Kleinere Ernte, aber gute Qualität

Langsam geht in unserer ­Region die Weinlese zu Ende. Das Rebjahr 2024 war für die Winzer herausfordernd. Vieles drehte sich ums Wetter.
Die diesjährige Traubenlese braucht flexible Erntehelfer, die wegen des Wetters auch an Wochenenden parat sind, wie auf dem Weingut Hartmann. (Bild: zVg)

Die Weinbauern können sich das Wetter nicht aussuchen, aber sie sind von ihm abhängig. Vom Austrieb der Reben im Frühjahr bis zur Traubenernte im Herbst ist vieles möglich: Frost, Hagel, Nässe, Pilzbefall und Schädlinge wie die aus Südostasien eingeschleppte Kirschessigfliege. Für die Winzer war das Rebjahr 2024 eine grosse Herausforderung. Das Resultat offenbart sich dieser Tage: Die Traubenernte fällt mengenmässig unterdurchschnittlich aus, wie sieben Weinbaubetriebe in unserer Region bestätigen. Doch die Aussichten auf eine gute Weinqualität sind intakt.

Herausforderndes Rebjahr
Wegen des warmen Winter-Frühling-Übergangs trieben die Reben bereits im März aus. Sie büssten den Vegetationsvorsprung vereinzelt mit Frostschäden. Der Mai war nass. Feuchtes Wetter beeinträchtigte sodann den wichtigen Rebenblühet: Es wurden weniger Beeren befruchtet, die Trauben verrieselten. Viel Niederschlag prägte auch den Sommer – bis zu einer kurzen Hitzeperiode im August. Jungreben benötigten keine zusätzliche Bewässerung. Stattdessen waren die Winzer bei der wüchsigen Witterung ständig mit Laubarbeit beschäftigt, damit die Pflanzen ihre Kraft nicht nur in das Wachstum steckten.

Das Wetter begünstigte die Ausbreitung von Pilzkrankheiten. Im Rebbau sind der Echte und der Falsche Mehltau gefürchtet. Sie beschädigen das Blattwerk und beeinträchtigen die Traubenbildung. Dagegen gibt es verschiedene Pflanzenschutzmittel. Dem integrierten Weinbau stehen weit­gehend abbaubare synthetische Fungizide zur Verfügung, während im ­biologischen Weinbau kupfer- und schwefelhaltige Präparate sowie Mischungen aus Backpulver, Seife und Milch einsetzt werden. Zudem pflanzen die Winzer vermehrt pilzwiderstandsfähige Reben, sogenannte Piwi-Sorten.

Lehrgeld bezahlt
Die Winzer in unserer Gegend meisterten die Herausforderungen mit unterschiedlichen Erfahrungen. Der richtig dosierte und zeitgerechte Mitteleinsatz gegen Mehltau spielte eine entscheidende Rolle. Beispielsweise bewährte sich das Rebenspritzen mit Drohnen nicht, weil dabei nur die Blattoberseiten besprüht wurden statt die Unterseiten, wo die Pilzinfektionen anfangen. Die meisten Weinbaubetriebe vom Schenkenbergertal bis ins untere Aaretal erwarten eine um 10 bis 20 Prozent geringere Ernte, was sie aber dank der guten Qualität sowie dem starken letztjährigen Jahrgang für verkraftbar halten.

Hart, mit einem Ertragsausfall von 80 Prozent, trafen die schwierigen Verhältnisse hingegen den biodynamisch geführten Rüfenacher Weinbaubetrieb Hauksson. Er erntet nicht 25 Tonnen Trauben wie in einem normalen Jahr, sondern nur 4 Tonnen. Hoss Hauksson bewirtschaftet rund 4,5 Hektaren Reben in Remigen, Döttingen und Klingnau, einen Teil als Mischkultur mit Obstbäumen, Sträuchern und der Beweidung durch Zwergschafe. Für dieses Agroforst-Experiment bekam er letztes Jahr vom Kanton einen Förderbeitrag. Mit seinen Produktionsmethoden bezahlte er Lehrgeld.  

Piwi-Sorten bewähren sich 
In diesem pilzanfälligen Jahr bewähren sich die resistenten Piwi-Sorten. «Ihre gesunden Trauben können wir jetzt ausreifen lassen», sagt Rebbauer Peter Zimmermann in Oberflachs. ­Judith Schödler in Villigen hält die Piwi-Züchtungen für einen grossen Fortschritt. «Wir mussten diese Reben viel weniger spritzen, und der Ertrag fällt erst noch grösser aus als erwartet», erklärt die Primarlehrerin und Winzerin. Keine Piwi-Reben wachsen hingegen auf dem knapp sechs Hektaren grossen Weingut von Sybille und Peter Büchli in Effingen. Dafür keltern sie die traditionellen Sorten Pinot noir (der zum Aargauer Staatswein 2024 gekürt wurde) und Riesling-Silvaner sowie unter anderem einen in unserer Gegend früher undenkbaren Merlot AOC und Bianco di Merlot. 

Die Weinbaufamilie Baumgartner in Tegerfelden geht den Piwi-Anbau auf ihrem 13 Hektaren grossen Betrieb vorsichtig an. Rebbaulich sei der Schritt richtig, betont Lukas Baumgartner, aber wie er weinsortig – will heissen: mit neuen Geschmacksnoten – bei den Weinkunden ankomme, werde sich weisen. Hier hat der Remiger Weinbauer Bruno Hartmann, der zu den grössten Selbstkelterern und Piwi-Pionieren im Aargau gehört, keine Bedenken. Im Gegenteil: «Neue Aromen finden neue Liebhaber.» Der rote Piwi Cabernet Jura trug dem Weingut am Grand Prix du Vin Suisse 2024 eine Goldmedaille ein. Bruno Hartmann pflanzte heuer zu seinen sechs bisherigen Piwi-Weinen mit dem Satin noir eine siebte pilzwiderstandsfähige Sorte.

Kalte Finger, aber gute Oechsle
Die Weinernte 2024 verläuft schleppend. Die Rebleute müssen flexibel sein und jede Sonnenstunde nutzen. Bruno und Ruth Hartmann boten ihre Erntehelfer dreimal über das Wochenende auf. «Letztes Jahr ernteten wir die Trauben kurzärmlig, heuer frieren wir an die Finger», bemerkt Hans ­Peter Kuhn, Geschäftsführer der Weinbaugenossenschaft Schinznach, die von 25 Traubenlieferanten – der grösste hat acht Hektaren Reben – 120 Tonnen Trauben verarbeitet. Teilweise unterschiedlich reife Trauben machen das Lesen zum Verlesen. Die Wirkung des Mikroklimas, des Zusammenspiels von Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wind und Sonneneinstrahlung, wird dieses Jahr besonders deutlich. 

Die Traubenqualität wird in Oechsle­graden gemessen. Sie geben den Zuckergehalt an, woraus sich die Volumenprozente des künftigen Weins errechnen lassen. Die Winzer in ­unserer Region sind mit den dies­jährigen Werten durchaus zufrieden, was in Anbetracht der Witterung nicht selbstverständlich ist. Lukas Baumgartner spricht von gut bis sehr gut; Judith Schödler berichtet von 96 Oechsle beim Roten; Bruno Hartmann notiert im Mittel 81 Oechsle beim weissen Müller-Thurgau und bis 94 Oechsle beim roten Blauburgunder. Das verspricht keine fettig-schweren, aber fruchtig-frische Weine.