Kein Brot für mittelgrosse Bäckerei

Kostensteigerungen und Fachkräftemangel veranlassen die Bäckerei Lehmann, die sich von Grossverteilern abhebt, zur Schliessung.
In die bisherige Filiale der Bäckerei Lehmann an der Zürcherstrasse in Windisch zieht am 1. März Moser’s Backparadies AG aus Baden ein. (Bild: hpw)

Die Nachricht von der Schliessung der Bäckerei Lehmann auf Ende Februar 2025 löste ein kantonsweites Echo aus. Denn der initiative Familienbetrieb blickt auf eine bewegte, aber erfolgreiche 40-jährige Existenz zurück. Aus der Schinznacher Dorfbäckerei entwickelte sich ein KMU mit mehreren Standorten und 26 Beschäftigten. Martin Lehmann, der aus der jahrhundertealten Lindmühle in Birmenstorf stammt, erwarb 1984 die ehemalige Bäckerei von Emil Hartmann-Hiltpold («Müli Miggel»), einem Bäckermeister alter Schule und Schinznacher Dorforiginal. Lehmann pflegte ebenfalls die handwerkliche Backkunst. Seine Stärke war die Brotqualität. Er arbeitete mit langer Teigführung ohne Konservierungsmittel und künstliche Zusatzstoffe und verwendete auch Mehl aus alten Getreidesorten wie Emmer, Dinkel und Einkorn, die zum Teil noch im Schenkenbergertal angebaut werden. 

Im Aufschwung
Der Start gelang. Bereits 1985 eröffnete Martin Lehmann in seiner ­Jugendgemeinde Birmenstorf die erste Filiale. Aus Rentabilitätsgründen schloss sie letzten Frühling, den Verkauf der Backwaren übernahm die Chäs-Hütte nebenan. Lehmann zog sodann 1987 in die früheren Metzgereiräume des Gasthofs Hirschen in Villigen ein. Die Ladenöffnung um 6 Uhr früh schätzten unter anderem Mitarbeitende des Paul-Scherrer-Instituts. 2010 kam der nächste Filialstandort an der Zürcherstrasse in Windisch hinzu. Zuletzt eröffnete die Bäckerei Lehmann 2016 noch im geschlossenen Volg-Laden in Brunegg ein Verkaufsgeschäft mit Café – eine Lösung, an der die Gemeinde sehr interessiert war. Zur Konzentration der Kräfte wurde im gleichen Zug die Präsenz in Villigen aufgegeben.

Das stete Wachstum veranlasste den Inhaber, seine Einzelfirma 2014 in eine Familienaktiengesellschaft umzuwandeln. Zwei Jahre vorher war Tochter Tamara Lehmann in den Betrieb eingetreten. Sie hatte als ausgebildete kaufmännische Reisefachfrau mit Berufsmatur an der Hochschule Luzern Betriebswirtschaft studiert und mit dem Bachelor of Science abgeschlossen. Aus einem grösseren Unternehmen wechselte sie in das überschaubare väterliche Geschäft und übernahm 2020 dessen Leitung. Ein Jahr zuvor war die Bäckerei am Produktionsstandort in Schinznach hart getroffen worden. Eine Mehlstaubexplosion im Abzugsrohr des Backofens breitete sich in die hölzernen Zwischenböden aus, durchbrach die Decke und zerstörte die Backstube und die Bäckerswohnung. 60  Feuerwehrleute standen im Einsatz. Der Sachschaden war bedeutend.

Kreativ, aber kostenträchtig
Im Zuge der Brandsanierung erweiterte die Familie Lehmann die Geschäftsräume und modernisierte die Einrichtungen. Innerhalb einer Woche wurde ein neuer Backofen nach Mass installiert. Mit einer kreativen Produktionsstrategie wurden 13 neue Spezialbrote lanciert und in täglich wechselnder Auswahl angeboten. Zum Beispiel die originell benannten Biovarianten 24er Saures Rüebli, Einkorn, 24er Urdinkel Maggia, Emmer und 24er Hanf wie Heiri, aber ebenso die konventionellen Brotsorten 24er Lehmann Urknebel hell und dunkel, Roggen rein, 24er Saurer Gotthelf sowie 24er Kartoffel-Nuss-Brot. Mit dem manufakturhaft-exzellenten Sortiment hob sich die Bäckerei Lehmann von industrieähnlicher Massenproduktion ab.

