«Es war nie mein grosser Plan»

James Gruntz (37), der im Salzhaus in Brugg auftritt, hat auf dem Album «Blink Twice» seine Erfahrungen als Vater von zwei kleinen Kindern verarbeitet.
James Gruntz singt über das Vatersein. (Bild: Maximilian Lederer, LIVANA MUSIC)

Das erste Lied «Thing Or Two» erweckt den Eindruck, als hätten Ihre Söhne Sie gelehrt, wie Sie damit umgehen können, wenn Sie nach einer schlaflosen Nacht denken: «Heute ist nicht mein Tag.» 

Genau. Ich hatte lang den Eindruck, dass mich unsere Kinder so absorbieren, dass ich kaum mehr Zeit habe, Musik zu machen. Als es dann mit dem Songschreiben für «Blink Twice» ernst wurde, habe ich jedoch realisiert, dass sie in den letzten fünf Jahren ein Kraftthema in meinem Leben waren. Es zieht sich durch das ganze Album.

Wie haben sie Ihr Denken ­verändert?
Früher war es viel einfacher zu bewerkstelligen, dass für mich alles gut war. Nun trage ich für andere Menschen, die ich sehr liebe, Verantwortung. Ich muss mich damit arrangieren, dass es nicht immer möglich ist, allen gerecht zu werden. Ich habe jedoch zu sehen gelernt, dass nie alles schlecht ist.

Was hat es mit dem Albumtitel «Blink Twice» auf sich?
Jeder, der Kinder hat, kennt das Gefühl. Man blinzelt zweimal, und schon sind wieder zwei Jahre verstrichen. Die Zeit vergeht so schnell. Wenn man nicht achtsam bist, verpasst man viel. Dabei muss man aufpassen, dass man auch für sich selbst schaut, obwohl die Kinder ihre Bedürfnisse meistens lautstark zum Ausdruck bringen. Man sollte weder zu sehr in der Vergangenheit noch zu sehr in der Zukunft leben, sondern im Augenblick.

War es für Sie immer klar, eine ­Familie zu gründen?
Ich habe es mir vorstellen können, aber es war nie mein grosser Plan. Schliesslich ist es passiert. Nun bin ich sehr glücklich, dass alle gesund sind und alles so gut funktioniert. Es sind aber zwei sehr unterschiedliche Dinge, die Vorstellung vom Kinderhaben und wirklich Kinder zu haben. Ich habe es mir einfacher vorgestellt.

Wie organisieren Sie sich?
Meine Schwiegereltern sind für uns eine Riesentlastung. Da meine Partnerin ebenfalls berufstätig ist, wäre die Betreuung unserer Söhne sonst kaum zu schaffen, wenn ich Konzerte gebe oder an einem Album arbeite. Hinzu kommt, dass wir unsere Wohnung und ich mein Studio in ihrem Haus haben.

Welche Erfahrungen haben Sie zu «Crying Season» inspiriert?
In der ersten Zeit, wenn sich die Kinder fast nur durch Schreien artikulieren können, versucht man, die Kinder sehr schnell und oft mit einem «Es kommt alles gut» zu beruhigen und zu trösten. Das ist okay. Ich habe das ebenfalls gemacht, aber ehrlich: Ich war in vielen Momenten nicht so sicher. Ich glaube, etwas mehr Offenheit würde nicht schaden – als Vorbereitung auf die Realität – und damit die Kinder später nicht enttäuscht sind. 

James Gruntz tritt mit einem neuen Album im Brugger Salzhaus auf. (Bild: zVg)

«2560», die Postleitzahl von Nidau, handelt von Ihrer Jugend. Vermissen Sie die damalige Unbeschwertheit?
Wenn ich jetzt, wo ich selbst Vater bin, an die ersten 16 Jahre meines Lebens zurückdenke, als wir dort gewohnt haben, war das gar keine so leichte Zeit. In vieler Hinsicht habe ich sie überhaupt nicht als unbeschwert empfunden, sondern als schwer. Alles war so wichtig und gleichzeitig so dumm. Ich habe mir als Kind viel zu viele Gedanken über Sachen gemacht, die ich im Nachhinein als völlig unwichtig erachte. Dagegen bekundete ich schon damals Mühe mit Regeln, die ich nicht verstand und meine Freiheit einschränkten. 

«Learn» handelt davon, Freiheit zu schenken.
Ich finde es ganz wichtig, bei Menschen, die man liebt, das richtige Verhältnis zwischen Nähe und Freiraum zu finden. Dieses Thema beschäftigt mich in diesem Song speziell im Hinblick auf Kinder. Frauen müssen sie bereits bei der Geburt das erste Mal gehen lassen. Ich habe früh gemerkt, dass sie ihren eigenen Willen haben und man sie ihre eigenen Erfahrungen machen lassen sollte. Gleichzeitig nährte es Selbstzweifel, die ich vorher schon hatte, weil ich dachte, wenn man Kinder hat, müsste man eigentlich genau wissen, wer man ist und was man will. 

Oft leidet die Paarbeziehung ­darunter. 
Die Kinder stehen im Mittelpunkt, und es bleibt wenig Zeit für Zweisamkeit. Das ist normal, hat aber bewirkt, dass es, gerade im Hinblick auf die Liebeslieder, ein melancholisches ­Album geworden ist.

«Over And Again» und «Nothing Breaks» bilden immerhin einen ­Abschluss, der inhaltlich und musikalisch Hoffnung schöpfen lässt. 
Der Hauptunterschied zum letzten Album «Waves» liegt darin, dass ich mich ans Klavier setzen und die Songs spielen kann. So sind die meisten von ihnen entstanden. Sie klingen ausgereifter, weniger experimentell. Die Kopfstimme setze ich mehr ein, was damit zusammenhängt, dass bei mir die Melodie vor dem Text entsteht. Ich spiele Klavier und improvisiere zuerst einmal nur eine Art Scat-Gesang.

Sie waren mit «Waves» solo, im Duo und im Trio sowie mit Band auf Tournee. Mit wem sind Sie nun auf Clubtournee?
Mit der Band, die nach der Coronapause entstanden ist. Zur Tourvorbereitung gehörte erstmals in meiner Laufbahn eine Bühnenprobe, die wir im Salzhaus in Brugg machten. Es werden sicher die besten Konzerte, die wir je gegeben haben. Die Bühnenangst, die mich früher plagte, konnte ich weitgehend ablegen. Ich habe realisiert, dass es bei den Konzerten nicht um mich geht, sondern um die Musik und das Zusammen­kommen. Und das Leben, dass gerade in diesen Moment passiert. All das habe ich vor allem durch meine Vaterschaft gelernt und bin nun viel entspannter.