Mit der diesjährigen Traubenernte startet bei Baumgartner Weinbau ein neues Kapitel: Nach Ausbildung und Auslandsaufenthalten ist nun auch der zweite Sohn ins Familienweingut eingestiegen. Pünktlich zum Start der Weinlese lancieren die Brüder Noel und Michel Baumgartner ihre erste gemeinsame Weinkreation «Brüderwerk».
Winzer-Schweizer-Meister 2018 und beliebtester Nachwuchswinzer 2021 – die Brüder Michel und Noel Baumgartner haben sich in der Schweizer Weinszene schon früh einen Namen gemacht. Während Noel (30) bereits 2017 beim Familienunternehmen eingestiegen ist, bringt seit diesem Sommer auch Michel (25) seine Erfahrung und Leidenschaft mit ein. Gemeinsam mit ihrer Schwester Danielle (29), die in den Bereichen Marketing, Events und Verkauf unterstützt, wollen die Geschwister die Schweizer Weinwelt bereichern und neue Akzente setzen. «Wir scheinen einiges richtig gemacht zu haben», freuen sich ihre Eltern Lukas und Sandra Baumgartner. «Seit die Kinder klein waren, haben wir sie stets in unseren spannenden Geschäftsalltag eingebunden und so sind sie mit dem Beruf gross geworden. Am schönsten ist, dass wir allen dreien die Begeisterung und das berühmte ‹Feuer› für alles, was mit Wein zu tun hat, weitergeben konnten.» Mit Leidenschaft, Innovationsgeist und einer tiefen Verbundenheit zur Natur und zur Region kultiviert die Familie Baumgartner in fünf Gemeinden über 13 Hektar Reben. Daraus vinifizieren sie sorten- und lagetypische Weine.
Eine neue Generation mit grossen Plänen
Dass die Brüder bereits ein eingespieltes Team sind, zeigt das neueste Produkt in Baumgartners Weinregal. Die Weinserie «Brüderwerk» steht für unkonventionelle und überraschende Weine, die Kreativität und Experimentierfreude vereinen – ein erster Versuch der beiden Jungwinzer, frischen Wind in die Schweizer Weinwelt zu bringen. Die Weinserie verkörpert den Anspruch der Brüder, mutige neue Weine zu produzieren und gleichzeitig Qualität und Tradition des Familienbetriebes zu bewahren.
Letzte Woche hat die intensivste, aber schönste Zeit bei Baumgartner Weinbau begonnen. Während fünf bis sechs Wochen ernten die Baumgartners zusammen mit ihrem Team und zahlreichen Helfenden tagsüber die Trauben im Rebberg. Anschliessend verarbeitet die Familie mit Unterstützung der Mitarbeitenden diese oft bis spät in die Nacht hinein. Wie die diesjährige Ernte ausfallen wird, wird sich im Verlauf der nächsten Wochen zeigen. Noch bevor sie abgeschlossen ist, hat sich die «Rundschau» mit den Jungwinzern unterhalten:
Michel und Noel Baumgartner, berichten Sie doch ein bisschen konkreter vom «Brüderwerk».
Wir streben stets danach, uns weiterzuentwickeln. Unser Vater sagt immer: «Man hat nie ausgelernt». Deshalb ist das Projekt «Brüderwerk» für uns mehr als nur eine Weinserie. Es ermöglicht uns, verschiedene Verfahren auszuprobieren, neue Rebsorten kennenzulernen und Traditionen aus anderen Weinbaugebieten auszuleben. Besonders der letzte Punkt interessiert uns, da wir während unserer Praktika im Elsass, in Neuseeland (Noel), an der Mosel und in Südafrika (Michel) viele wertvolle Erfahrungen gesammelt haben. Unsere Leidenschaft gilt der grossen und vielfältigen Weinwelt.
Sind konkrete Projekte in Planung?
Wir haben zahlreiche neue Weinprojekte im Kopf. Uns ist es jedoch wichtig, dass das jeweilige Jahr auch passt, um die entsprechenden Ideen umzusetzen. Daher machen wir uns keinen Druck, jedes Jahr ein neues «Brüderwerk» herauszubringen. Es kann gut sein, dass zwischen zwei «Brüderwerken» zwei oder mehr Jahre liegen oder in einem Jahr gleich zwei Serien erscheinen.
Wie sieht der frische Wind aus, den Sie in die Weinszene bringen wollen?
Einerseits möchten wir innovative Produkte auf den Markt bringen, die aus der Masse hervorstechen. Andererseits legen wir grossen Wert darauf, qualitativ hochwertige Weine zu produzieren und die Tradition unseres Familienweinguts weiterzuführen. Beim ersten «Brüderwerk», dem Chardonnay Orange, war uns zum Beispiel besonders wichtig, dass die Qualität stimmt. Der Wein ist sehr naturbelassen produziert, doch das erfordert nicht weniger Aufmerksamkeit – ein oft vergessener Aspekt.
