Länger, breiter, höher 

Seit den 1970er-Jahren werden unsere Fahrzeuge grösser und grösser. Wer nun denkt, die Elektromobilität drehe diesen Trend um, der irrt.
Autos werden immer grösser. Der Fiat 500 ist seit seiner Markteinführung 1957 um über 60 Zentimeter gewachsen. (Bilder: zVg)

2,70 Meter lang, 1,40 Meter breit und 1,45 Meter hoch: Das sind die bescheidenen Abmessungen des Patent-­Motorwagens von 1886, dem offiziell ersten Auto der Welt. Seit diesem von Carl Benz erbauten motorisierten Dreirad werden unsere Fahrzeuge sicherer, komfortabler und moderner – und als Begleiterscheinung immer grösser. Ein Blick auf das heutige Strassenbild zeigt es deutlich: Das Auto platzt aus allen Nähten. 

Einen ersten Höhepunkt erlebte dieser Trend in den 1960er-Jahren in den USA, wo ein zweitüriges Coupé wie der Cadillac Eldorado Fleetwood gern auch über 5½ Meter lang sein durfte. Die Ölpreiskrise 1973 löste dann eine merkliche Korrektur aus: Während in der Schweiz als Reaktion auf die frappant gestiegenen Treibstoffpreise Sonntagsfahrverbote sowie eine temporäre Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h auf der Autobahn (und als Folge davon das bis heute gültige Tempolimit von 120 km/h) beschlossen wurden, begannen die Autohersteller rund um den Globus mit der Entwicklung deutlich kleinerer und effizienterer Autos. 

Allen voran in Japan – doch dort waren kleine Autos seit jeher äus­serst beliebt und sind es noch heute. Die sogenannten Kei-Cars, possierliche Kleinstwagen, die nach aktuellen ­Regeln kürzer als 3,40 Meter und schmaler als 1,48 Meter sein müssen, um in diese Kategorie eingestuft zu werden, sind nach wie vor sehr beliebt und omnipräsent auf den Strassen ­Japans. Doch selbst bei diesen Bonsai-Autos ist der Trend klar erkennbar, denn auch sie wachsen stetig. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als im Land der aufgehenden Sonne die Fahrzeugklasse der Kei-Cars eingeführt wurde, waren sie noch auf eine Länge von unter 2 Metern und auf eine Breite von unter 1 Meter beschränkt.

Zwischen dem VW Golf I und VIII liegen 57 Zentimeter. (Bild: zVg)

SUV-Trend treibt das Wachstum
Anders als in Japan sind bei uns ­ge­nerell grössere Modelle gefragt. Zwar lag 2024 (per Ende November) mit dem Toyota Yaris ein unter 4 Meter langer Kleinwagen auf Platz 8 der Verkaufscharts – alle anderen Modelle in den Top Ten waren jedoch deutlich grösser. 8 der 10 meistverkauften Autos waren SUV. Diese hoch bauende und oft besonders breite ­Karosserievariante boomt weiterhin ungebremst: Gemäss einer Studie des französischen Marktanalysten Inovev stieg der Anteil der SUV in Europa von 3 Prozent im Jahr 2000 auf 46 Prozent im Jahr 2023. In den USA, dem Geburtsland dieser Fahrzeuggattung, wurden im vergangenen Jahr 7,6 Millionen SUV verkauft, was ebenfalls rund der Hälfte des Gesamtmarkts entspricht. In China waren es sogar 11,2 Millionen. Inovev rechnet damit, dass die weltweiten SUV-Verkäufe in den nächsten zwei Jahren von heute 32 auf 35 Millionen pro Jahr ansteigen werden.

