Seit dem 1. Januar senden die 850 UKW-Antennen der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) nicht mehr. Die Zukunft gehört der digitalen Radio-Sendetechnologie DAB+. Was das für den Alltag der Radiohörerinnen und -hörer heisst, erklärt der Experte Ernst Werder.
Ernst Werder, warum genau ist die UKW-Abschaltung erfolgt? Die Sender sind bereits seit 2020 nicht mehr dazu verpflichtet.
Wichtig ist zu sagen, dass nur die SRG zum Jahresende UKW abgeschaltet hat. Die privaten Radiosender werden erst 2025 oder 2026 aussteigen. Wer also nur Privatradio hört, kann den Kauf eines DAB-Radios noch etwas hinauszögern.
Dabei hatte DAB+ schon eine Vorlaufzeit von fast 20 Jahren.
Ich bin von Anfang dabei gewesen bei der Einführung von DAB und später DAB+ als Projektleiter bei der SRG. Und es ist auch nicht die erste Abstellung eines analogen Verbreitungswegs. Die SRG musste 2008 die Mittelwellensender wegen zu hoher Strahlungswerte abstellen, davon betroffen waren rund 350 000 Hörerinnen und Hörer.
2013 haben sich SRG und Private zusammengesetzt und beschlossen, in absehbarer Zeit auf DAB+ umzusteigen. Der Grund ist, dass auf DAB+ einfach viel mehr Programme Platz haben. Dadurch kann man Spezialprogramme anbieten, wie Sender ohne gesprochenes Wort, auf denen nur Musik läuft. Das Jahr 2020 wurde damals schriftlich als Ziel festgehalten.
Aber nicht eingehalten.
Kurz vor dem Datum haben dann verschiedene Faktoren dafür gesprochen, dass 2020 vielleicht zu früh ist. 2022 hat sich das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) eingeschaltet und einen Zeitpunkt für den Ausstieg festgelegt.
Anders als bei SRG gestaltet sich die UKW-Abschaltung bei den Privaten allerdings als Fade-out, also eine schrittweise Abstellung.
Diese Option wurde natürlich auch in den Arbeitsgruppen der SRG diskutiert. Dabei werden Sendemasten in Randregionen abgeschaltet, was zunächst nur kleine Regionen betrifft. Die privaten kommerziellen Sender leben vom Verkauf der Radiowerbung. Wenn das UKW-Signal langsam verblasst, kann die Entwicklung besser verfolgt und gegebenenfalls noch gesteuert werden.
Sind dann einzelne Sender oder ganze Regionen beim Fade-out betroffen?
Das muss man sich so vorstellen: Ein Regionalradio im Aargau ist in St. Gallen nicht über UKW zu empfangen. Die Regionalradios haben UKW genutzt, um die Region abzudecken, in der sich ihr Radiostudio befindet. Nun kann es passieren, dass am Rand der Zielregion ein UKW-Sender abgeschaltet wird und damit der UKW-Empfang ausfällt. Diese Teilabschaltungen können als Test dienen, ob die betroffenen Hörerinnen und Hörer bereits auf DAB+ umgestiegen sind.
In den Grenzregionen gibt es auch Menschen, die gern deutsches Radio hören.
Für diese Hörer und Hörerinnern ändert sich nichts, denn die Deutschen stellen UKW nicht ab.
Welchen Einfluss hat die Abschaltung auf den Verkehrsfunk, zum Beispiel im Tunnel?
Heute sind alle Tunnel auf Nationalstrassen mit einer Länge von mindestens 300 Metern mit DAB+ ausgerüstet. Deshalb hat das Bundesamt für Strassen (Astra) am 31. Dezember auch dort die UKW-Sender abgestellt. Auf kantonaler Ebene ist man noch in Gesprächen mit den Kantonen.
Braucht es aus technischer Sicht die UKW-Abschaltung überhaupt?
Es gibt Gegner von DAB+, die sich gegen die Einführung wehren. Sie argumentieren, dass UKW ebenfalls eine moderne Technologie sei. Radio ist das letzte Medium, das noch analog verbreitet wird. Alle anderen Kommunikationsmittel, vom Telefon bis zum Fernseher, sind längst digitalisiert. Damit ist UKW
ein Auslaufmodell, das den digitalen Anforderungen wie Interaktivität, Text- und Bildübertragung oder anderen Kommunikationsformen in keiner Weise gerecht werden kann.
Und was spricht für DAB+?
Der grosse Vorteil ist, dass sie viel mehr Sender auf einer Frequenz übertragen können. Wenn man mit einem Sender die ganze Schweiz abdecken wollen würde, dann brauchte man bei UKW 800 Sendeantennen. Bei DAB+ reichen schon 250 Sendemasten – für 18 Sender. Das ist der grosse Unterschied. Durch die Einführung von DAB+ werden Ressourcen eingespart, es braucht viel weniger Strom, weil es weniger Sendemasten benötigt. Ökologisch und ökonomisch ist DAB+ besser als UKW.
Und die Audioqualität?
Beim Klang scheiden sich die Geister. Ein Dirigent mit einem absoluten Gehör sagt vielleicht, dass DAB nicht gut töne, weil es technisch zu stark verändert sei. Ich finde, dass DAB+ im Auto mit einer guten Anlage fast so gut klingt wie eine Audio-CD.
Ist die Kritik an der Tonqualität begründet?
