Beim von der städtischen Abteilung Planung und Bau lancierten Projekt «Belebte Wohn-Altstadt 2.0» sind aus Gesprächsrunden, einer Umfrage und Ausstellung etwa 100 Anregungen für Nutzungs-, Verkehrs- und Begrünungsmassnahmen hervorgegangen. Das drückt ein erfreuliches allgemeines Interesse für die Pflege und die Stärkung des historischen Stadtzentrums aus. Die Ideen wurden nun an einem weiteren, wiederum vom jungen Brugger Architekten Daniel Christen moderierten öffentlichen Workshop im Effingerhof-Forum erörtert.
Die gegen 40 Diskussionsteilnehmenden beurteilten zunächst in Gruppengesprächen, wie weit die in den letzten drei Monaten gemachten Vorschläge mit dem vom Stadtrat 2019 verabschiedeten Altstadtentwicklungsleitbild übereinstimmen und was sich – eventuell versuchsweise – im Zeithorizont von etwa zwei Jahren umsetzen liesse. Die meisten Denkanstösse wurden als leitbildkonform bewertet und sage und schreibe 40 Empfehlungen für relativ rasch realisierbar gehalten, vor allem in den Bereichen Nutzung und Begrünung der Altstadt. Hingegen wurden die Verkehrsmassnahmen als komplexer und deswegen schwerer umsetzbar eingestuft.
Nach den Gruppengesprächen konnten die Anwesenden diejenigen Ideen, die ihnen besonders am Herzen liegen, als Handlungsschwerpunkte markieren. Ausgerechnet die streitigen Verkehrsansprüche mit zum Teil einschränkenden Massnahmen erzielten am meisten Nennungen, danach folgten Nutzungs- und Veranstaltungswünsche sowie, weniger dezidiert, die Begrünung der Altstadt. Diese Gewichtung hing wohl mit der Zusammensetzung des eher jungen Publikums zusammen. Das Gewerbe war weniger vertreten. Meinungsdifferenzen traten deswegen kaum zutage. Man weiss jedoch aus einer früheren Gesprächsrunde, dass die Verkehrs- und Parkplatzregelung die Geschäftsleute in der Altstadt stark beschäftigt.
Autofrei ausprobieren
Beachtliche Resonanz lösten am Workshop die Vorschläge aus, den Autoverkehr in der Altstadt zu unterbinden und keine Gratisparkplätze, namentlich an der Hauptstrasse, mehr zu erlauben. Das könnte man zumindest ausprobieren, um die Auswirkungen auf das Gewerbe zu ergründen, lautete ein Ratschlag. Doch den Gewerbetreibenden gehen solche Gedankenspiele gegen den Strich. Sie empfinden Einschränkungen tendenziell als Attraktivitätsverlust und möchten zum Beispiel die geltende 30-minütige Parkzeit lieber verlängern. Als Varianten wurden am Workshop verkehrsfreie Sonntage und Parkkarten für ein kontrolliert-begrenztes Parkieren in der Altstadt in Betracht gezogen.
Sukkurs bekamen unter anderem die Anregungen, die Vorstadt (beim Zollplätzli) als Piazza mit Tempo-30-Limit und attraktiver Bushaltestelle zu gestalten sowie die Fläche zwischen dem «Roten Haus» und der Eisihalle verkehrsfrei zu halten, indem die Fahrzeuge über die Rengger-/Stapferstrasse, um das UBS-Bankgebäude beziehungsweise das künftige städtische Verwaltungsgebäude gelenkt würden. Die Busverbannung aus der Altstadt stand ebenfalls auf der Wunschliste, sie wurde aber von niemandem zur «Herzenssache» erhoben.
Der Begrünung wird im Projekt «Belebte Wohn-Altstadt 2.0» ebenfalls Bedeutung zugemessen. Angeregt werden zum Beispiel Orangerie-Kübelpflanzen entlang und Rankdrähte für Kletterpflanzen über der Hauptstrasse, zudem Fassadenbegrünungen, Blumenkisten auf den Fensterbänken der Häuser sowie Baumpflanzungen in der Hofstatt und beim Hallwylerschulhaus. Hingegen wurden Blumenkisten am Geländer der Aarebrücke als eher störend empfunden. Bemerkenswert: Die grössten Begrünungsmassnahmen, die angeregt wurden, befinden sich am Rand oder ausserhalb des Altstadtperimeters.
