«Ich bin ein Fan von Krimis»

Stefan Gubser tritt in der ­Lesung «Beltracchi unverfälscht» auf und liest aus Hansjörg Schertenleibs Roman «S’Wätter vo geschter».
Stefan Gubser beschäftigt sich seit Jahren mit dem berühmten Kunstfälscher Beltracchi. (Bild: zVg)

Stefan Gubser, welches berühmte Bild hätten Sie am liebsten gemalt?
Ich denke, es ist «Im Garten der Lüste» von Hieronymus Bosch, das ich in Madrid im Prado gesehen habe. Man kann eine Stunde vor diesem detailreichen Triptychon sitzen und entdeckt immer noch permanent neue ­Figuren und Geschichten. Das entspricht mir sehr, da ich selbst gern Geschichten erzähle.

Wer kann besser malen, Sie oder Ihre «Beltracchi unverfälscht»-­Bühnenpartnerin Mona Petri?
Ich weiss es nicht, aber ich gehe davon aus, dass sie es besser kann, da Malen noch nie mein Ding war. Ich fotografiere lieber.

Was führte zu Ihrer Zusammenarbeit?
Mona Petri und ich kennen uns schon ewig, verstehen uns blind und sind befreundet. Seit sie 2002 in «Feuer oder Flamme» meine Geliebte spielte, standen wir oft gemeinsam vor der Kamera und auf der Bühne, am bekanntesten dürfte der Kinofilm «Hello Goodbye» sein.

Was hat Sie an der Geschichte des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi und seiner Frau Helene am meisten interessiert?
Ich finde es faszinierend, dass ihre Liebe nicht daran kaputt ging, dass sie durch ihre Gefängnisstrafen so lang getrennt waren und so viel Geld zurückzahlen mussten.

Wie sehen Sie seine Delikte?
Ich bin ein grosser Fan von Kriminalgeschichten und speziell von der «Bonnie and Clyde»-Story der Beltracchis. Wolfgang und Helene Beltracchi haben niemandem wehgetan, sondern mit ihren Fälschungen nur Galerien und Sammler getäuscht und dabei gleichzeitig entlarvt, wie die Preise auf dem Kunstmarkt in die Höhe getrieben werden. Wenn ich manchmal gefragt werde, weshalb ich als «Kommissar vom Dienst» Sympathie für zwei Kriminelle wecke, antworte ich: «Ich finde, jeder Mensch verdient eine zweite Chance.» Die Beltracchis bereuen ihre Delikte, haben die Millionen zurückerstattet und ihre Strafen abgesessen.

Wann haben Sie begonnen, sich mit dem Paar zu beschäftigen?
Ich wurde 2018 zu einem Anlass eingeladen, bei dem Beltracchi im kleinen Kreis aus seinem Leben erzählte. Nach fünf Minuten dachte ich: «Was für eine strube Geschichte, was für ein skurriles Paar!» Ursprünglich dachte ich nur an eine Lesung aus den über 1000 Briefen, die es sich in den 14 Monaten Untersuchungshaft geschrieben hat, doch dann wurde daraus eine szenische Lesung.

Wie waren die Beltracchis in das Projekt involviert?
Wir haben sie mehrfach getroffen. Sie waren unglaublich kooperativ, wobei es nie um Geld ging. Wir sind meistens irgendwo gut essen gegangen und haben stets viel gelacht.

Was haben Sie über die Rollenverteilung zwischen ihnen erfahren?
Helene malt selbst nicht, hat aber ein unglaubliches Gespür, was Wolfgang malen könnte, und recherchierte für ihn. Er hat ja nie Gemälde kopiert, sondern nur den Stil berühmter Maler imitiert. Kriminell war «nur», dass er deren Signatur fälschte und Helene die Bilder auf den Markt brachte.

