Wichtige Basis für ein Nobelpreisprojekt

Eine am PSI entwickelte Kameratechnologie liefert wichtige Grundlagen für das Projekt, das dieses Jahr den Nobelpreis für Chemie erhielt.
Unternehmensgründer und Verwaltungsratspräsident Christian Brönnimann im Hauptsitz von Dectris in Dättwil. (Bild: sim)

Proteine finden sich in jeder Zelle und machen zumeist mehr als die Hälfte des Trockengewichts aus. Sie dienen ihr als molekulare «Werkzeuge» und erfüllen je nach Struktur unterschiedliche Aufgaben. Entsprechend gibt es unzählige verschiedene Proteine, deren Erforschung enorm zeitaufwendig ist. Im Jahr 2024 wurden der US-amerikanische Chemiker und Experte für künstliche Intelligenz (KI), John Jumper, der britische KI-Forscher Demis Hassabis, Gründer von Deep Mind Technologies, heute Teil von Google, und David Baker, US-amerikanischer Biochemiker und Professor für Biochemie an der University of Washington, für ihre bahnbrechenden Entwicklungen im Bereich der Proteinwissenschaft mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Das Team hat unter anderem das KI-Tool Alphafold entwickelt, das Proteinstrukturen vorherzusagen vermag. Das Werkzeug erleichtert enorm die Erforschung neuer Proteine und ebnet den Weg für neue Entdeckungen in der Medizin und der Arzneimittelforschung.

Grundlagen aus Dättwil
Hinter dem Erfolg der Forscher verbirgt sich auch eine weniger bekannte Geschichte, die in der Schweiz begann: Ein entscheidender Teil dieser Arbeit wäre ohne die Technologie der in Dättwil ansässigen Firma Dectris nicht möglich gewesen. Das Unternehmen ist ein Spin-off des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) in Villigen. Es wurde 2006 von Christian Brönnimann, einem gebürtigen Wettinger, gemeinsam mit seinen Kollegen Eric Eikenberry, Markus Näf und Petr ­Salficky gegründet. «Am PSI haben wir ursprünglich im Auftrag der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) während neun Jahren die Technologie für eine neue Art von Detektoren entwickelt, mit dem Ziel, Proteinstrukturen schneller und genauer bestimmen zu können», erinnert sich Christian Brönnimann. Die SLS ist ein Teilchenbeschleuniger, der sehr intensives Röntgenlicht liefert. «Irgendwann wurde mir klar, dass unsere neue Detektionstechnologie funktioniert und wohl gute Marktchancen hat.»

Dectris-Hauptsitz an der Täfernstrasse 1 in Dättwil. (Bild: zVg)

Das sollte sich als richtig erweisen, denn diese hoch präzisen Detektoren spielen heute eine zentrale Rolle bei der Erweiterung der Protein Data Bank (PDB), des weltweit führenden Archivs für Proteinstrukturen, das als Grundlage für das Training des KI-Tools Alphafold diente. Diese Datenbank enthält zurzeit mehr als 225 000 Proteinstrukturen, die von Forschenden weltweit entdeckt und beschrieben wurden. Obwohl Dectris seine Technologie erst seit 2008 bereitstellt, wurden damit bereits 28 Prozent aller PDB-Proteinstrukturen bestimmt. Im Jahr 2023 stammten sogar über 80 Prozent der neu hinzugefügten makromolekularen Strukturen aus Experimenten, die mit Dectris-Technologie durchgeführt wurden. Ohne diese Innovation wäre Alphafold, das die Proteinwissenschaft revolutioniert hat und wofür dieses Jahr der Nobelpreis für Chemie verliehen wurde, in dieser Form nicht möglich gewesen.

