Eisblumen und Erinnerungen

Stephanie Haensler hat fünf Musikstücke mit Bezug zu Franz Schubert geschrieben. Das Vokalensemble Zürich bringt sie auf die Bühne.
Die Komponistin Stephanie Haensler lässt sich auf Schubert ein – ohne ihn zu kopieren. (Bild: leh)

Eigentlich spielte sie Violine. Doch mit 15 Jahren kam Stephanie Haensler zum ersten Mal mit Franz Schuberts Musik in Berührung. «Es war eine Klaviersonate, die mich total packte», erinnert sich die Komponistin. «Ich war derart beeindruckt, dass ich mir gleich die Noten kaufte und damit zu einer Klavierlehrerin rannte. Ich tauchte vollends in Schuberts Welt ein und entdeckte auf diesem Weg auch das Klavier.»
Seither zieht sich die Liebe zu Schubert durch ihr Leben. «Was mich an seinen Kompositionen berührt, ist der Zwiespalt zwischen der Realität und einer idealisierten Vergangenheit – die unterschwellige Sehnsucht nach einer anderen Welt», sagt Stephanie Haensler. «Und es ist harmonisch gesehen eine sehr befreite und revolutionäre Musik.» Neben Schubert begeistert sich die Komponistin, die ursprünglich aus Turgi stammt, auch für andere Figuren der Romantik. «Ich habe ein romantisches Herz. Schubert, Schumann und Brahms sind meine musikalische Heimat.»

Auf internationalem Parkett
Stephanie Haensler ist Profimusikerin. Sie erhielt an der Zürcher Hochschule der Künste ihre Ausbildung zur Violinistin und Komponistin und schrieb Auftragswerke unter anderem für das Ensemble Tag, das Ensemble Recherche und die Camerata Zürich. Ihre Werke wurden schon international aufgeführt, zum Beispiel am Huddersfield Contemporary Music Festival oder an der Münchener Biennale für Musiktheater.
Haensler wurde 2019 ausserdem mit einem Werkbeitrag des Aargauer Kuratoriums ausgezeichnet und war drei Jahre zuvor Preisträgerin des Kompositionswettbewerbs des Lucerne-Festival. Seit fünf Jahren realisiert sie zusammen mit der Designerin Laura Haensler als «Lauteskollektiv» interdisziplinäre Projekte an der Schnittstelle von zeitgenössischer Musik, Videokunst und Design.
Als Peter Siegwart, der Leiter und Dirigent des anstehenden Projekts, die Konzerte des Vokalensembles Zürich im Zeichen von Franz Schubert plante, kam er schnell auf Stephanie Haensler. Er war in Zürich ihr Theoriedozent gewesen und wusste von ihrem Flair für den deutschen Komponisten. Seine Idee war, Schuberts Musik für einen Abend mit neuen Kompositionen von Haensler zu verweben. Sie sagte zu.

Eine zeitgenössische Sprache
Die fünf «Verästelungen» aus Stephanie Haenslers Feder beziehen sich nun alle auf Schubert – vor allem von der Thematik her. «Es geht mir insbesondere um die Texte und weniger um musikalische Anleihen. Dabei nehme ich vor allem Bezug auf das Lied ‹Frühlingstraum› aus der ‹Winterreise›, in dem es um Eisblumen am Fenster geht. Sie wurden zu meinem Hauptmotiv», so die Komponistin. Die musikalischen Unterschiede zu Schubert seien dagegen deutlich zu hören. «Ich versuchte, die Eisblumen in meiner eigenen zeitgenössischen Sprache zu vertonen. Sie sind in gewissen Momenten allerdings schon auch ein Vehikel für Erinnerungen an Schubert.»

Wechsel von Alt und Neu
Am Konzert alternieren ihre fünf Nummern mit Schuberts Kompositionen. So folgt zum Beispiel auf «Am Strome» aus dem Jahr 1817 Stephanie Haenslers neue Komposition «Und an den Fensterscheiben» oder «Wer malte die Blätter da» von Haensler auf Schuberts «Lied eines Schiffers an die Dioskuren» von 1816. «Mein Auftrag war, kein grosses zusammenhängendes Stück zu komponieren, sondern fünf Intermezzi, die sich mit Schuberts Liedern verweben», erklärt sie.
Auf dem Konzertplakat steht «Werke von Franz Schubert und Stephanie Haensler» – was der Aargauerin fast unangenehm ist. «Schubert ist ein dermassen bedeutender Komponist, ich will mich auf keinen Fall auf die gleiche Ebene setzen. Ich habe mich einerseits bewusst von ­seiner Musik emanzipiert, um mich andererseits wiederum leise mit ihr zu verästeln.»

Schubertiade mit dem Vokalensemble Zürich: Freitag, 14. März, 20 Uhr,
Reformierte Kirche, Windisch