Der Autoforscher Ferdinand Dudenhöffer sieht den SUV-Trend ebenfalls als klaren Wachstumstreiber. «Die Autos werden grösser, weil es schick ist und bequem. Es strahlt Mächtigkeit aus, in einem grossen Auto zu sitzen.» Auch für ihn sei es eine Qual, in ein niedriges Auto zu steigen, schliesslich sei er keine 18 mehr, sagte der «Autopapst» in einem Interview mit der österreichischen Zeitung «Kurier». «Also will man ­lieber höher sitzen.» Immerhin: In Europa sind in erster Linie die Kompakt-SUV beliebt – sie machen derzeit knapp 23 Prozent am europäischen Automarkt aus. Wobei es «Kompakt» zu relativieren gilt: War der VW Golf, der Inbegriff der Kompaktklasse, bei seinem Debüt 1974 noch 3,71 Meter lang, misst die aktuelle achte Modellgeneration heute stolze 57 Zentimeter mehr. Das zieht sich quer durch die Segmente: Der kleine Fiat 500 ist heute 60 Zentimeter länger als bei ­seiner Markteinführung 1957, die Oberklasselimousine Mercedes-Benz S-Klasse war 1972 schon stattliche 4,96 Meter lang, heute sind es nochmals 22 Zentimeter mehr. Die in Europa produzierten Autos sind heute im Durchschnitt 7 Zentimeter höher, 10 Zentimeter breiter und 20 Zentimeter länger als noch im Jahr 2000, rechnet Marktbeobachter Inovev vor. Das Durchschnittsgewicht stieg in diesem Zeitraum um 20 Prozent auf rund 1,5 Tonnen an.

Der moderne Subaru Solterra und der 1800 von 1984. (Bild: zVg)

Batterien brauchen Platz
Wer nun glaubt, die Elektromobilität werde die Autos auf eine vernünftige Grösse stutzen, weil es bei dieser Antriebsart ja eigentlich darum gehen sollte, möglichst umweltfreundlich unterwegs zu sein, der irrt. Tatsächlich geht Inovev vom Gegenteil aus: Die Marktexperten sehen die Elektroautos neben dem SUV-Trend als eine der Hauptursachen, wieso die Autos in den letzten Jahren so stark gewachsen sind. 

Klar: Für eine anständige Reichweite braucht es eine grosse Batterie, und diese benötigt Platz im Fahrzeugboden zwischen den beiden Achsen – da werden die Autos eben länger. Zwar sammeln winzige Stromer wie der Renault Twizy, der Citroën Ami oder der Schweizer Microlino fleissig Sympathiepunkte auf unseren Strassen. Doch ein Blick in die Verkaufszahlen zeigt: Auch die Käufer eines ­E-Autos wollen Platz. Die meistverkauften Stromer in der Schweiz, der Tesla Model Y (4,75 Meter) und der Skoda Enyaq (4,65 Meter), sind von klein und vernünftig weit entfernt. 

Sogar bei den Stromern geht der Trend weiter in Richtung Wachstum. SUV wie der Kia EV9, der Tesla Model X oder der Lotus Eletre sind länger als 5 Meter, genauso elektrische Limousinen wie der Tesla Model S, der Mercedes EQS oder der BMW i7, der mit seinen 5,39 Metern jedes Parkfeld überragt. Der technisch eng verwandte Rolls-Royce Spectre ist mit 5,45 Metern noch ein Stück länger. Dennoch sind das Winzlinge im Vergleich zum 6,29 Meter langen Elektro-Pick-up Ford F-150 Lightning, dem zurzeit längsten Stromer, der ­offiziell in der Schweiz angeboten wird. 

Die A110 ist 40 Zentimeter länger als das 61-er Modell. (Bild: zVg)

Kein Umkehrtrend in Sicht
Die Länge ist das eine, doch die Autos gehen auch immer mehr in die Breite. Eine Auswertung der NGO Transport & Environment zeigt: Neuwagen in der EU sind in den letzten 20 Jahren im Schnitt um 10 Zentimeter breiter geworden. Derzeit ist ein neuer Pw bei uns durchschnittlich 1,80 Meter breit, 1990 waren es noch 1,68 Meter. Oder, um es wieder mit dem VW Golf zu verbildlichen: Bei seiner Weltpremiere 1974 war der Kompaktwagen 1,61 Meter breit, das aktuelle Modell hat im Vergleich dazu um 18 Zentimeter zugelegt. 

Das Fazit ist somit simpel: Solange die Kunden grosse Autos wollen, bieten sie die Hersteller auch an. Ausserdem benötigen Luxus-Features, digitale Spielereien und immer aufwendigere Assistenzsysteme einfach Platz. Die Zeichen für die kommenden Jahre sind eindeutig: In der Schweiz war im vergangenen Jahr jeder zweite verkaufte Neuwagen ein SUV, die Stromer machen inzwischen einen Fünftel des Gesamtmarkts aus. Das Auto wird also weiterhin kräftig wachsen – selbst wenn es jetzt schon aus allen Nähten platzt.