Rauschfrei und schnell
Bei der Technologie des Physikers Brönnimann und seines Teams handelt es sich um neuartige Röntgen­detektoren, welche die Analyse mit Röntgenstrahlung revolutionieren sollten. Das PSI, eine der führenden Forschungseinrichtungen der Schweiz, verfügte über das perfekte Umfeld, um die neuen Technologien zu entwickeln und erste Kontakte zur wissenschaftlichen Gemeinschaft zu knüpfen. Die Verbindung mit der Wissenschaftsgemeinschaft ist bis heute ein Kernstück der Unternehmenskultur von Dectris, deren Produkte bis heute vor allem in der Spitzenforschung Anwendung finden. «Das eigentlich Revolutionäre unserer Technologie ist, dass unsere Detektoren die eintreffenden Signale direkt in elektrische Impulse umwandeln», erklärt Roman Gredig, Mitarbeiter Forschung und Entwicklung Detektoren bei Dectris. Dadurch sind die Detektoren aus Dättwil komplett rauschfrei und liefern klarere Bilder als bisherige Detektoren. Ein weiterer Vorteil der neuen Detektoren ist, dass sie mehr Bilder pro Zeiteinheit bereitstellen als bis­herige Technologien. Die Dectris-­Detektoren können also «schneller» messen.

Dectris-Detektor «Eiger 2» in einem Versuchsaufbau am PSI. (Bild: zVg)

Was als kleines Unternehmen in Villigen begann, wurde durch die Überlegenheit seiner Technologie zu einem weltweit führenden Anbieter von Hybrid-Pixel-Detektoren für Röntgen- und Elektronenmikroskopie. Die Detektoren von Dectris erlauben eine bisher unerreichte Präzision bei der Analyse von Strukturen auf molekularer Ebene. Das Unternehmen entwickelt und produziert die gesamte Technologie in Baden-Dättwil, wobei es sich auf eine enge Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft stützt. «Unser Erfolg basiert auf dem Verständnis der Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden und auf unserer Leidenschaft, innovative Lösungen zu entwickeln, die echte wissenschaftliche Fortschritte ermöglichen», erklärt Christian Brönnimann, der das Unternehmen bis 2022 leitete und seither den Verwaltungsrat präsidiert. Die operative Leitung obliegt seit zwei Jahren Matthias Schneebeli, der zuvor als Chief Technology Officer bei Dectris tätig war.

Dectris hat sich durch die Kombination von Leistung, Zuverlässigkeit und einfacher Nutzbarkeit weltweit einen ­Namen gemacht. Dank diesen Eigenschaften haben die Detektoren in den vergangenen 15 Jahren Durchbrüche in wichtigen Bereichen wie pharmazeutischen Wirkstoffen, bei Energiematerialien und bei Katalysatoren ­ermöglicht. Die neuesten Detektorentwicklungen für Elektronenmikroskopie öffnen die Tür für ähnliche Fortschritte bei Halbleitern und Quantenmaterialien.

Lokale Wurzeln, globale ­Wirkung
Dectris ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein lokales Unternehmen mit visionärem Denken und technischem Know-how weltweit erfolgreich sein kann. Die Firma beschäftigt heute rund 170 Mitarbeitende und bleibt trotz ihrem Erfolg fest in der Region verwurzelt. Sie pflegt enge Beziehungen zu lokalen Universitäten und Forschungseinrichtungen, investiert in junge Talente und fördert Innovationen, die über Detektortechnologie hinausgehen. Ausserdem legt das Unternehmen grossen Wert auf die Ausbildung von Lehrlingen.

Die PDB und deren Bedeutung für die Arbeit an Alphafold sind nur ein Beispiel dafür, wie Dectris-Technologie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ihrer Forschung genutzt wird und wie die Ergebnisse zu wichtigen Fortschritten führen können. Durch die Bereitstellung von Detektoren, die sich nahtlos in Forschungsprozesse integrieren lassen, ermöglicht Dectris Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit, schneller zu Ergebnissen zu kommen. Diese Ergebnisse verhelfen im besten Fall zu einem tieferen Verständnis der untersuchten Materie und bieten konkrete Anwendungen in Bereichen wie Life-Sciences, Materialwissenschaften und Nachhaltigkeit – mit dem Potenzial, medizinische Therapien zu revolutionieren, effizientere Materialien zu entwickeln und innovative Lösungen für globale Herausforderungen wie beispielsweise den Klimawandel zu finden.

