Am 31. März 1937, abends um halb zehn Uhr, erhöhte sich mit der Geburt von Günther Huber die Einwohnerzahl von Neckartailfingen in Baden-Württemberg von 960 auf 961. Bei diesen Wurzeln beginnt die verschriftlichte Biografie des heute 87-Jährigen. Sie entführt die Lesenden über rund 250 Seiten vom Deutschland der Kriegsjahre nach Kanada, nimmt einen mit auf erlebnisreiche Autofahrten quer durch Nordamerika und Mexiko und gibt Einblick ins Eheleben in Chicago. «Es war ein wunderbarer Herbstabend. Die Maschine stieg in einen wolkenlosen Himmel. Chicagos Skyline verschwand im Dunst. Wehmut stieg in mir auf. Wieder ein Abschied und bohrende Gedanken – Deutschland hast du verlassen, Kanada auch und jetzt die USA. Was erwartet dich in der Schweiz?» Mit diesen Zeilen über das Erleben des 21. Septembers 1968 schliesst das Buch «Umweg über Amerika».
Erst Schlosser und später Schreibender
Günther Huber sitzt am Esstisch im Terrassenhaus in Untersiggenthal und meint lachend: «Ich war ein Vagabund.» Die Frage, was ihn denn damals in der Schweiz erwartete, stimmt ihn nachdenklich: «Die Familie meiner Frau nahm mich sehr offenherzig auf. Sonst aber wurde uns Deutschen misstrauisch begegnet. Ich habe darunter gelitten.» Nichtsdestotrotz schufen sich Günther Huber und seine Frau Margrit – eine Aargauerin, die er in Übersee kennen und lieben gelernt hatte – hierzulade rasch einen Freundeskreis. Als der gelernte Schlosser kurz vor der Pensionierung stand, meldete ihn seine Gattin zum Mitmachen bei einer Schreibwerkstatt in Zürich an. Noch immer besucht er diese einmal im Monat. «Das ist für mich unverzichtbar.» Ein weiterer Fixpunkt ist das Turnen am Freitagabend, «inklusive des Ausklingens im Restaurant Löwen», bemerkt er verschmitzt.
Huber ist ein geselliger Mensch, der auf Spaziergängen auch gerne Unbekannte anspricht. «Es ist sehr wichtig, sozial eingebunden zu sein. Ich muss jedoch selber auf andere Menschen zugehen und vor allem nicht gleich mit ihnen über Krankheiten sprechen wollen.» Diese Haltung sei ein Vermächtnis seiner Frau.
Resilient und selbstbewusst
Margrit Huber verstarb im Mai 2018. Günther Huber erinnert sich: «Eine Leere erfasste mich. Ich wich den Freunden aus, wollte niemandem begegnen. 55 Ehejahre liessen sich nicht einfach wegwischen.» Jahrelang hatte er seine demenziell erkrankte Frau gepflegt. Nun fehlte sowohl die Aufgabe als auch der Mensch, mit dem er den Tag beginnen konnte. Sein Rückzug dauerte fast ein Jahr lang. «Von meiner Familie, den Nachbarn und von den Freunden im Turnverein bekam ich viel Unterstützung und Kraft», blickt der zweifache Vater zurück. «Wichtig war mir, eine neue Struktur aufzubauen. Den Alltag zu planen. Mich auf meine Stärken zu besinnen.» Auch «Umweg über Amerika» entstand in dieser Zeit.
Amerika einst und heute
Obschon einige Bücher im Umlauf sind, war das Werk hauptsächlich für Familie und Freunde gedacht: «Es brauchte Mut, sich so zu öffnen», findet der Autor und gesteht, dass er in jungen Jahren wenig Selbstbewusstsein hatte. Doch durch den Lebensabschnitt in Nordamerika konnte er sich entwickeln. «Alles war neu, anders, tolerant und so frei. In Amerika lebten Margrit und ich das Leben, das wir leben wollten. Das hat mich geprägt.» Hubers kehrten nie mehr zurück in die Staaten, informierten sich aber laufend über das dortige Geschehen. So hat Günther Huber zu den anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA eine klare Meinung: «Ich würde mir wünschen, dass Trump nicht gewählt wird.» Und was würde er mit Blick zurück auf den eigenen Lebensweg einem heute jungen Menschen, wie etwa seinem 14-jährigen Enkel, wünschen? Günther Huber: «Sei mutig, probiere etwas aus, hinterfrage nicht alles, sondern setze mit Vertrauen um, was du fühlst.»