem heruntergekommenen Quartier, in dem es sehr viele Obdachlose gibt. Als ich einmal bei Pixar erwähnte, dass ich von meinem Appartement zu Fuss zur Arbeit ginge, hielten sie mich für lebensmüde. Schliesslich hat das benachbarte Oakland die höchste Mordrate der USA.»
Erschreckend fand der damals zwölfjährige Ramon auch eine Szene im bahnbrechenden ersten «Toy Story»-Film, in der der Nachbarsjunge ein Spielzeug auseinandernahm, wieder zusammenbaute und es so zum Babykopf mit Spinnenbeinen mutierte. Die Computeranimation begann ihn trotzdem zu faszinieren. Die Kunstlehrerin am Gymnasium führte ihn dann in die 3-D-Technologie ein, doch glaubte er nicht, dass Animator zu seinem Beruf werden könnte. So studierte der Sohn eines Ingenieurs an der ETH zwei Semester Materialwissenschaften, ehe ihm das Fach doch zu abstrakt wurde und er herausfand, dass an der Hochschule Luzern Animation gelehrt wird. «Ich lernte in diesem Studium, alle Funktionen zu beherrschen, die in grösseren Filmproduktionen Spezialisten übernehmen», erklärt Arango. «Einer modelliert die Figur im dreidimensionalen Raum, ein Texturkünstler definiert die Farben und Oberflächen, und ein Rigging-Artist setzt ihr das Skelett ein, damit der Animator sie schliesslich intuitiv bewegen kann.»
Bei «Toy Story 4» wirkte Arango massgeblich an der Gestaltung der Spielzeugfigur Duke Kaboom mit. «Als Basis diente die Action-Figur G. I. Joe aus einem früheren ‹Toy Story›-Film», erklärt er. «Ich modellierte sie um, inspiriert von der Charakterzeichnung, die ich als Vorgabe erhielt: die Haare mehr Volumen, eine breitere Nase und etwas weniger Schultern. Leider konnte ich mich erst zum Schluss auch als Rigger einbringen.»
Gut gebrüllt
Mitfilfe von Open-Source-Software schuf Arango schon in seiner Studienzeit humorvolle und dramatische Animationen, die sein Talent zeigten und deshalb gut für sein Portfolio waren. Zu ihnen zählt «Roar» (2017), der einminütige Zeichentrickfilm über die Auseinandersetzung zwischen einem sanften grossen und einem aggressiven kleinen Dinosaurier, der schon an verschiedenen Festivals lief. Seither lebt und arbeitet Arango fast nur noch in Metropolen wie San Francisco, London, Bangkok und Montreal, wo ein Animator gefragt ist und – anders als in der Schweiz, wo keine animierten 3-D-Langfilme gemacht werden – ein Auskommen hat. Obwohl beim Festival Fantoche nicht das grosse Geld winkt, freut er sich, wieder einmal in Baden zu sein und in Wettingen seine Grossmutter zu besuchen.
Der Artist-Talk mit Ramon Arango findet am Freitag, 6. September, im Rahmen des Festivals Fantoche und des Industry-Days um 15.15 Uhr in der Trafo-Halle 36.2 in Baden statt.