Ein Mitarbeiter schaut sich die Bilddaten der Messung mit einem der Detektoren an. (Bild: zVg)

Entwicklungsfeld Medizin
Ein Beispiel dafür ist der Beitrag von Dectris zur Bewältigung der Coronapandemie. Die hoch präzisen Detektoren spielten eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Medikamente gegen Sars-CoV, die mithilfe der Röntgenstrukturanalyse optimiert wurden. Auch im Bereich der Umweltforschung hat Dectris bahnbrechende Fortschritte ermöglicht: Ihre Detektoren wurden eingesetzt, um ein Enzym zu analysieren, das Kunststoffe abbauen kann. Diese Forschung führte dazu, dass das Enzym gezielt modifiziert und seine Effizienz verbessert wurde – ein wichtiger Schritt in Richtung effizienteres PET-Recycling und für eine nachhaltigere Reduktion von Kunststoffabfällen.

«Unsere enge Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist ein zentraler Bestandteil unserer Unternehmenskultur und erlaubt es uns, Innovationen voranzutreiben, die den heutigen und zukünftigen Anforderungen gerecht werden. Unser kleiner, aber wichtiger Beitrag zur Nobelpreis-gekrönten Forschung zeigt, wie unsere präzisen Messinstrumente die Wissenschaft auf höchstem Niveau unterstützen. Da wir im Grunde selbst Wissenschaftler sind, verstehen wir die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden und arbeiten eng mit der Community zusammen, um diese zu erfüllen. Ohne unsere Technologie wären viele Proteinanalysen, welche die moderne Forschung vorantreiben, gar nicht möglich», betont Christian Brönnimann.

Möglichkeiten erkunden
Während Dectris bereits jetzt eine Schlüsselrolle in der globalen Forschung mit Röntgenstrahlung spielt, ist das Unternehmen längst nicht am Ende seiner Reise angekommen. Der Fokus liegt darauf, neue Märkte zu erschliessen und bestehende Technologien weiterzuentwickeln. Besonders in der medizinischen Diagnostik und der Elektronenmikroskopie sieht das Unternehmen enormes Potenzial, aber ebenso in der Datenverarbeitung, wo effiziente, cloudbasierte Lösungen gefragt sind. Zudem investiert Dectris in nachhaltige Praktiken und technologische Entwicklungen, um sicherzustellen, dass es auch in Zukunft seine Vorreiterrolle in der Branche behält. «Es ist uns wichtig, nicht nur innovativ zu sein, sondern auch verantwortungsvoll zu handeln – gegenüber der Umwelt sowie gegenüber der ­Gesellschaft, die von unseren Technologien profitiert», meint Brönnimann.

Wer nun denkt, die Detektoren des Dättwiler Unternehmens haben den Grundstein dafür gelegt, dass genau diese Technologie aufgrund der neuen Anwendungen von KI künftig überflüssig wird, irrt. Das KI-Tool Alphafold ist zwar bahnbrechend, wenn es darum geht, die statischen Strukturen von Proteinen vorherzusagen. In der modernen Pharmaforschung spielt aber die experimentelle Verifikation der Strukturen mittels Kryoelektronenmikroskopie oder Proteinkristallografie nach wie vor eine entscheidende Rolle. Sie ermöglicht die präzise Analyse der Bindung von Wirkstoffkandidaten an Proteine – eine Herausforderung, der selbst modernste KI bisher nicht gewachsen ist. Entsprechend rückt die Dynamik von Proteinen in den Fokus der Forschung. Dafür sind hoch präzise, ultraschnelle Detektoren unverzichtbar. Deshalb werden die Detektoren aus Dättwil auch weiterhin gebraucht werden, ist Christian Brönnimann überzeugt: «Die Vorhersagen von KI zu Proteinstrukturen können noch so zuverlässig sein. Wenn es um ihre konkrete Verwendung in der Forschung geht, wird man ihre Struktur auch in Zukunft experimentell bestätigen müssen.» Dectris wird also weiterhin wertvolle Beiträge an Forschungsprojekte auf der ganzen Welt leisten.