«Meine Stücke halten mich fit»

Gardi Hutter (71) nimmt Abschied von ihrer ikonografischen Hanna-Figur und spricht über die Hürden, die eine komische Frau nehmen muss. Die Clownin macht auf ihrer Abschiedstournee im Kurtheater Baden halt.
Meisterin im Stadium der Reife: Clownin Gardi Hutter. (Bild: Christian Lanz)

Gardi Hutter, Ihre Abschiedstournee mit der Figur Hanna ist äusserst erfolgreich. Denken Sie über eine Verlängerung nach?
Nein, aber nichts ist in Stein gemeisselt. Wer weiss, was in fünf Jahren ist?

Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, diesen Schlussstrich zu ­ziehen?
Meine Stücke in diesem Kostüm sind Hochleistungssport. Nach den Vorstellungen bin ich klatschnass. Die Leute fragen mich immer, wie ich mich fit halte. Dabei ist es umgekehrt. Meine Stücke halten mich fit. Trotzdem weiss ich, dass irgendwann Schluss ist. Ich bin bald 72. Vielleicht habe ich noch zehn Jahre, vielleicht erlaubt es der Rücken schon übermorgen nicht mehr. Die grössere Herausforderung liegt jedoch im Mentalen.

Tatsächlich?
Ich hatte schon immer kein gutes Gedächtnis, aber inzwischen ist es noch schlechter geworden. Ich muss mir zwar keine Texte merken, aber dafür sind der Ablauf der Handlung und das Timing umso wichtiger. Entsprechend schwierig ist es, fünf Stücke gleichzeitig präsent zu haben.

Wie haben Sie die Rolle Ihres Lebens gefunden?
«Die tapfere Hanna», das ist die Geburt. Mit diesem Stück ist meine Clownfigur entstanden, hier steckt mein Leben drin. Als mir der Direktor der Schauspielschule in Zürich bei der Aufnahmeprüfung sagte, «Frau Hutter, Sie haben ja Talent, aber Sie sind klein. Sie werden nie eine Hauptrolle spielen», machte mir das klar, dass am Theater nach wie vor ein rückständiges Frauenbild herrschte. Die einzige Möglichkeit, die ich hatte, war, mir meine Hauptrolle selbst zu schreiben.

So entstand die Idee für Hanna?
Da ich nicht dem gängigen Schönheitsideal entspreche und sogar Frauen, die das tun, unter dem Massstab leiden, der am weiblichen Körper angelegt wird, musste ich mich zuerst einmal von diesem Rollenbild befreien. Dafür kreierte ich eine Figur, die überdies hässlicher ist als ich, und zwang das Publikum, sie trotzdem zu lieben.

Gardi Hutter hat mit Hanna ihre eigene Hauptrolle erschaffen. (Bild: Christian Lanz)

Welche Hürden mussten Sie dabei überwinden?
Anfang der Achtzigerjahre, als es noch hiess, Frauen könnten gar nicht komisch sein, war ich gezwungen, den Holzhammer auszupacken, um das Gegenteil zu beweisen. Danach ist Hanna mit mir zusammengewachsen. Beim letzten Solo «Die Schneiderin» und bei «Gaia Gaudi» konnte ich dann viel feiner arbeiten, mit mehr Farben und Zwischentönen.

Gab Ihnen die Figur Hanna auch ­etwas?
Ich konnte viel von dem, was mich an unserer Gesellschaft und in meinem eigenen Leben wütend gemacht und frustriert hatte, meiner Figur übergeben und danach entspannter damit umgehen. Das geht dem Publikum ähnlich. Wenn es einen Abend lang darüber gelacht hat, wie sich die Maus aus lauter Gier und Angst, jemand könnte ihr den Käse stehlen, ihre Falle selbst baut, geht es nicht deprimiert, sondern erheitert nach Hause.

Wie hat sich Ihre Entspanntheit im Privaten und in ihrem Alltag niedergeschlagen?
Das ist ein komplexes Thema … Ein humorvoller und erfolgreicher Mann kommt bei Frauen sehr gut an. Viele meiner Kollegen haben 20, 30 Jahre jüngere Frauen. Die meisten Männer betrachten eine komische Frau, die auf der Bühne ein «Räf» ist und international gefeiert wird, eher mit Argwohn. So weit ist die Emanzipation dann doch noch nicht fortgeschritten.

Welche Erfahrungen machten Sie als Hippie? 
Es war eine aufregende, manchmal aber auch sehr schwierige Zeit. Ich war 15, als ich 1968 – noch unaufgeklärt – aus einem streng katholischen Internat in Altstätten an die linke Kanti St. Gallen kam. Ein Riesenspagat, auf den ich überhaupt nicht vorbereitet war. Ich stürzte mich jedoch voll hinein, beteiligte mich an endlosen politischen Diskussionen und ging mit 19 nach Paris, wo mich Erfahrungen mit Jugendlichen in einem Pro­blemviertel inspirierten, nach meiner Rückkehr in Zürich Theaterpädagogik und Schauspiel zu studieren.

Hannas Markenzeichen ist – neben ihrer Köperfülle und ihrem Gebrabbel – die blonde Wuschelfrisur. Wie viele Perücken haben Sie in den 40 Jahren verbraucht? 
Die Perücke aus Yakhaar, die eigentlich für die Aufführung von «Aristophanes» in Mailand gemacht wurde, benutze ich heute noch. Ich habe zwar andere herstellen lassen, doch ich kehre immer wieder zum Original zurück. Yakhaar ist strubbelig und bleibt strubbelig. Ich muss diese Perücke einzig regelmässig vergrössern lassen, da sie vom Schwitzen eingeht.

Wie geniessen Sie das Leben, wenn Sie diese Perücke im August an den Nagel gehängt haben?
Auf einen Berg steigen oder Velofahren gehen könnte ich jetzt schon. Als ich wegen Corona gezwungen war, ein Jahr zu Hause zu verbringen, hat mir das durchaus gefallen, aber warum sollte ich das tun, wenn ich noch viel lieber Theater mache?

Was würde Ihnen fehlen?
Nicht der Applaus. Es ist der Rausch, den ich empfinde, wenn sich das Publikum anderthalb Stunden emotional auf eine Geschichte einlässt, die ich ihm erzählen möchte. Diese intensive Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen ist.

Trotzdem schicken Sie Hanna nun in Pension …
Sie ist meine beste Freundin und wird es bleiben, doch ich möchte mich noch einmal neu entfalten, aus dem Konkreten heraus. Ich will nur eine leere Bühne, verzichte ganz auf ein Bühnenbild. Das ist riskant, aber ich fühle mich im Stadium der Reife als Meisterin meines Handwerks. Ich betrachte die Spielerfahrung als mein grösstes Kapital. Ich habe zwei Jahre investiert, damit «Zero» am 25. Oktober in Stuttgart Premiere feiern kann. 

Weshalb nicht in der Schweiz?
Ich bin dem Stuttgarter Theaterhaus seit 40 Jahren eng verbunden. Es ist eines der tollsten Bühnen, die ich kenne, aber vor allem wäre ich viel nervöser, wenn ich «Zero» zuerst in der Schweiz spielen würde. Die gewisse Anonymität eines Tourneestarts im Ausland ermöglicht es mir, das Stück in Ruhe zu optimieren. 

Abschiedstournee mit «Hanna» 
Dienstag, 25. Februar (Die Soufleuse)
Mittwoch, 26. März (Die Schneiderin)
jeweils 20 Uhr, Kurtheater, Baden
kurtheater.ch