Graue Eminenz im Hintergrund

Mainstream hat Walter Labhart nie interessiert. Er sucht nach verborgenen Kulturschätzen und bemüht sich, das Interesse daran zu wecken.
Walter Labhart vor seinem Archiv in seinem Haus in Endingen. (Bild: ub)

Am 22. Dezember 2024 hat Walter Labhart seinen 80. Geburtstag gefeiert. Getafelt wurde im kleinsten Kreis in einem chinesischen Restaurant. Schwiegertochter He Yuan, eine Malerin und Musikerin, ist mit seinem einzigen Sohn Nathan verheiratet und stammt aus China. Dabei war natürlich auch die wichtigste Person in ­Labharts Leben – seine Frau Dora. Seit 55 Jahren ist das Paar ausgesprochen glücklich verheiratet und lebt in Endingen. «Ich verdanke ihr alles», bekundet der Jubilar. Dank ihrer Festanstellung als Primarlehrerin konnte er sich 1975 in die berufliche Selbstständigkeit wagen und fortan seiner Leidenschaft als Musikforscher, Herausgeber von Instrumentalmusik, Programmgestalter, Kulturjournalist und Ausstellungsmacher nachgehen. 

Privates Museum
Beim Gang durch das Haus des Ehepaars Labhart kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Auf den ersten Blick stechen die vielen Malereien, Zeichnungen und Objekte ins Auge, die sämtliche Wände und Nischen zieren. Darunter Werke von Wassily Kandinsky und Max Bill, Meret Oppenheim und Alex Sadkowsky, aber auch von vielen Aargauer Künstlern, denen Labhart zu mehr Ansehen verhalf. So etwa Werner Holenstein, Henri Ott, Hans-Rudolf Roth und Martin Ruf. «Viele der hier gezeigten Werke habe ich als Gegenleistung für Vernissagen, Texte oder die Vermittlung an Verlage und Galerien bekommen», sagt Labhart in Bezug auf seine museumswürdige Kollektion. Mit zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern verbindet ihn und seine Frau eine freundschaftliche Beziehung. Seine private Kunstsammlung ist aber nicht das Einzige, was es in dem Labyrinth von Gängen und Räumen zu entdecken gibt. In unzähligen Regalen stapeln sich Abertausende von Musiknoten, die Labhart über die Jahrzehnte in ganz Europa erstanden hat. Kunstmäzen und Dirigent Paul Sacher war ein prominenter Auftraggeber, der ihn weltweit unbekannte Werke suchen liess.

Was für Aussenstehende von der unglaublichen Menge her zuerst chaotisch wirken mag, hat System. Jedes einzelne Dokument ist von Labhart sorgfältig eingeordnet und trägt Stichworte. Ein riesiger Archivschrank enthält unter anderem Musiknoten von über 1000 internationalen Komponistinnen. Für Frauen in der Kultur engagierte er sich stets ganz besonders intensiv. «Ihr Schaffen war absolut gleichwertig zu demjenigen ihrer männlichen Kollegen. Aber durch die patriarchale Dominanz wurden sie verdrängt, boykottiert und vergessen», beanstandet er. 1979 gab er mit einer befreundeten Pianistin aus Venezuela die erste Schallplatte weltweit heraus, auf der ausschliesslich Klavierwerke von Komponistinnen zu hören waren. Und 2009 programmierte er in Mähren ein Musikfestival, bei dem Werke von Frauen im Vordergrund standen. ­«Ladies first» galt für den Gentleman alter Schule schon, als es gesellschaftlich noch bedeutend weniger thematisiert wurde.

Pfirsichplantage und Fernsehen
Ursprünglich wollte Labhart Archäologie studieren. Doch dann kam alles anders. Die Matura brach er ­wegen Kantonsschulprofessoren, die ihn schikanierten, frühzeitig ab. «Ich brannte durch und arbeitete eine Zeit lang auf einer Pfirsichplantage in Frankreich», erzählt er. Später machte er eine Lehre als Musikaliensortimenter bei Musik Hug in Zürich, bis er vom Schweizerischen Musikarchiv als Redaktor abgeworben wurde. Danach wurde er die rechte Hand von Musikressortleiter Leo Nadelmann beim Schweizer Fernsehen DRS. Nun ist Labhart bereits 50 Jahre selbstständig. Die Liste an Ausstellungen, die er mitorganisierte oder für die er Leihgaben zur Verfügung stellte, und an Konzerten, für die er das Programm gestaltete, ist schier endlos. Zurzeit befinden sich gerade einige seiner Künstlerzeitschriften aus der Avantgarde im Zentrum Paul Klee in Bern. Auch das Guggenheim-Museum in Bilbao bestückte er schon mit Zeitdokumenten. Er gab zudem mehrere Bücher heraus. Für seine Tätigkeit als Kulturvermittler wurde ihm mitunter die Franz-Liszt-Medaille vom ungarischen Kulturministerium verliehen. In der Tschechischen Republik bekam Labhart die Leoš-Janáček- und die Gustav-Mahler-Medaille. 2019 erhielt er einen Anerkennungspreis vom Aargauer Kuratorium. Dabei hält sich Labhart selbst stets ganz bewusst im Hintergrund.

Labhart ist mit 80 Jahren geistig und körperlich topfit. Das führt er auf seine spartanische Lebensweise zurück. Jeden Morgen turnt er vor dem Frühstück. Auf seinem Speiseplan stehen Suppen, osteuropäische Gemüsesalate, Sardinen und Oliven. Anschliessend spaziert er mit Dora zum jüdischen Friedhof und liest ihr aus Büchern von gemeinsamen Lieblingsautoren vor. Den Nachmittag verbringt er mit Kulturvermittlungstätigkeiten oder Nachforschungen. Er sammelt zudem «Matchibako»-Originale, japanische Zündholzschachteletiketten von Art-déco-Grafikern. Für seine Zukunft wünscht er sich vor allem eines: «Dass ich jede freie Minute, die mir in meinem Leben noch bleibt, mit meiner Frau geniessen kann.»