Kommt Rothirsch, kommt Wolf

Gut 50 Naturliebhabende haben in der Kirche Kirchbözberg den Ausführungen des Fachspezialisten Erwin Osterwalder zugehört.
Erwin Osterwalder während seiner spannenden Ausführungen. (Bild: zVg)

Spezies nehmen in der Schweiz zu. Allerdings provoziert der Rothirsch kaum Schlagzeilen, Meister Isegrim hingegen schon. Sinnvoll also, dass der Natur- und Vogelschutzclub Bözberg diesen Infoabend anberaumte. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, wann wir in der Region auf die beiden Arten stossen.

Wo Lebensraum, da Lebensrecht
Nach dieser Devise behandelt die Schweiz grundsätzlich einwandernde Tiere. Das ist nicht selbstverständlich, andere Länder gehen hier rigoroser vor. Gleichzeitig lassen die Verantwortlichen nicht einfach alles laufen: Zeigen sich in der Landwirtschaft und/oder im Wald übermässige Schäden, wird reguliert, meist über die Heger und Pfleger, also die Jägerschaft. Genau im Auge behält man deshalb den aufkommenden Goldschakal und den Waschbären. Vor allem Letzterer ist gekommen, um zu bleiben. Beide richten unter der einheimischen Fauna unliebsame Schäden an. Nicht so der Rothirsch, der zu Vorzeiten flächendeckend bei uns heimisch war. Um 1850 aber galt er als ausgerottet. Seit 1950 wandert er von Osten her langsam wieder zu. Und erstaunt stellt man fest, dass er, nach den Alpen und Voralpen, zunehmend das Mittelland erobert und sich von Lärm und hoher menschlicher Aktivität kaum beeindrucken lässt. Der Cervus elaphus – sein wissenschaftlicher Name – ist ein scheuer Zeitgenosse, lässt sich kaum sichten und ist nachtaktiv. Er durchläuft bei uns meist eine stille Brunft ohne das bekannte Röhren, und die Rudel sind eher klein.

Die Kuh ist die Chefin
Wie bei vielen Tieren führt die Hirschkuh die Herde. Stier, Kuh und Kalb sind nur in der kurzen Brunftzeit – Mitte September bis Mitte Oktober – zusammen, nachher sondert sich Ersterer wieder ab. Die Gattung kann im Winter die Temperatur in den Extremitäten stark senken, während die wesentlichen Organe ihre 37 Grad beibehalten. Wird ein Kalb zu spät geboren oder verliert es im Herbst seine Mutter und überlebt, ist es für den Rest seines Lebens geschwächt. Das Rudel «putzt es weg», lehnt es ab. 

Die A1 stellt für die Besiedlung des nördlichen Kantonsgebiets ein grosses Hindernis dar. Wildwechselbrücken und -unterführungen schaffen Abhilfe, wobei die Rothirsche die Brückenkorridore bevorzugen. Die Stiere als Stirnwaffenträger bilden jährlich ein Geweih aus, das bis zu 16 Kilogramm auf die Waage bringt. Sie selbst können ein stattliches Gewicht von 250 Kilogramm erreichen. Der echte Hirsch gehört zu den Wiederkäuern, und seine Darmzotenlänge und -dichte ändert sich je nach Nahrungsangebot beziehungsweise Jahreszeit. Sie werden etwa 20 Jahre alt. Als Lebensraum lieben die Hirsche parkähnliche Wälder mit Lichtungen. Hier kann man durchaus an den Jura denken.

Wolf ist ein Rothirsch-Folger
Wo der Rothirsch siedelt, kreuzt früher oder später Canis lupus auf. Rothirsche sind eine beliebte Beute des Wolfs. Erwin Osterwalder liess keine Zweifel aufkommen: Der Wolf ist ein potentes Grossraubtier, ein perfekter Jäger mit mächtigem Gebiss. «Gut, dass er nicht weiss, wie stark er ist», meinte er auf die Zuhörerfrage bezüglich eines Aufeinandertreffens zwischen ihm und Mensch. Tatsächlich scheut der Wolf den Menschen. Bis heute ist er in unserer Region Durchzieher und kein Resident, ebenso wenig der Rothirsch. Aber das kann und wird sich wohl ändern. Das Rudel, seine Familie, steht für den Wolf an erster Stelle. Und er ist ein sogenannter Opportunist, er nimmt sich, was ihm vor die Läufe kommt. Täglich benötigt er zwischen 2 und 4 Kilogramm Fleisch. Sein Streifgebiet umfasst bis zu 400 Quadratkilometer, im Kanton wurde er beispielsweise in Möhlin und Hornussen gesichtet. Er ist ein Sprinter und Langstreckenläufer. Er zerbeisst problemlos einen Rothirsch-Oberschenkelknochen, Hunde können das nicht, sie sind ihm auch sonst klar unterlegen. Unsere Vorfahren leisteten einen grossen Aufwand zu seiner Ausrottung – manche Flurnamen beweisen bis heute, dass er früher im Aargau präsent war –, weshalb es in den letzten 100 Jahren kaum mehr Wölfe in der Schweiz gab. Seit 1990 hat sich das geändert, die Tiere infil­trieren von Italien her.

Der Wolf auf dem Vormarsch. (Bild: zVg)

Fluchthemmung
Weil unsere domestizierten Schafe ihren natürlichen Fluchtreflex verloren haben, bleiben sie beim Riss eines Artgenossen oft «dumm» daneben stehen. Der Wolf – der übrigens lieber unter Zäunen hindurchkriecht, als darüber springt – beginnt, weitere Schafe zu immobilisieren, was man Blutrausch nennt. Ein solches Verhalten kollidiert mit dem menschlichen Interesse, weshalb es seitens des Kantons ein ganzes Massnahmenbündel gibt: Information, Weiterbildung, Herdenschutzverantwortliche, Medienarbeit und Weiteres mehr.

Nach der Vermittlung dieses inte­ressanten Wissens dankten die Anwesenden dem Forstingenieur für die Ausführungen, genossen die Stärkung und kehrten zufrieden nach Hause.