War Wolfgang Beltracchi von künstlerischem Ehrgeiz getrieben, oder ging es ihm vor allem darum, den aufwendigen Lebensstil zu finanzieren?
Im Vordergrund stand immer die Leidenschaft fürs Malen. Schon als Jugendlicher kopierte er einen Picasso so eindrücklich, dass sein Vater, ein Kirchenmaler, das Kopieren grosser Meister aufgab. Später reproduzierte Wolfgang für 100 D-Mark berühmte Gemälde, die ein Antikhändler wie heisse Weggli verkaufte. Da Wolfgang diese auf Dauer unbefriedigend und nicht lukrativ fand, begann er, seinen «genetischen Defekt» anderweitig zu nutzen.

Was für einen genetischen Defekt meinen Sie?
Er sagt, er könne sich in die Maler hineinversetzen, wenn er ihre Bilder betrachte, und neue Werke schaffen, als würde er in ihrer Haut stecken. Verrückt ist in der Tat, dass Wolfgangs Gemälde verschiedentlich von Kunstexperten als die grössten Bilder der betreffenden Künstler bezeichnet wurden.

Wie hat das Paar seine Inhaftierung verdaut?
Es war eine traumatische Erfahrung. Nicht einmal Schwerverbrecher kommen 14 Monate in Untersuchungshaft. Man hat es mit Flucht- und Verdunklungsgefahr begründet. Diese hat jedoch nie bestanden, da sie sich selbst stellten, als sie merkten, dass ihnen das Landeskriminalamt auf den Fersen war. Besonders schlimm war es, weil die Kölner Untersuchungshaftanstalt ein versifftes Loch ist und Helene, die gerade eine schwere Krebserkrankung überstanden hatte, oft eine adäquate Behandlung verweigert wurde. Weil sie das weder vergessen noch dem deutschen Staat verzeihen können, leben die Beltracchis seit der Verbüssung ihrer Strafen in der Schweiz.

Zwei Tage nach dem Auftritt in Möriken lesen Sie in Oberflachs aus dem neuen Roman von Hansjörg Schertenleib. Was verbindet Sie mit ihm?
«S’Wätter vo geschter» handelt von einem Mann, der am Totenbett mit seiner an Krebs verstorbenen Frau Zwiesprache hält. Hansjörg Schertenleib, den ich nicht persönlich kannte, schrieb mir, er habe mich bei der Entstehung des Romans vor Augen gehabt und wolle mich deshalb fragen, ob ich mir vorstellen könne, ihn mit einer Lesung auf die Bühne zu bringen. Da der Text mich beeindruckte, sagte ich zu.

Waren Sie schon in einer ähnlich schweren Situation?
Ja, meine erste Frau ist ebenfalls an Krebs gestorben. Wir waren zwar zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zusammen, uns verband aber nach wie vor eine tiefe Freundschaft. An Hansjörg Schertenleibs Roman berührt mich, dass er nicht nur vom Schmerz und von der Trauer handelt, sondern auch eine sehr humorvolle Seite hat. Bei der Premiere im Zürcher Kaufleuten hat das Publikum diese Seite sehr geschätzt und viel gelacht. Ich habe mich sehr darüber gefreut, denn es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein vorgetragener Text gleich gut funktioniert wie bei einer stillen Lektüre.

2019 wurde der Schweizer «Tatort» nach 17 Folgen in Luzern nach Zürich gezügelt – ohne Ihren Kommissar Reto Flückiger. Ein grosser Frust?
Klar. Ich war enttäuscht über das Fernsehen, weil man mir zugesagt hatte, dass ich diese Rolle bis zu meiner AHV spielen könne. Das wären noch drei Jahre gewesen. Ich fand, so geht man nicht mit jemandem um, der 35 Jahre für diesen Sender gearbeitet hat. Letztlich war die Trennung jedoch das Beste, was mir passieren konnte, da sie dazu führte, dass ich mich nochmal neu erfand, zum Theater zurückkehrte und eine Firma gründete, um Projekte zu realisieren, die mir am Herzen liegen.
Stefan Gubser tritt mit Mona Petri in der szenischen Lesung «Beltracchi unverfälscht» am Freitag, 7. März, in Möriken im Gemeindesaal und am Sonntag, 9. März, mit der Lesung «S’Wätter vo geschter» in Oberflachs im Zehntenstock auf.