Ab in den Süden: Transit der Zugvögel

Hierzulande wünschen sich manche an kalten Wintertagen in wärmere Gefilde. Für viele Vögel stellt das eine Überlebensstrategie dar.
Staren-Trupps rasten oft kurz auf Strommasten und -leitungen und empfinden dabei keinen Dichtestress. (Bild: bhe)

Im Frühjahr wurde in dieser Rubrik über die Rückkehr der heimischen Brutvögel berichtet. Einige Vogelarten wie die Stare kehrten bereits im Februar aus ihren Überwinterungsgebieten zurück, während andere erst im Laufe des Monats Mai bei uns ankamen – zum Beispiel der Neuntöter. In den Sommermonaten Juni und Juli herrscht praktisch Stillstand an der «Zugfront».

Doch schon ab Ende Juli tauchten die ersten, meist weiter nördlich brütenden Zugvögel wieder auf ihrem Weg in den Süden bei uns auf. Das Zugverhalten der verschiedenen Arten ist so unterschiedlich wie die Vögel selbst. Während die einen an geeigneten Orten längere Rastzeiten einlegen und ihre Energievorräte auffüllen, ziehen andere fast im Nonstop-Flug bis in ihre Überwinterungsgebiete. Der Oktober gilt für die meisten Vogelarten als Hauptzugzeit, in diesem Monat werden die grössten Zahlen an durchziehenden Vögeln regis­triert. Der Herbstzug setzt sich noch bis Anfang Dezember fort.

Die Nahrungsverfügbarkeit ist entscheidend
Die Vögel fliehen nicht in erster Linie vor der Kälte des Winters im Norden, sondern weil ihnen in der kalten Jahreszeit die notwendige Nahrung fehlt oder sie wegen gefrorener Böden und Wasserflächen nicht mehr an ihre gewohnte Nahrung herankommen.

Einer der Zugvögel, die schon sehr früh im Jahr ihren Weg nach Süden antreten, ist der Wespenbussard. Wie der Name verrät, ernährt sich dieser Greifvogel vor allem von den Larven von Wespen und Hummeln, nicht aber von denen von Bienen. Während Altvögel auch mal eine Eidechse, einen Frosch oder Jungvogel verspeisen, werden die Jungvögel ausschliesslich mit dieser Hauptnahrung aufgezogen.

Wespenbussarde brüten in der Schweiz, sind allerdings nicht häufig anzutreffen. Sie kommen jedoch ebenfalls in Nordosteuropa und im südlichen Skandinavien vor, fehlen hingegen weiter im Norden gänzlich. Da Wespenlarven nur im Sommer verfügbar sind, ziehen sie ab Mitte August wieder südwärts. Bei uns sind die meisten Wespenbussarde zwischen Ende August und Anfang September auf dem Zug zu beobachten. Dann sind sie in grösserer Zahl unterwegs und legen den Weg in ihre Winterquartiere südlich der Sahara in relativ kurzer Zeit zurück.

Beeindruckende Vogelschwärme
Der Oktober ist die Zugzeit der meisten Singvögel. An guten Zugtagen können grosse Schwärme von mehreren Hundert Buchfinken und Staren beobachtet werden. Gute Beobachtungsplätze sind oft Passübergänge, wo die Zugvögel «kanalisiert» werden. Ein solcher Platz ist hier in der Region beispielsweise die Staffelegg. Die Vögel ziehen vom Schenkenber­gertal oder vom Fricktal heran, überqueren den Pass oft in niedriger Höhe und setzen dann ihren Zug dem Jurasüdfuss entlang in Richtung Südwesten fort.

(Bild: bhe)

Auch andere Singvögel wie zum Beispiel Feld- und Heidelerchen, Erlenzeisige, Stieglitze, Kernbeisser, verschiedene Meisen-, Schwalben- und Pieperarten und viele mehr ziehen in verschieden grossen Trupps durch und über die Region hinweg. Ein ganz besonderes Beobachtungserlebnis sind die grossen Schwärme von Ringeltauben, die oft «Tausenderstärke» erreichen. Interessanterweise ziehen in diesen Schwärmen meist einige der selteneren Hohltauben mit. Diese unter den Ringeltauben zu erkennen und zu zählen, erfordert entweder ein scharfes Auge oder eine gute Fotoausrüstung.

Apropos Zählen: Versierte Hobbyornithologen belassen es nicht beim Beobachten, sondern zählen die durchziehenden Vögel nach Arten. Diese Daten werden via Ornitho-Portal an die Schweizerische Vogelwarte Sempach übermittelt. In der Regel nimmt der Kleinvogelzug am Nachmittag ab, dafür können dann durchziehende Greifvögel wie Mäusebussarde, Rotmilane, Rohrweihen, Sperber und verschiedene Falkenarten registriert werden. Manchmal zeigen sich seltene Exemplare, wie zum Beispiel ein Fischadler, ein Merlin oder gar ein Schwarzstorch – immer ein ganz spezielles Erlebnis. 

Um den Vogelzug für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen, wurde europaweit der Euro-Birdwatch-Day ins Leben gerufen. Stets am ersten Oktoberwochenende laden verschiedene Sektionen von Birdlife Schweiz zu Veranstaltungen ein, bei denen das Publikum mithilfe von ­Experten Zugvögel beobachten und vieles über den Vogelzug erfahren kann.

Durchziehende Wespenbussarde sind bei uns vor allem Ende August/Anfang September zu beobachten. (Bild: bhe)

Vogelzug im Wandel
Obwohl der Vogelzug alljährlich nach bestimmten Gesetzmässigkeiten abläuft, hat er im Laufe der Jahre gewisse Veränderungen durchgemacht. So haben einige Arten, die einst als strikte Zugvögel galten, ihr Zugverhalten geändert. Bei den Weissstörchen zum Beispiel überwintern immer mehr Vögel in hiesigen Gefilden, sofern sie während des ganzen Winters frostfreie Böden und damit Nahrung in Form von Regenwürmern und Ähnlichem vorfinden. Auch bei den Rotmilanen zieht nur noch ein Teil der Population in den Süden. Und für einige Vögel aus dem Norden und den höheren Gebirgslagen ist das Schweizer Mittelland auf ihrem Zug bereits «der Süden» – doch mehr darüber im nächsten Artikel.