Die Brugger Literaturtage sind gerettet

Am Wochenende vom 13. bis 15. September jährten sich im Städtchen an der Aare zum 40. Mal die Brugger Literaturtage.
Gut besuchtes Stadtmuseum . (Bild: sd)

Das Überleben des Kulturanlasses hing am seidenen Faden: Die Literaturkommission bestand vor knapp einem Jahr nur noch aus dem Präsidenten Werner Bänziger, der beschloss, das Zepter zu übergeben. Er schrieb die offenen Stellen aus. Und tatsächlich: Es fand sich ein neues Team rund um den Vorstand von Stefan Brechbühl, Leo Geissmann, Nergis Kablan, Marc Niedermann, Karin Rey und Joris Widmer zusammen, das den Brugger Literaturtagen neues Leben einhauchte (der «General-Anzeiger» berichtete).

In einer Zeit, in der man von audiovisuellem Content aus Instagram, Tiktok oder Podcasts regelrecht übersättigt ist, ist es bewundernswert, dass sich Menschen dennoch die Mühe machen, Autorinnen und Autoren von so weit weg wie Berlin, wo Paula Fürstenberg wohnt, oder Mainz, wo Juan S. Guse arbeitet, oder im Fall von Lukas Bärfuss auch aus Zürich herzubitten und Lesungen an schmucken Orten zu organisieren, in der Hoffnung, dass andere Menschen ihrer Einladung folgen, einen gewissen Weg auf sich nehmen, um erst einmal nur einer fremden Stimme zu lauschen.

Neues Publikum ansprechen
Doch es funktioniert: Die Brugger Literaturtage sind gerettet. Das ist dem Vorstand zu verdanken, der die Literaturtage mit Einfallsreichtum einleitete: Denn eigentlich hatten sie bereits am 1. September während einer Sofalesung in der Brugger Altstadt angefangen, und zwar mit den Lesungen der Autorin Jane Mumford und des Autors Alexander Kamber. Zu den abschliessenden Worten beim Apéro trug Johanna Ruoff mit ihrer Slam-Poetry bei. Auf diese Weise boten die Organisatoren gewissermassen einen Trailer zum Film an, und gleichzeitig gaben sie den Interessierten genügend Zeit, sich auf besagtes Wochenende vorzubereiten, sich zu organisieren, Freunde und Bekannte einzuladen.

Dieses Team weiss nicht nur, wie man einen solchen Anlass organisiert, sondern ebenso, wie man ihn schmackhaft macht. «Wir wollen neues Publikum ansprechen, auch ein jüngeres», erzählte Stefan Brechbühl letzten November dem «General-Anzeiger». Sein Team hat Wort gehalten. An jenem Wochenende fiel nicht nur der junge Autor Andri Bänziger auf, sondern ebenfalls die genauso jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Publikum, sei es der Germanistikstudent, der in sein Notizbuch kritzelte, während Wolfram Lotz las, oder die junge Frau, die aufstand, «Yeah!» rief und mit den Fingern pfiff, als eine Lesung zu Ende ging, so als wäre sie gerade an einem Musikfestival. Und was besonders erfrischend war: dass indessen Kinder zwischen den Zuhörerinnen und Zuhörern trippelten und keineswegs die Lesung störten. Sie brauchten nicht wie in einer Messe stillzusitzen, es wurde ihnen ihr kindlicher Entdeckergeist gegönnt, während sie die Winkel und Säulen des Salzhauses erkundeten. Sie werden mit dem Selbstverständnis aufwachsen, dass Kunst und Literatur dazugehören. Auch das braucht es für neues Leben: Jugend.

Gut besucht
Das literaturinteressierte Publikum bestand nicht nur aus Bruggerinnen und Bruggern, sondern aus Besucherinnen und Besuchern der ganzen Region. Es war bestimmt auch mindestens ein Vertreter aus Wettingen dabei. Man hörte, dass Besucherinnen und Besucher aus Olten angereist waren. Geduldig stand man vor den Türen der Lesungssäle, unterhielt sich, bis sich die Türen des Salzhauses oder des Stadtmuseums öffneten und man Platz nehmen konnte. Und dieser war bei der zweitletzten Lesung knapp: Das Organisationsteam wusste sich zu helfen: Es brachte eilig mehr Stühle, als gerade Lukas Bärfuss auf der Bühne erschien. Es fiel auf, dass fast niemand zum Handy griff, um ein Foto des prominenten Schriftstellers zu machen. Nicht einmal die jüngere Generation. Ihr war klar: Das ist ein Kulturanlass und kein «Event».

Nach Bärfuss’ Lesung, die etwas länger ging, weil das Publikum um eine Zugabe gebeten hatte, schlenderte man hinüber zum Stadtmuseum, das ebenfalls aus allen Nähten platzte. Die jungen Besucherinnen und Besucher überliessen den betagteren die Stühle und versammelten sich stehend um die zwei Kanonen des Museums, teilten sich den Platz auf den Fensterbänken oder setzten sich auf den kalten Fussboden. Andri Bänzigers Dada-Gedichte und Spoken Words wollte man sich nicht entgehen lassen. Und zu Recht. Sein Gedicht, bei dem er sich in ein «Vögeli» einfühlt, das Berndeutsch spricht, rüttelte bei allen «die Synapsen wieder wach», wie es die Moderatorin auf den Punkt brachte.

Apropos Moderatorinnen und Moderatoren: Ihnen ist zu verdanken, dass die Gespräche mit den eingeladenen Gästen nicht abstrakt oder intellektuell wirkten, sondern dass es auch hier um Leben ging, um die Biografien jener, die Literatur schaffen, und nicht um Literaturwissenschaft. So wie beim wortgewandten Andri Bänziger, der lang überlegte, wie er seine Motivation fürs Schreiben in Worte fassen sollte. Man merkte: Hier spricht eine Stimme aus dem Innern – nicht aus dem Off.