Zudem möchten wir besondere Weinerlebnisse schaffen. Kundinnen und Kunden, die unser Weingut besuchen, sollen sich später beim Öffnen der Flasche an ein positives Erlebnis erinnern. Ein Wein darf auch einmal das Gesprächsthema am Tisch sein und die Neugierde wecken, mehr über uns und unsere Weine zu erfahren und uns persönlich zu besuchen.
Und welche Pläne haben Sie hierzu?
Neue Weinkreationen. In den letzten Jahren haben wir dafür die Sorten Merlot und Lagrein angepflanzt. Lagrein, ursprünglich aus Südtirol, ist in der Deutschschweiz einzigartig, und wir sind stolz darauf, diese Sorte zu bewirtschaften. Die ersten Ernten waren klein, sodass noch nicht alle Kundinnen und Kunden in den Genuss kamen. Wir freuen uns, in Zukunft mehr produzieren zu können und so eine weitere Rarität in der Aargauer Weinszene zu etablieren.
Auch bei unseren Events sind wir stets bestrebt, neue Erlebnisse zu schaffen. Vor einigen Jahren haben wir eine «Walk Through Degustation» durch unseren Weinkeller eingeführt, die bei unserer Kundschaft sehr gut ankommt. Dennoch sind wir überzeugt, dass noch viel ungenutztes Potenzial in unseren Events steckt.
Wie ist es, den Familienbetrieb zu übernehmen, mit dem Sie aufgewachsen sind?
Wir empfinden es als grosse Ehre und sind sehr stolz auf das, was unsere Eltern aufgebaut haben. Dass wir nun beide Vollzeit im Betrieb tätig sind und bei wichtigen Entscheidungen mitreden können, macht uns sehr glücklich. Natürlich bedeutet das auch, gewisse Opfer zu bringen. Wir haben früh gelernt, wie viel Arbeit hinter einem erfolgreichen Familienunternehmen steckt. Doch wir sind bereit, alles zu geben – ganz nach unserem Motto «eine Rebe weiter». Die Arbeit im Weinbau macht uns grossen Spass, und wir freuen uns jeweils, morgens zur Arbeit zu fahren. Das können sicherlich nicht alle von sich behaupten.
Haben Sie dabei völlig freie Hand für Neuerungen und Anpassungen im Betrieb?
Fast. Wir dürfen bereits viel mitentscheiden und haben die Möglichkeit, neue Weine zu kreieren und ins Sortiment aufzunehmen. Allerdings müssen unsere Vorschläge immer durchdacht und gut begründet sein. Es wird in mehreren Runden diskutiert, bis eine Entscheidung getroffen wird. Gleichzeitig soll das Sortiment nicht zu breit werden, weshalb für jede Neuerung auch Altes weichen muss – was nicht immer einfach ist. Unsere Eltern haben viele Produkte über Jahre hinweg etabliert, sodass es ihnen oft schwerfällt, sich von ihnen zu trennen. Dennoch teilen wir ihre Philosophie und möchten das Grundsortiment nicht grundlegend verändern.
Ist es schwierig, in die Fussstapfen der Eltern zu treten?
Grundsätzlich nicht. Wir haben eine ähnliche Philosophie wie unsere Eltern und möchten ihr Werk weiterführen. Deshalb müssen wir nicht aus ihrem Schatten treten, sondern profitieren vielmehr von ihrem umfangreichen Netzwerk. Da wir schon früh bei Events und Degustationen mitgeholfen haben und durch unsere Erfolge als Winzer bekannt sind, kennen uns die meisten Kundinnen und Kunden bereits. Unser Weingut ist als Familienbetrieb bekannt, und wir leben das auch so aus.
Wie verpflichtend für die eigene Berufswahl ist es, wenn man in einem Familienbetrieb aufwächst?
Michel Baumgartner: Gar nicht. Noel hat sich zunächst anders orientiert und eine Ausbildung als Zimmermann gemacht. Erst nach dem erfolgreichen Abschluss als Zimmermann absolvierte er dann eine Zweitausbildung als Winzer. Heute stellt Noel aus alten Barriques Möbel her und bleibt so gelegentlich mit dem Holz in Kontakt.
Noel Baumgartner: Für Michel war schon als kleiner Junge klar, dass er Winzer werden möchte – so klar, dass unsere Mutter ihn sogar einmal zum Berufsberater mitnahm, um ihm zu zeigen, welche Berufe es sonst noch gibt.
Danielle hatte ebenfalls freie Wahl und entschied sich für eine Ausbildung zur Kauffrau, gefolgt von der Hotelfachschule. Später machte sie eine Weiterbildung im Marketing und arbeitet heute ebenfalls Teilzeit im Familienbetrieb, wo sie hervorragende Events plant und innovatives Marketing betreibt. Für unsere Eltern war es immer wichtig, dass wir wissen, dass wir einen anderen Beruf lernen dürfen.