Damit auf einer Frequenz 18 bis 20 Radiosender Platz haben, muss man die einzelnen Sender komprimieren. Man muss es sich vorstellen, wie viele kleine Kisten, die man in eine grosse Kiste quetscht. Und wenn man den Ton digital komprimiert, dann fallen natürlich die hohen und die ganz tiefen Töne weg. Aber letztlich ist es eine Radioübertragung, und deren Zielgruppe sind nicht die High-End-Stereo-Hörer und -Hörerinnen. Mir persönlich gefällt der Ton bei DAB+ besser als bei UKW. Die unterschiedlichen Geschmäcke gibt es schliesslich auch beim Musikhören.
Und viele Menschen besitzen gar nicht die optimale Abspielanlage für die Musik.
Das stimmt. Viele Leute beschweren sich, dass der Klang nicht so gut sei. Das kann am Radio liegen, das meist nur mit einem kleinen einzelnen Lautsprecher ausgestattet ist.
Welchen Einfluss hat die Komprimierung auf die Bitrate?
Bei der Radioübertragung wird mit AAC+ ein speziell für den Rundfunk entwickeltes Kompressionsverfahren verwendet. 64 kbit/s bei DAB+ entsprechen etwa 126 kbit/s bei MP3.
Gibt es Zahlen zu den nicht DAB-fähigen Geräten in der Schweiz?
Es gibt Zahlen für die Schweiz, aber eigentlich muss man sagen: Ganz genau weiss es niemand. Was wir aber wissen, ist, dass bis heute 6,5 Millionen DAB-Radios verkauft wurden. Und bei 4,02 Millionen Haushalten in der Schweiz, kann man davon ausgehen, dass in allen Haushalten mindestens ein DAB-fähiges Radio steht.
Gibt es noch weitere Indizien für die Verbreitung?
Die Recyclingstellen sind sehr interessiert an alter Elektronik, wegen der verbauten Metalle und Edelmetalle. Und dort heisst es, dass nicht mehr Radios recycelt werden als vor vier Jahren.
Wir glauben: Der Wechsel auf DAB-Radios hat schon längst stattgefunden in der Schweiz.
Erwarten Sie trotzdem, dass einige ältere Hörerinnen und Hörer jetzt am Jahresanfang eine böse Überraschung erleben?
Wir kommunizieren seit 2006 über DAB und haben in den letzten Jahren viel Werbung für die Technologie gemacht.
Wir haben beim Helpdesk sehr viele Anfragen wie: Ich habe ein DAB-Radio, muss ich jetzt ein DAB+-Radio kaufen? Das kann man dann schnell mit ihnen klären, und zu fast 100 Prozent sind es DAB+-Radios. Denn seit 2012 werden von den grossen Herstellern eigentlich nur noch DAB+-Geräte gebaut.
Wie kann man den Helpdesk erreichen?
Per E-Mail: dabplus@srgssr.ch oder per Telefon: 0848 040 102.
Eignen sich moderne Fernseher oder Smartphones als Empfangsgeräte?
Leider nicht, aber die Frage wird uns immer wieder gestellt. Um DAB+ zu empfangen, braucht es einen entsprechenden Chip, der das versendete Paket wieder entpackt. Und neben dem Chip brauchte das Smartphone noch eine gute Antenne, die fehlt ja bei heutigen Handys. Beim Fernseher geht es auch nicht, da DAB+ durch die Luft übertragen wird, genau wie UKW. Es gibt zwar DAB+-Kabel-Lösungen von den Anbietern wie Sunrise, aber das ist nicht das gleiche Signal. Und wer heute noch UKW-Radio über Kabel hört, ist von der Abschaltung nicht betroffen.
Was muss man investieren, wenn man jetzt noch kein DAB+-Gerät hat?
Mit 40 Franken ist man dabei und bekommt ein gutes Gerät für den Haushalt.
Beim Auto gibt es verschiedene Optionen. Bei einem Fahrzeug, das etwa 20 Jahre alt ist, kann man einfach das Radio wechseln. Das wären 130 Franken, wenn man es selbst verbaut. Modernere Autos haben einen AUX-Anschluss oder einen 12-Volt-Anschluss für einen DAB+-Adapter. Dieser war in den letzten Wochen sehr gefragt, aber sollte jetzt wieder überall erhältlich sein. Der Adapter kostet zwischen 80 und 180 Franken. Man kann den Adapter auch in der Garage verbauen lassen, damit man ihn nicht mehr sieht. Das kostet etwa 350 Franken. Wenn man allerdings wie vorher alles steuern möchte (Sendersuche usw.), dann muss man mit 600 bis 800 Franken rechnen.
Wenn ich jetzt DAB+-Geräte habe, bin ich dann für die Zukunft gewappnet?
Ich kann leider nicht in die Zukunft schauen. Seit alles digital ist, dreht sich die Welt immer schneller. Ich glaube aber, dass es das lineare Radio weiterhin geben wird.
Aber gerade weil DAB so einen langen Vorlauf hatte.
UKW hatte auch einen langen Vorlauf. Die Technik wurde in den 50er-Jahren entwickelt und hat in der Schweiz in den 70er-Jahren richtig Fuss gefasst.
Eine mögliche Übertragungsmethode wäre der Mobilfunkstandard 5G, aber das halte ich für unwahrscheinlich. Denn bei 5G haben die Radiobetreiber keine Chance mehr einzugreifen und sind abhängig von den Netzbetreibern. DAB+ wird weiterhin bestehen.