Eisi als «grüne Mitte»
Zahlreiche «Herzenswunsch»-Auszeichnungen bekam der Vorschlag, das Eisi als «grüne Mitte» der Stadt auszugestalten, verbunden mit einem Wasserspiel und eventuell der Aufhebung der oberirdischen Parkplätze. Was das zusammen mit einem allfälligen Parkplatzverzicht an der Hauptstrasse für die Altstadtgeschäfte bedeuten könnte, wurde nicht hinterfragt. Unterstützung und sogar den Vermerk «kurzfristig realisierbar» fanden sodann die Verlängerung der Baumreihen von der Schulthess-Allee über den Vorplatz des «Roten Hauses» bis zur Museumsstrasse sowie eine zweite Baumreihe an der Hauptstrasse vom Eisi bis zum Stadthaus und danach entlang der Bahnhofstrasse bis zum Bahnhof.
Sauna und Sitzgelegenheiten
Zur vielfältigen Nutzung der Altstadt als Wohnquartier, Geschäftsviertel und Begegnungsort wurden verschiedene «Belebungsideen» geäussert. Dass sich dabei einige Zielsetzungen in die Quere kommen könnten – «mehr Betrieb gegen weniger Lärm» –, stand nicht im Vordergrund. Sympathien wurden zum Beispiel vermehrten Sitzgelegenheiten sowie einer Sauna im Bereich Hofstatt/Fischerhüsli zugesprochen. Ebenso gedeckten Veloparkplätzen, Erlebnispfaden und einer Plakatwand mit der Darstellung von Aktivitäten in der Altstadt.
Mehrere Smileys wurden hinter den Vorschlag gesteckt, dass die Läden und Cafés bei Veranstaltungen mehr integriert und die Aussenraumnutzung von Gewerbe und Privaten einfacher und attraktiver werden sollte. Auch der Wunsch nach direktem Zugang und einer Bademöglichkeit an der Aare fand Zuspruch. Hingegen erschienen ein Pétanque-Platz mit Kiosk im Bereich von Schulthess-Allee/Salzhaus und ein Autokino auf dem Eisi nicht leitbildverträglich – doch kleine, attraktive Spielorte in der Schulthess-Allee konnten sich vereinzelte Workshop-Teilnehmende gut vorstellen. Grossveranstaltungen mit lauter Musik bis spät in die Nacht – das Jugendfest sicher ausgeschlossen – bekamen aber undiskutabel eine No-go-Auszeichnung.
Wie geht es weiter?
Frau Stadtammann Barbara Horlacher dankte für die bisherige Projektarbeit und die engagierten Gespräche. Zum Schluss erläuterte Projektleiter William Barosa, wie es weitergehen soll. Ab dem 12. März werden die nunmehr bewerteten Vorschläge zur Pflege und Stärkung der Altstadt im Erdgeschoss des Storchenturms am Eingang zur Storchengasse ausgestellt. Dazu wird ein Bericht erstellt und der Öffentlichkeit an einer Informationsveranstaltung am 18. Juni vorgestellt. Bereits dieses und nächstes Jahr sollen die Umsetzungstestphasen für einige Ideen starten.
Das klingt recht verbindlich. Und das Projekt «Belebte Wohn-Altstadt 2.0» ist ausserdem recht gut gestartet. Es mangelt nicht an Vorschlägen. Ihre Gewichtung und Priorisierung zum Abschluss der ersten Phase erfolgte ebenfalls mit Schwung. Die Umsetzung wird schwieriger – das lehrt auch die Vergangenheit: Wie oft ist schon seit der Entlastung der Altstadt vom Durchgangsverkehr vor 45 Jahren über Attraktivitätsverbesserungen diskutiert worden. Man weiss längst, welches Anziehungsmerkmale wären: das historische Flair, die entschleunigte Ambiance, lauschige Ecken und Plätze, unterhaltsame Begegnungsorte – aber ebenso ein Gewerbe, das zum Einkaufen animiert. Letzteres hängt hauptsächlich von privater Initiative ab, die Stadt kann sie aber durch vernünftige Rahmenbedingungen fördern.