Aber die Brote mit Urgetreide mussten einen höheren Preis haben, weil zum Beispiel 100 Kilogramm Einkornmehl um ein Mehrfaches teurer sind als 100 Kilogramm Weizenmehl. Die Corona-Pandemiezeit 2020/2021 tangierte die Bäckerei Lehmann nicht nur umsatz-, sondern auch kostenmässig. Die Rohstoffe und vieles andere verteuerten sich. Ab 2022 trieb der Ukrainekrieg zusätzlich die ­Energiekosten in die Höhe. Der offene Strommarkt zeigte extreme Schwan-kungen. So konnten die Monatsrechnungen für Strom am Standort Schinznach von 1500, 1800 bis 10 000 Franken variieren. In der Filiale Windisch verdoppelten sich die Strompreise zeitweise. Das habe man nicht einfach auf Brote, Gipfeli und Sandwiches schlagen können, bestätigt Tamara Lehmann. Sie steuerte ihren Betrieb jedoch ohne staatliche Unterstützung durch die Corona- und die Energiekrise.

Ungenügende Gewinnaussichten
Wie andere Branchen kämpft das Bäckereigewerbe mit dem Fachkräftemangel. Vor allem dort, wo eine handwerkliche Fertigung statt Fliessbandproduktion betrieben wird, benötigt es fachtüchtiges Personal. Zudem verlangt das Geschäftsmodell einer Bäckerei-Konditorei-Cafeteria von den Mitarbeitenden die Akzeptanz anderer Arbeitszeiten als im üblichen Tagesrhythmus. So ist in der Lehmann-Backstube in Schinznach um 1.30 Uhr morgens Arbeitsbeginn. Auch die Bäckereifilialen sind um 6 Uhr offen, um die Frühkunden auf ihrem Weg zur Arbeit abzuholen. Für Gipfeli und Weggli gilt das Gleiche wie für Tageszeitungen: je früher und frischer am Morgen, desto besser.

Durch die Anschaffung einer neuen Maschine sparte die Bäckerei Lehmann eine Mitarbeiterstelle ein. Bei dieser Betriebsgrösse und der Ausrichtung auf die handwerkliche Produktion seien die Rationalisierungs- und Kosteneinsparungsmöglichkeiten aber begrenzt, sagt Tamara Lehmann. Als Betriebswirtschafterin war ihr klar, dass die langfristige Existenzsicherung des Unternehmens das Erwirtschaften von genügend Gewinn bedingt. Weil diese Perspektive nicht gegeben war und um eine notfallmässige Betriebsauflösung mit nicht mehr erfüllbaren Guthaben zu verhindern, zog sie rechtzeitig die Reissleine. Der Entscheid sei ihr schwergefallen, vor allem wegen der Belegschaft. Das Personal hat durch das Konsultationsverfahren bei Massenentlassungen noch die Möglichkeit, Vorschläge zur Abwendung der Schliessung zu machen.

Wie geht es weiter?
Für den Filialstandort Windisch wurde bereits eine Nachfolgelösung gefunden: Das Lokal wird von Moser’s Backparadies übernommen. Am Standort Brunegg entscheidet die Gemeinde als Liegenschaftsbesitzerin, wie die jetzigen Laden- und Cafeteria-Räume künftig genutzt werden. Für das Dorf wäre die Gewährleistung für den weiteren Lebensmitteleinkauf die bevorzugteste Lösung. Der Hauptstandort Schinznach verliert wohl nach vielen Jahren endgültig seine einzige Dorfbäckerei. Die nächstgelegene Bäckerei Richner in Veltheim ist ebenfalls ein dynamischer Familienbetrieb.

Das Lehmann-Fachpersonal darf hoffen, im ausgetrockneten Arbeitsmarkt Stellen zu finden. Und Tamara Lehmann, Mutter einer einjährigen Tochter? Die Auflösung des Familienunternehmens, sagte sie, werde sie noch eine Zeit lang beschäftigen.