«Freude schöner Götterfunken»: Wer kennt Ludwig van Beethovens Ode an die Freude nicht? Wenn sie am 29. März in der reformierten Stadtkirche Brugg und am 30. März in der Kirche St. Anton in Wettingen gesungen wird, ist – wie Musikbegeisterte weltweit beteuern – Gänsehaut garantiert. Das weiss auch der Dirigent Alexandre Clerc, der seit 20 Jahren das von André Jacot gegründete Wettinger Kammerorchester 65 (K65) leitet.
Das über die Kantonsgrenzen hinaus strahlende, heute 30 Mitglieder umfassende Streicherensemble wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Deshalb darf es schon einmal mit der ganz grossen Kelle anrichten. Will heissen: Für einmal machen sich – mit der hinzugezogenen Camerata aksademica und dem laut Alexandre Clerc «wunderbaren Ad-hoc-Chor und der hervorragenden Arbeit von Renato Botti, der das Werk einstudiert hat» – rund 180 Mitwirkende für ein solitäres Werk stark, von dem Alexandre Clerc sagt: «Jeder Musiker und jede Musikerin träumt irgendwann davon, diese monumentale Neunte zu spielen.»
Wenn schon, denn schon, sagte sich Alexandre Clerc und wagt nun etwas, was einem «Lupf» gleichkommt. Der Dirigent gesteht mit einem Lachen, dass er seit letztem Herbst, als die Proben begannen, mehrere Kilogramm abgenommen habe, aber: Die Anstrengungen seien es für «sein» K65 allemal wert. Wenn die Rede auf das jeden Dienstag in Wettingen probende Ensemble kommt, findet der in Zürich lebende, auch international tätige Alexandre Clerc warmherzige Worte. «Seit 20 Jahren bin ich einem Orchester verbunden, in dem – abgesehen von einigen Profis – lauter Musikbegeisterte spielen, die ohne Musik nicht leben könnten. Deswegen sind alle so motiviert.»
Mit ihnen erarbeitet Alexandre Clerc jedes Jahr Programme für acht Konzerte, die Wundertüten gleichen. Die Mischung aus vertrauten und unbekannten oder neuen Kompositionen sowie das Engagement hochkarätiger Solistinnen und Solisten kommen beim Publikum bestens an – und das nicht nur in Wettingen, der Heimat des K65, sondern ebenso in Brugg, Boswil, Zurzach, Aarau, Wohlen und Riehen, um nur einige Stationen zu nennen. Alles Orte, wo die Konzerte nicht nur in Sälen oder Kirchen, sondern auch einmal in einem Landgasthof stattfinden. Und jedes Mal – ob bei Proben oder Konzerten – steht für Alexandre Clerc fest: «Musik ist für mich: die Musik durch das gemeinsame Musizieren erleben.»
«Damals muss es ein Schock gewesen sein»
Musik erlebt er nun mit Beethovens 1824 in Wien uraufgeführter 9. Sinfonie, in deren Schlusssatz zusätzlich zum Orchester vier Gesangssolisten sowie ein gemischter Chor eingesetzt werden: ein Schlüsselwerk der sinfonischen Musik, das den Menschen die Idee von der Freude und der weltumspannenden Brüderlichkeit verkündet. Brüderlichkeit? In der heutigen Welt, die von Krisen gebeutelt und von Kriegen überzogen ist? «Nicht nur Brüderlichkeit, auch Freiheit», sagt Alexandre Clerc und verweist auf den Dirigenten Leonard Bernstein, der 1989, nach dem Fall der Berliner Mauer, zwei Konzerte in Berlin gegeben hat. Wo es in Schillers Ode «Freude schöner Götterfunken» heisst, ersetzte Leonard Bernstein die «Freude» durch das Wort «Freiheit». Und diese, so Alexandre Clerc, scheine in der Neunten immerzu auf.
Denkt der Dirigent des K65 an dieses in jeder Beziehung grossformatige Werk, fragt er sich: «Wie hat es zu Beethovens Zeit auf das Publikum gewirkt? Es muss ein Schock gewesen sein.»
Nicht gerade ein Schock, wohl aber ein tiefes, nachhaltiges Erlebnis soll die Neunte in Brugg und Wettingen werden. Ja, diese Komposition sei eine Herausforderung sondergleichen, sagt Alexandre Clerc, aber eine solche sei für ein Orchester gut, weil es an der Aufgabe wachse. Sind die Aufführungen vorbei, gibt es ein Danach. «Bloss nichts Schweres mehr», sagt Alexandre Clerc und winkt lachend ab, «wir spielen ein Kinderkonzert mit einfachen Stücken.» Und was bringt die Zukunft? «Wir wollen unsere kollektive Reise mit Beethovens Sinfonien fortsetzen und den Zyklus vervollständigen. Nach der Neunten fehlen uns nur noch die 4. und 8. Sinfonie. Dann schreibt der Schweizer Cellist Christoph Croisé, der bei uns Schostakowitschs erstes Cellokonzert gespielt hat, eigens ein Stück für uns.» Und als Tüpfelchen auf dem i wird das K65 eine Sinfonie des 1836 mit 33 Jahren jung verstorbenen Brugger Komponisten Friedrich Theodor Fröhlich erarbeiten. Da erscheint es nur logisch, dass das K65 und Alexandre Clerc für spätere Konzerte den Brugger Geiger Sebastian Bohren eingeladen haben. Auf die kommenden Wundertüten darf man gespannt sein.
Samstag, 29. März, 19.30 Uhr
Reformierte Stadtkirche, Brugg
Sonntag, 30. März, 17 Uhr
Kirche St. Anton, Wettingen